söhn mit seinem berühmten„Phädon' ZU Hülfe zu kommen, eine Schrift, die mit der genannten Plates nur Titel und Dialogform gemein hat und deren Stil ebenso schön wie deren Argumentation durchweg brüchig ist, aber dennoch eine Art Welt- liches Evangelium für alle Inden und Christen wurde, denen der Gedanke, mit dem Tod das süße Dasein zu der- lieren und der Vernichtung anheimzufallen, unerträglich war, oder die den Zusammenbruch der Religion und Kirche fürchteten und des- halb die arAnmouta borniletüm iKanzelbeweise, die nichts beweisen) des Philosophafters für schlüssige Beweise hinnahmen; während Goethe und Schiller das Buch mit heiterer Ironie in der Xenia kennzeichneten: Moses Mendelssohn . Ja! Du stehst mich unsterblich l—„Das hast du unS ja in dem Phädon Längst bewiesen".— Mein Freund, freue dich, daß du eS stehst I Um dieselbe Zeit schrieb der Königsbergcr Philosoph Kant sein Hauptwerk, worin er mit dem Hammer der reinen Vernunft alle Beweise stir die Unsterblichkeit der Seele zertrümmerte, um ihr freilich später mit dem der praktischen Vernunft einen Schein- beweis zusammenzuschweitzen. Denn Kants praktische Vernunft ist nichts anderes als die Galvanisierung von Leichnamen. Es gibt eben keine Vernunft mit doppeltem Boden, und wenn eine Theorie logisch unhaltbar ist, so wird sie darum nicht wahr, weil sie einem praktischen Bedürfnis entspricht resp. einsprechen soll. Und eben hierauf laufen ja die Wiederbelebungsversuche der in der„Kritik der reinen Vernunft " totgeschlagenen Beweise für das Dasein eines persönlichen Gottes, die Unsterblichkeit und die Willensfreiheit hinaus. Als notwendige Basis der Moral poswliert Kant wunder- licherweise den Unsterblichkeitsglauben, während eine gesunde Moral desselben durchaus nicht bedarf, was lange vor Kant philosophisch dargetan und durch die Erfahrung von Jahrtausenden bestätigt wird. Dagegen entsteht allerdings im vulgären Empfinden eine schmerzliche Lücke durch die Vorstellung, daß„mit dem Tode alles aus" sein soll. Denker und Dichter waren daher zu verschiedenen Zeiten bemüht, den Unlustaffekt zu beschwichtigen, den die tief im Menschengemüt wurzelnde Abneigung, in den Zustand des Richsteins zu sinken, erzeugt. Eines der gescheitesten Worte stammt von dem freigeistigen Philosophen Griechenlands Epikur :„Es gibt eigenttich keinen Tod, denn find wir, so ist der Tod nicht, und ist der Tod, so find wir nicht." Ein neuerer Poet aber, Riickert, läßt seine sterbende Blume sprechen: „Heil, o Frühling, deinem Schein l Morgenluft, heil deinem Wehn! Ohne Kummer schlaf' ich ein, Ohne Hoffnung, aufzustehn." und ähnlich Hermann Rollett : „Der starke Geist blickt heiter drein, Bedenkt er, daß auf ewig Zerrinnend wie der Woge Schaum Wir alle gehn vorüber." Das beste Rezept gegen den Affeft der Vernichtungsscheu ist in dem Schillerschen Disttchon enthalten: „Vor dem Tode erschrickst du? Du wünschest, unsterblich zu leben? Leb' im Ganzen, wenn du lange dahin bist, es bleibt." Oder wie ein neuerer fingt: „Nur das Ich verwelkt; unsterblich fühlt fich, wer wie der Planet Sich mit seinem Wollen, Können, um die Sonne Menschheit dreht." Da? ist kein Blendwerk poestscher Phrase, sondern psychologisch wohl begründet. Die Idee der Fortdauer der Menschheit und ihrer stettgen Entwickelung zu höherer Vollkommenheit stumpft den Stachel des individuellen Untergangs vollständig ab bei denen,„die ihr Selbst von ihrem Selbst erweitert" haben, und entflammt naturgemäß ihr Streben, nach Kräften mit- zuwirken an dem Kulturforstchritt. Der Unglaube fuhrt also nicht. wie die Frommen behaupten, zu der Maxime:„Lasset unS effen und trinken, denn morgen sind wir tot", sondern erhebt vielmehr die Gesinnung über den ordinären Materialismus und Egoismus in die edelste ethische Sphäre.