Anterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 214.

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Das Duell.

Roman von A. Kuprin .

Donnerstag, den 2. November.

( Nachdruck verboten.)

Einzig autorisierte Uebersetzung von Adolf Heß. Mit solchen Gedanken schlenderte Romanschow jetzt häufig in den warmen Nächten Ende Mai durch die Stadt. Ohne daß er es selbst bemerkte, wählte er immer ein und denselben Weg, vom Judenkirchhof zum Flußdamm und dann zur Eisenbahn. Bisweilen kam es vor, daß er ganz hingerissen von dieser für ihn neuen, leidenschaftlichen Geistesarbeit sich den durch schrittenen Weg nicht merkte und plöglich, wenn er dann, wie aus einem Traume zu sich kam, nahm er voll Erstaunen wahr, daß er sich am anderen Ende der Stadt befand.

Und jede Nacht ging er an Schurotschkas Fenster vorüber, ging auf der anderen Straßenseite heimlich den Atem an­haltend mit klopfendem Herzen und einem Gefühl, als wenn er ein heimliches, schändliches, diebisches Werk vollführte. Wenn in Nikolajews Gastzimmer die Lampe ausgelöscht wurde und die schwarzen Scheiben vom Mondlicht trübe glänzten, versteckte er sich am Zaun, preßte die Hände fest gegen die Brust und sagte in heiß flehendem Flüstertone:

Schlaf, meine Schöne, schlaf, meine Liebe; ich bin bei Dir, ich beschüße Dich!"

In solchen Augenblicken fühlte er in seinen Augen Tränen, aber in sein Herz schlich sich neben der Zärtlichkeit, der Rührung und aufopfernden Ergebenheit blinde, tierische Eifer­sucht des reifen, brünstigen Mannes ein.

Eines Tages war Nikolajew zum Wint" spiel beim Re­gimentskommandeur eingeladen. Romaschow wußte das. Als er nachts auf der Straße ging, spürte er hinter einem Zaun aus einem Garten den würzigen, starken Duft von Narzissen. Er sprang über den Zaun und riß in der Dunkelheit, wobei er sich die Hände mit feuchter Erde beschmutzte, ein ganzes Bündel dieser weißen, zarten, feuchten Blumen aus dem

Beet.

Das Fenster zu Schurotschkas Schlafzimmer war geöffnet; es ging auf den Hof hinaus und war nicht beleuchtet. Mit fühner Verwegenheit, die er selbst nicht an sich erwartet hatte, schlüpfte Romaschow in die kreischende Pforte, trat an die Wand und warf die Blumen ins Fenster. Im Zimmer rührte sich nichts. Drei Minuten stand Romaschow da und wartete, und die Schläge seines Herzens erfüllten die ganze Straße. Dann trat er, sich frümmend, rot vor Scham, auf den Zehen­spitzen wieder auf die Straße.

Am nächsten Tage erhielt er von Schurotschka einen furzen, bösen Brief:

Wagen Sie das niemals wieder. Zärtlichkeiten à la Romeo und Julia sind lächerlich, besonders wenn sie in einem kaiserlich russischen Infanterie- Regiment vor­kommen."

Am Tage bemühte sich Romafchow, sie wenigstens von weitem auf der Straße zu sehen, aber das trat zufällig nicht ein. Oft, wenn er von weitem eine Dame sah, deren Gestalt, Gang und Hut an Schurotschka erinnerten, lief er mit krampf­haft klopfendem Herzen. unterbrochenem Atem und mit dem Gefühl hinterher, daß seine Hände vor Erregung falt und feucht wurden. Und jedesmal, wenn er seinen Irrtum be­merkte, empfand er im Innern Gram, Einsamkeit und eine gewisse tödliche Leere.

18.

Ende Mai hängte sich in Hauptmann Osadtschis Rotte ein junger Soldat auf, und zwar, infolge einer sonderbaren Schicksalsfügung, geschah das am selben Tage, an dem im vorigen Jahre ein ähnlicher Fall in dieser Rotte vorgekommen war. Als man ihn obduzierte, war Romaschow gerade stell­vertretender Offizier vom Dienst und mußte daher bei der Obduktion zugegen sein. Der Soldat war noch nicht völlig seziert. Romaschow bemerkte, daß von seinem in Stücke zerschnittenen, geöffneten Körper der schwere Geruch frischen Fleisches, wie von einem Schlachttiere, ausging, das am Ein­gang von Fleischerbuden hängt. Er sah seine grau- blauen, verschleimten, glänzenden Eingeweide, sah den Inhalt seines

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Magens, sah sein grau- gelbes, vielfach gewundenes auf dem Tische von jedem Schritt zitterndes Gehirn wie Gelee, das aus der Form gestülpt ist. Alles das war neu, schrecklich und widerwärtig und verursachte ihm gleichzeitig eine ekelhafte Nichtachtung des Menschen.

