Anterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 227.
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Die Huerta.
Dienstag, den 21. November.
( Nachdruck verboten.)
Roman von V. Blasco Jbanez Autorisierte Uebersetzung von Wilhelm Thal.
Das Unglück verfolgte Batiste. Niemand sorgte so für die Tiere und paßte so fleißig auf sie auf. Obwohl totmüde, wagte er nie, wie die Kameraden, auf dem Wagen zu schlafen und das Gespann sich selbst zu überlassen. Er hielt stets die Augen offen, ging immer neben dem Leitpferd, vermied sorgfältig die Furchen und schlechten Stellen. Und doch war es immer sein Wagen, der umfiel; wenn infolge der Regengüsse ein Zier frank wurde, dann war es sicherlich das Pferd von Batiste, obwohl er schon bei den ersten Tropfen den Rücken seiner Tiere durch Decken aus Packleinen zu schützen suchte.
In mehreren Jahren anstrengender rrfahrten über die Straßen der Provinz hatte er nur Verluste, und seine Lage wurde immer schlimmer und schlimmer. Dabei aß er schlecht, schlief unter freiem Himmel und litt Höllenschmerzen bei dem Gedanken, daß er monatelang fern von seiner Familie verleben mußte, die er mit der tiefsten Zärtlichkeit eines rauhen und schweigsamen Mannes förmlich vergötterte. Seine Pferde gingen ein, und er mußte Schulden machen, um sich andere zu kaufen; der Verdienst, den ihm der ständige Transport der Wein- und Essigschläuche einbrachte, verschwand in den Händen der Pferdehändler und Stellmacher, so daß er schließlich auf das Handwerk verzichtete, denn er sah seinen baldigen Ruin
voraus.
Nun nahm er Aecker in der Umgegend von Sagunto in Pacht, harte, rote, ewig durstige Aecker, auf denen hundert jährige Johannisbrotbäume ihr hohen Stämme und Olivenbäume ihre runden, staubigen Köpfe erhoben. Er lieferte der Dürre förmliche Schlachten, stets blickte er sehnsuchtsvoll gen Himmel, und ein hoffnungsfreudiges Zittern bewegte jedesmal seinen Körper, wenn eine kleine schwarze Wolfe am Horizont auftauchte. Doch es regnete nicht. Die Ernten waren vier Jahre hintereinander schlecht, und Batiste wußte schon nicht mehr, was er anfangen sollte, als er auf einer Reise nach Valencia zufällig die Söhne des Don Salvador kennen lernte, die ihm dies wunderbare Land ohne jeden Pachtzins bis zu dem Tage überließen, wo der Grund und Boden wieder regelrecht bebaut war. Allerdings hatte er von den Ereignissen, die sich auf diesem Terrain abgespielt und von den Gründen, die die Besizer nötigten, so schöne Aecker brach liegen zu lassen, so manches gehört. Aber das war so lange her! Diese Felder gefielen ihm, und er ließ sich darauf nieder. Hatte er sich um die alten Geschichten des Vaters Barret und des Don Salvador zu fümmern?
Batiste verachtete und vergaß alles, als er seine Felder betrachtete, und er empfand ein süßes Entzücken, wenn er sich als Pächter in dieser fruchtbaren Huerta sah, auf die er so oft mit neidischen Blicken geschaut, wenn er über die Landstraße von Valencia nach Sagunto zog. Das waren wirkliche Felder, ewig grüne Felder mit unerschöpflichem Schoß, die Ernte auf Ernte hervorbrachten; sie verfügten über ein rotes Wasser, daß in jeder Stunde wie belebendes Blut durch zahllose Rinnen lief; eine ganze Familie konnte sich von den Feldern ernähren, die in ihrer Kleinheit wie grüne Taschentücher aussahen. Ach, wie glücklich schätzte er sich, daß er endlich den Grund und Boden von Sagunto los geworden war, an den er sich wie an eine Hölle von trockener Hitze und verzehrendem Durst erinnerte! Ja, jest war er auf dem richtigen Wege. An die Arbeit! Die Felder waren allerdings verdorben, das war richtig, man mußte sich fürchterlich schinden, auch das stimmte, doch wenn man Mut hat! Und der kräftige Bursche mit dem muskulösen Körper, den Riesenschultern, dem runden, geschorenen Kopf und dem gutmütigen Gesicht auf dem dicken Mönchshalse, reckte sich und streckte seine starken Arme, die gewöhnt waren, Mehlsäcke und schwere Schläuche wegzuschleppen.