— Kleines f eirilleton. Das Rheinische Kirschbaumst erben. Im„Prometheus" Hefen wir: Seit Anfang der neunziger Jahre wird am Rhein , süd- kich von Koblenz , in der Gegend von St. Goar , wo umfangreiche Kirschenzucht betrieben wird, ein großes Krrschbaumsterben bcob- «chtet, das besonders stark in den Jahren 1393 und 1399 auftrat und Tausende von Kirschbäumen vernichtet hat; auch in Westfalen ist feit 1895 dieselbe Krankheit ständig beobachtet worden. Die Krankheit verläuft sehr rasch; es kommt vor, daß ein üppig wachsen- der Baum in drei Wochen völlig abstirbt, oder daß ein Baum seine Früchte reift und zwei Wochen später rot und tot ist. Allerdings find dies Ausnahmefälle. Auffallend ist, daß nur die schönsten und gesundestem glatten, besten und kraftstrotzenden Bäum« von der Krankheit heimgesucht werden. Dieselbe äußert sich auf verschieden- Weise. Im Frühjahr ergießt sich vor dem Aufbrechen aus den dick. schwellenden Knospen tropfenweise ein dünnflüsfiger Sast, der zur Erde fällt. Die schönsten und üppigsten Knospenbündcl tropfen aus, treiben weder Blätter noch Blüten und sterben ab. An den Zweigen und Aesten oder auch am Stamm tritt Gummifluß auf, worauf dann die betreffenden Teile vollständig ersterben, oder es stirbt auch der ganze Baum ab. Tie Krankheit verrät sich durch Gilben und Notwerden der Blätter an einzelnen Zweigen oder Aesten oder an der ganzen Krone. Sucht man dann an diesen Teilen nach, so findet man gewöhnlich Gummiflutz bereits ausgebildet oder im Ent> stehen begriffen, oder Frostplatten mit abgestorbenen Rindenteilen oder Rindenrisse und geplatzte Rinde. Die verschiedenen Beobachter haben die Krankheit sehr der» schiedenen Ursachen zugeschrieben. A. B. Frank nimmt einen kleinen Kernpilz(Cytospors rubescens), der aus der Rinde der abge» storbenen Zweige hervorbricht, R. Goethe Frühjahrsfröste, P.Sorauer Gummifluh infolge von Frosteinwirkung, Labontö Kulturfehler und insbesondere Bodenmüdigkcit für Kirschen als Ursache an. Aderhold findet als Veranlass« den bereits von Frank bezeichneten Pilz, der aber nur in Rindenbeschädigungen eindringen kann, welche durch Spätfröste des Frühlings und andere WitterungScinflüsse, u. a. wahrscheinlich auch durch Sonnenbrand verursacht werden. Wenn im zeitigen Frühjahr, im Februar, März und April an warmem Tagen die Stämme an der Südseite um 10 Grad höher erwärmt werden als an der Nordseite, so daß sich die Gewebe an der Südseite frühzeitig mit Säften füllen, so bringt der geringste Frost die Ge» webe zum Zerreißen, und es tritt Saftstockung ein, also eme Störung der Wasserversorgung des Baumes gerade zu der Zeit, da er am meisten Feuchtigkeit bedarf. Die Folge davon ist dann der Gummi» fluß. Da die gesündesten Bäum« im Frühjahr auch am frühesten treiben, find sie der Frostgefahr am meisten ausgesetzt und erliegen somit der Krankheit am ehesten. Deshalb neigt A. von der Mühlen, lvelcher die Krankheit seit 1395 in Westfalen verfolgt hat, zu der Ansicht, daß der genannte Pilz nicht die Ursach«, sondern