Von Zeit zu Zeit kamen im Regiment Tage vor, an denen allgemeine chronische, unsinnige Saufgelage veranstaltet wurden. Vielleicht geschah das in den Augenblicken, wo die zufällig zusammengewürfelten, aber alle zur selben öden Un­tätigkeit und unsinnigen Grausamkeit verdammten Menschen plößlich einander in die Augen blickten und dort im ver­wirrten und bedrückten Bewußtsein eine Art heimlichen Schreckens, Kummer und Wahnsinn bemerkten. Und dann trat das ruhige, satte Leben, wie bei gefangenen Stieren, gleichsam plötzlich über seine Ufer.

So geschah es auch nach jenem Selbstmorde. Den Anfang machte Osadtschi. Zufällig kam eine Reihe von Festtagen hintereinander, und während dieser Tage spielte Osadtschi verzweifelt und trant übermäßig viel. Sonderbar: Der riesige Wille dieses großen, starken raubtierähnlichen Menschen riß das ganze Regiment wie in einem tollen Strudel hinter sich her in die Tiefe, und während der ganzen Dauer dieser wüsten, frankhaften Sauferei schmähte Djadtschi mit zynischen, garstigen, unanständigen und herausfordernden Worten, als fuchte er einen Halt oder Widerspruch, eben den Selbstmörder.

Es war sechs Uhr abends. Romaschow saß mit den Füßen auf dem Fensterbrett und pfiff leise en Faustwalzer. Im Garten schrien Sperlinge und schwatten Elstern. Der Abend war noch nicht angebrochen, aber zwischen den Bäumen wallten schon leichte, nachdenkliche Schatten.

Plöglich sang am Hauseingang jemand laut und begeistert Die Pferde rasen, Ketten flirren

aber falsch:

# 1

Die Rosse schäumen und schnauben laut.. ins Zimmer hinein. Donnernd flogen beide Türen auf, und Wettin stürzte fang er weiter: ins Zimmer hinein. Kaum das Gleichgewicht bewahrend lang er weiter: Herren und Damen blicken verzweifelt Den Davonjagenden nach."

Er war betrunken, schwer benebelt, noch vom gestrigen Tage. Seine Augenlider waren infolge einer schlaflosen Nacht gerötet und fielen zu. Die Müze saß im Nacken. Der noch nasse Schnurrbart erschien dunkel und hing in zwei starren Zapfen wie bei einem Walroß herab.

R- romuald! Syrischer Einsiedler, laß Dich küssen!" heulte er durch das ganze Zimmer. Was machst Du für ein jaures Gesicht? Komm, Bruder. Da ist's lustig: Spielen, fingen. Komm."

Er füßte Romaschow fest und lange auf die Lippen und befeuchtete sein Gesicht mit seinem Schnurrbart. Genug, genug, Pawel Pawlitsch," widersetzte sich Ro­maschow schwach, was soll dieses fälbermäßige Entzücken?"

" Freund, Deine Hand! Höhere Tochter. In Dir liebe ich meine früheren Leiden und entschwundene Jugend. Diadtschi hat sich eben ein Denkmal gesetzt, daß die Scheiben zitterten. Romaschowitsch, ich liebe Dich, Bruder! Laß Dich füssen, richtig russisch auf die Lippen!"

Romaschow war das dicke Gesicht Wetfins mit verglasten Augen, der seinem Munde entströmende Geruch und die Be­rührung seiner feuchten Lippen und des Bartes widerwärtig. Aber er war in solchen Fällen stets wehrlos und lächelte jetzt nur künstlich und matt.

" schrie

,, Wart, weshalb bin ich zu Dir gekommen?.. Wetkin schlucksend und schwankend. Es war etwas wich­tiges, nun weiß ich's. Freund, ich habe Bobetinski aus­gebeutelt. Verstehst Du bis auf den Grund, bis auf die letzte Kopeke. Es kam so weit, daß er bat, unbar zu spielen. Na, ich sage ihm: Nicht doch, Freundchen, warten Sie mal, wollen wir das nicht etwas sanfter machen?" Da sett er seinen Revolver. Hier ist der Revolver, sieh." Wetkin zog aus dem Beinkleid, wobei er die Tasche nach außen kehrte, einen kleinen, schönen Revolver in grauem, wildledernem Futteral. System Merwin. Ich frage: Was ist der wert? Zehn! Der Fünfundzwanzig Rubel. Fünfzehn." Teufel soll Dich holen! Er setzt einen Rubel auf Farbe. Bak, bag, bazz, bat. Beim fünften Abzug nahm ich seine

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