Er war mit der Arbeit auf seinen Feldern so beschäftigt, daß er auf die Neugier der Nachbarn kaum achtete. Diese steckten ihre unruhigen Röpfe durch das Röhricht oder
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1905
beobachteten ihn verstohlen, von den Böschungen der Bäche, platt auf dem Bauche liegend; alle spionierten, Männer, Kinder, ja sogar einige Frauen aus den Häusern rings umher. Doch er achtete nicht darauf. Das war die Neugier, das feindliche Mißtrauen, daß die Fremden stets einflößen. Er kannte das wohl, schließlich gewöhnte man sich schon an ihn. Und dann, wer weiß, vielleicht interessierte es sie, dieses ganze Elend verschwinden zu sehen, das zehn Jahre der Berlassenheit auf den Feldern des Vaters Barret hervor gerufen hatten.
Am Tage nach seiner Ankunft hatte er mit Hülfe seiner Frau und seiner Kinder das ganze Unkraut ausgebrannt. Die Sträucher wanden sich unter den Flammen und sanien, zu Asche verkohlt, zusammen. während die häßlichen Tiere, förmlich geröstet, unter der Glut entflohen, und das Haus in den aus der fröhlichen Illumination sich erhebenden Rauchwolfen verschwand, die in der ganzen Huerta einen dumpfen Born entfesselten. Als die Aecker einmal gesäubert waren, machte sich Batiste, ohne weitere Zeit zu verlieren, an das umgraben. Der Boden war hart geworden, doch als erfahrener Landmann beschloß er, ihn nur nach und nach in Schlägen zu bebauen; er zog ein Viereck um die Hütte und begann die Erde mit Hülfe seiner ganzen Familie umzugraben.
Was das Arbeiten anbetraf, so glich diese Familie einer wahren Eichkagenschar; sie konnte sich nicht ruhig verhalten, so lange der Vater tätig war. Teresa, die Frau, und Roseta, die älteste Tochter, schafften mit hochgeschürzten Röcken; sie hielten nur inne, um die Haarsträhnen zurückzuwerfen, die ihnen auf die geröteten, schweißgebadeten Stirnen fielen. Batistet, der älteste Sohn, machte, einen Kasten auf der Schulter, beständige Reisen nach Valencia und brachte Dung und Wirtschaftsabfälle mit, die er wie Ruhmessäulen in zwei Haufen am Eingange des Hauses ablagerte; die drei Kleinen folgten ernst und arbeitsam, als hätten sie die Lage der Familie begriffen, auf allen Vieren den Arbeitern, um die allzu harten Wurzeln der verbrannten Sträucher aus den Erdklumpen auszureißen.
Diese Vorbereitungsarbeit dauerte über eine Woche, in der sie von Sonnenaufgang bis zur Dunkelheit schwigten und ächzten. Als die Hälfte des Bodens umgewühlt war, strich Batiste ihn glatt und bearbeitete ihn mit Hülfe seines fräftigen Pferdes. Der Augenblick war da, die Bepflanzung vorzunehmen, es war bereits St. Martinstag, die Zeit der Saat. Der Landmann schied das zugerichtete Terrain in drei Teile, den größeren für das Getreide, einen kleineren für Bohnen und einen dritten für das Pferdefutter; denn man durfte auch den Morrut nicht vergessen, den alten teuren Gaul, der zur Familie zu gehören schien. Und endlich machten sie sich mit der Fröhlichkeit von Leuten, die nach einer schweren Seefahrt den Hafen entdeckten, an die Einsaat. Damit war die Zufunft gesichert. Die Aecker der Huerta trogen nie, aus diesem Boden sollte das Brot für das ganze Jahr hervorgehen.
Am Abend des Tages, wo die Saat beendet war, sahen sie auf dem Wege, der sich an ihrem Gehöft hinzog, eine kleine Schafherde mit schmutzigen Fellen, die furchtsam an der Grenze des Feldes stehen blieb. Hinter ihnen schritt ein Greis mit pergamentartigem, sonnenverbranntem Gesicht, in tiefen Höhlen liegenden Augen und einem großen, förmlich gespaltenen Munde den die Runzeln wie eine Gloriole umgaben. Er ging langsam mit festem Schritte, streckte aber seinen Hirtenstab vor sich aus, als wenn er das Terrain fondieren wollte.
Die ganze Familie betrachtete ihn aufmerksam; seit den zwei Wochen, die sie da waren, war er der Einzige, der es gewagt hatte, sich ihren Feldern zu nähern.
Als der Alte das Zögern seiner Schafe bemerkte, rief er ihnen zu, sie sollten weiter gehen. Num trat Batiste dem Alten entgegen. Man könnte nicht mehr hier herüber, die Aecker wären jetzt angepflanzt. Wußte er denn das nicht?
Vater Tomba hatte wohl etwas davon gehört; doch in den beiden vorhergehenden Wochen hatte er seine Herde nach der Sumpfgegend von Caraiyet geführt, ohne sich um diese Felder zu kümmern.
Es war also wahr, sie waren jetzt bebaut?