sein Auf» treten eine Folge der Kirschbaumkranlheit sei, was nicht ausschließt, daß er den Verlauf derselben und das Absterben beschleunigt. Durch künstliche Infektion mit den Cytospora-Sporen vermag man aller- dings gleichfalls Gummifluß und das Absterben eines Seitenzweiges unter Hervorbrechen der Cytospors-Polster hervorzurufe». Auf Grund dieser Beobachtung widerlegt Adcrhold denn auch die angefübrten entgegenstehenden Ansichten der Krankheitsursache und andere Mög- lichkeiten, z. B. Bakterien, andere Pilzarten, Fraß des Obstbaum- splintläfers, Wurzelerkrankungen. Zur Bekämpfung des K i r s chba unisterbe ns empfiehlt sich einer- seits das Aufgeben der frühen Kirschenforten, andererseits das möglichst frühzeitige Entfernen und Verbrennen der toten und kranken Zweige, Aest« und stärker befallenen Bäume. Alles Kranke muß mit scharfem Messer bis aufs gesunde Holz ausgeschnitten, die Wunden mit halbverdünnter Essigessenz ausgerieben und mit einer Leinenkompresse mit dieser Esfigesscnz verbunden werden. Räch einigen Tagen sind die Wunden mit Kuhfladen und Lehm dick auS- zuschmieren, von anderer Seite wird auch Teer zu demselben Zweck empfohlen. Eigentümlich ist. daß ein von der Krankheit sehr stark befallener Baum, nachdem er von den kranken Teilen befreit wurde. wieder völlig gesund ist; der kahle Stamm treib» wieder ans und kann dann gepfropft werden. Es folgt daraus, daß das Kirsch- baumstcrben mit der Wurzel- und Bodenmüdigkeit nicht in Beziehung gebracht werden kann, sondern daß dt« Krankheit— nur äußerlich auftretend— von außen ar. den Baum herantritt, sei es nun durch Frostwirkung oder den Cytospors-Pilz. Jr. neueftcr Zeit ist die Krankheit auch bereits in Schlesien und im Altenlande an der Untcrelbe aufgetreten.— Musik. Komische Oper.„Der Gaukler unserer lieben Frau." Das Mittelalter besaß innerhalb der Musik eine eigen- tümliche Scheidung zwischen einer höheren und einer niederen Kunst, eine Scheidung, von der sich Spuren noch heute finden, etwa dort, wo man den„Tonkünstler" vom„Musiker" unterscheidet. Die Instrumentalmusik stand dabei vorwiegend auf der unteren Stufe; wohl nur die Orgel gehörte zur höheren. Ungefähr um- gekehrt war es mit der Vokalmusik: sie bedeutete vornehmlich die höhere Musik und war in der niedrigeren hauptsächlich durch die Gassenlieder oder dergleichen vertreten. Jene höhere Schicht wurde vorwiegend von der kirchlichen Tonkunst gebildet, während die niedrigere Schicht den fahrenden Leuten verblieb, die unter ver- schiedenen Namen, wie Gaukler, Jongleur, Spielleute usw. be- kannt und nicht gerade wohlangesehen waren. Poesie und Gesang der Troubadour, der Minnesänger und dergleichen mehr war dem Wesen nach höhere Kunst. Dock) hielt sich ein solcher vornehmen Sänger gern einen zu jener unteren Schicht gehörenden Assistenten, der ihm mehr oder wenig« von seiner Leistung abnahm. Den Blondel des Richard Löwenherz ist ein allbekanntes Beispiel dafür. Eine der rührendsten mittelalterlichen Sagen baut sich aufj jene untergeordnete Stellung des Gauklers auf und benützt außer- dem das spezifisch kirchliche Bewußtsein von der Milde der Jung- frau Maria gegenüber der Strenge der männlichen Vertreter der; Kirche, also die späterhin schärfer herausgearbeitete Ucdcrzcugung, daß der leichteste Weg zu Gott durch seine Mutter führt. TrefeH
Ausgabe
22 (25.11.1905) 230
Einzelbild herunterladen
verfügbare Breiten