Nnterhattungsblatt des Horwärls Nr. 230. Sonnabend, den 23. November. !903 (Nachdmck verboten.) 101 Oie f)ucYta. Roman von V. BlaSco Jbanez. Autorisierte Uebersetzung von Wilhelm Thal. Als Batiste sich Copas Schenke näherte, verlangsamte er seinen Schritt. Er wollte sehen, ob man es wagen würde, sich in seiner Gegenwart über ihn lustig zu machen. Seltsamerweise dachte er sogar zum erstenmal daran, in die Schenke hinein zu gehen, um dort Auge in Auge mit seinen Feinden ein Glas Wein zu trinken; doch die beiden Lire Strafe drückten ihm zu schwer aufs Herz, und er bereute seine Absicht. Dieses verdammte Geld! Eine solche Strafe verschlang das Schuh- werk für seine Kinder, für das Teresa gespart hatte. Als er an Copas Schenke vorüberging, versteckte sich Pimento unter dem Vorwand, seinen Krug zu füllen, während die Kameraden des Feiglings so taten, als ob sie Batiste nicht sahen. Seine entschlossene Miene imponierte und flößte seinen Feinden Respekt ein. Doch dieser Triumph stimmte ihn nur traurig. Wie diese Leute ihn haßten! Die ganze Huerta er- hob sich düster und drohend zu jeder Stunde gegen ihn. Das war kein Leben. Selbst am Tage verließ er sein Gehöft so wenig wie möglich und sah sich genötigt, jeden Verkehr mit seinen Nachbarn einzustellen. Er hatte keine Furcht vor ihnen, nein; doch als kluger Mann wollte er Streitigkeiten aus dem Wege gehen. Nachts schlief er nur mit einem Auge; beim geringsten Geheul seines Hundes sprang er aus dem Bett und stürzte, das Gewehr in der Faust, aus dem Hause; mehr als eininal glaubte er schwarze Gestalten zu sehen, die über die Steige hinhuschten. Er fürchtete für seine Ernte, für dieses Getreide, das die Hoffnung seiner Familie bildete, und dessen Wachstum alle Bewohner der Hütte mit gierigen Blicken betrachteten. Er kannte die Drohung Pimentos, der, von der ganzen Huerta unterstützt, geschworen hatte, dieser Weizen würde nicht von dem geerntet werden, der ihn gesät hatte. Er vergaß fast seine Kinder und dachte nur an seine Aecker, an diese grüne Woge, die in der strahlenden Sonne immer größer und größer wurde und sich in gelbe Haufen Korn verwandelte. Der schweigsaine und dumpfe Haß verfolgte ihn Schritt für Schritt auf dem ganzen Wege. Die Frauen traten zur Seite und kniffen die Lippen zusammen, ohne ihm guten Tag zu sagen, wie es auf dem Lande üblich ist; die Männer, die auf den Feldern am Wegrande arbeiteten, riefen sich grobe Schimpfworte zu, die sie so in indirekter Weise Batiste zu- schleuderten: die kleinen Kinder riefen aus der FerneSpitz- bube", ohne zu sagen, wem die Beleidigung galt, als ob sie überhaupt nur auf den verhaßten Eindringling hätte passen können. Ach, wenn er nicht diese Riesenfäuste, diese un- geheuren Schultern, diese wenig beruhigenden Bewegungen besaß, wie schnell hätte die Huerta mit ihm abgerechnet! Doch jeder wartete darauf, sein Nachbar sollte sich zuerst hervor- wagen, und so begnügte man sich damit, ihm seinen Haß aus der Entfernung zu bezeugen. Trotz der Traurigkeit, die diese allgemeine Abneigung in ihm hervorrief, empfand Batiste eine gewisse Genugtuung. Während er sich seiner Wohnung näherte, bemerkte er, als er schon das Geheul seines Hundes vernahm, der ihn erkannt hatte, einen kräftigen jungen Burschen, der, die Sense zwischen den Beinen, am Wegrande saß; neben sich hatte er ein Reisig- bündel liegen. Als er den Bauer erblickte, erhob er sich und sagte: Guten Tag, Seüor Batiste!" Dieser Gruß, die zitternde Stimme des schüchternen Burschen machte einen angenehmen Eindruck auf ihn. Die Freundschaft dieses Jünglings war nur wenig, und doch wirkte sie auf ihn wie das frische Wasser auf den Kranken, den das Fieber verbrennt. Er betrachtete mit sympathischen Blicken diese großen blauen Augen, dieses lächelnde Gesicht, das ein blonder Flaum bedeckte, und suchte in seiner Er- innerung, wer dieser junge Mann wohl sein könnte. Endlich besann er sich, daß es der Enkel des Vaters Tomba war, des fast blinden Schäfers, den die ganze Huerta verehrte: ein braver Junge, der Knecht bei dem nämlichen Schlächter von Alboraya   war, dessen Herde der Alte hütete. Danke, Kleiner danke!" murmelte er, erfreut durch diesen Gruß. Dann setzte er seinen Weg fort, und bald hieß ihn sein Hund willkommen, der bellend vor ihm hersprang oder sich an seinen Beinen rieb. Während er auf das Haus zuging, betrachtete er seine Aecker, und bald strömte ihm die ganze Wut, die er in Gegen- wart des Gerichtshofes unterdrückt hatte, wie eine wütende Woge zum Hirn. Sein Getreide dürstete. Was ihm fehlte, war das Wasser, das Pimento ihm mit seinen unehrlichen Schlichen gestohlen, denn vor zwei Wochen kam die Reihe jetzt nicht mehr an ihn, da das Wasser in dieser Gegend rar war. Und zum Uebermaß des Unglücks kam noch diese ganze ver- damnite Menge von Liren und Hellern, zu denen er verurteilt war....Christo!" Teresa stand, von ihren Kleinen umgeben, vor der Tür der Hütte und wartete ungeduldig auf ihn, weil er sich bereits zum Essen verspätet hatte. Er ohne Appetit und erzählte seiner Frau, was sich abgespielt hatte. Teresa hörte ihm bleich, mit der Aufregung der Bäuerin, zu, die Herzschmerzen bekommt, wenn sie die Schleife des Strumpfes lockern nmß, in dem sie ihr Geld aufbewahrt. Heilige Jungfrau! Man hatte also beschlossen, sie zu Grunde zu richten! Wie entsetzlich, gerade als man sich zu Tisch setzen wollte!" Und sie ließ den Löffel in die Reispfanne fallen und weinte heiße Tränen. Dann errötete sie in plötzlichem Zorn, betrachtete den Winkel der Ebene, mit seinen weißen Häuschen, mit seiner grünen Getreideflut, den man durch die Tür- öffnung bemerkte, und rief, die Arme ausstreckend: Schurken! Schurken!" Ueber die zornige Miene des Vaters erschrocken und über das Geschrei der Rdutter verwundert, konnte die kleine Ge- sellschaft sich nicht zum Essen entschließen. Sie sahen sich verdutzt und bestürzt an, steckten, um doch etwas zu tun, den Finger in die Nase, und schließlich begannen alle, nach dem Beispiel der Mutter, in ihren Reis zu weinen. Von diesem Heulchor nervös gemacht, erhob sich Batiste wütend, warf fast mit einem Fußtritt den kleinen Tisch um und stürzte aus dem Hause. War das ein Abend! Der.urst seines Getreides und die schreckliche Strafe waren gleichsam zwei wilde Hunde, die sich an ihn hingen. Wenn der eine, deS Beißens müde, losließ, kam der andere herangeschossen und bohrte ihm seine Zähne ins Fleisch. Er versuchte, sich zu zerstreuen und bei der Arbeit seine Sorgen zu vergessen. So machte er sich denn mit all seiner Energie an ein schon angefangenes Werk, das Dach des Schweinekobens, den er im Hühnerhofe erbauen wollte. Doch die Arbeit machte keine Fortschritte. Er erstickte zwischen den Lchmwänden: er mußte sein Feld sehen, wie Leute, die ihr Unglück deutlich vor Augen sehen müssen, um sich so recht in den Schmerz zu versenken. Nun verließ er, die Hände noch voller Mörtel, den Bau und stellte sich vor sein schon halb ver- welktes Getreidefeld. Am Rande des Weges, in einer Entfernung von wenigen Metern, wälzte der Kanal seine roten Wasser dahin. Dieses belebende Blut der Huerta zog in die Ferne, zu anderen Feldern, deren Pächter glücklicherweise nicht gehaßt wurden. Da stand nun sein armes Getreide, verschmachtend sein grünes Haar zusammenrollend, als wolle es dem Wasser ein Zeichen geben, es möge kommen und ihm seine frische Liebkosung bringen. Batiste hatte das Gefühl, als scheine die Sonne stärker als an anderen Tagen. Das Gestirn versank am Horizont, und doch bildete sich der Mann ein, die Strahlen schössen hernieder und verbrannten alles. Die Sonne spaltete krumme Risse und riß tausend Münder auf, die vergeblich auf einen Schluck! Wasser warteten. Das Getreide sollte bis zur nächsten Be- Wässerung einen solchen Durst ertragen können? Christo! Es würde sterben, vertrocknen, die Familie würde kein Brot haben, und außer diesem Elend mußte er mich noch die Strafe zahlen. Und da wundert man sich, wenn die Menschen schlecht werden!