eS ihn früher durch die Wege der Huerta führte, als der Kleine sich noch an seine Mähne klammerte, und Morrut, um ihn nur ja nicht fallen zu lassen, im langsamen Schritte weiter ging! Batiste, dessen Sinn von all den Widerwärtigkeiten und Sorgen getrübt war, verwechselte in seinen Gedanken das kranke Kind, das tote Pferd, den geschlagenen Sohn und die von einem geheimen Kummer verzehrte Tochter, während er die Vororte der Stadt erreichte und über die Serranosbrücke wanderte. Am Ende der Brücke auf der Esplanade, die die beiden Gärten trennt, den achteckigen Türmen gegenüber, die über den Bäumen ihre Bogenfenster, ihre vorspringenden Schieß- scharten und ihre Doppelreihe von Zinnen zeigten, blieb er stehen und fuhr sich mit der Hand über die Wange. Er wollte seine Besitzer besuchen, die Söhne des Ton Salvador, und sie um ein kleines Darlehn bitten, das er zum Ankauf eines neuen Pferdes brauchte. Und da die Sauber- keit der Schmuck des Armen ist, so setzte er sich auf eine Steinbank und wartete, daß man ihn von dem seit vierzehn Tagen nicht rasierten Bart mit den spitzen und wie Aehren steifen Haaren befreite, der ihm das Gesicht schwärzte. Im Schatten der hohen Plantanen arbeiteten die Bauern- barbiere unter freiem Himmel. Ein paar Rohrsessel mit ab- geschabten Polsterlehnen, ein kleiner Ofen, auf dem das Wasser gewärmt wurde, Servietten von zweifelhafter Farbe und ein paar stumpfe, ausgezackte Rasiermesser, die über die rauhen Gesichter kratzten, daß man eine Gänsehaut bekam, das war das ganze Material dieser Barbierstube. Ungeschickte Jungen, die bei den Friseuren und Bar- bieren der Stadt Anstellung finden wollten, verdienten sich hier die ersten Sporen, und während sie das � Handwerk lernten, Gesichter zerkratzten und die Schädel mit Treppen und Lichtungen schmückten, plauderte der Prinzipal mit den Kunden auf der am Wege stehenden Bank, oder er las der Gruppe von Zuhörern, die, das Kinn in beiden Händen, un- beweglich dasaßen und lauschten, mit lauter Stimme die Zeitung vor. Wer sich auf den Folterstuhl setzte, dem fuhr man zuerst mit einem Stück Seife über die Wangen, dann wurde er aus Leibeskräften gerieben, bis Schaum kam. Dann begann die grausame Arbeit des Rasiermessers mit den Schnitten, die der Kunde mit stoischem Mute ertrug, während das Geficht von Blut überströmt wurde. In einiger Entfernung knirschte die ungeheure Schere, die in unermüdlicher Bewegung über den runden Kopf eines dicken Bauernburschen wanderte, der nach beendeter Operation, nach Art eines Pudels geschoren, eine lange Locke auf der Stirn sitzen hatte, während die hintere Hälfte des Schädels vollständig kahl war, was er übrigens für den Gipfel der Eleganz hielt. (Fortsetzung folgt.) (Nachdruck vcrvotc».) IVIorgcnrandifchcr UXitz. Von Roda Roda . Die folgenden kleinen HunwreSken, von modernen Schriftstellern muselmanischen Glaubens- allerdings meist nach älteren, zum Teil altarabischen Quellen— verfaßt und von mir mit Einwilligung der Verleger übersetzt, geben eine deutlichere Vorstellung von der Natur des morgenläudischen Witzes als spaltenlange theoretische Er« örtenmgen. Die Verfasser heißen Ata NertscheS und Wamik. Der erste ist zweimal vertreten. .» Ein Mann namens Atif hatte die Tochter eines reichen Grund- bcsitzers gefreit. Um seiner Klugheit und Schönheit willen liebten ihn die Schwiegereltern sehr und nahmen ihn, so oft er sie besuchte, mit vorzüglicher Gastfreundschaft auf. Man bereitete die besten Speisen für ihn, las ihm jeden Wunsch von den Augen ab und räumte ihm das schönste Zimmer ein. Atif behagte das alles sehr ivohl, und er kam immer öfter— zuletzt tagtäglich. Selbst das ließen sich die Schwiegereltern noch gefallen. Alis begann sich denn auch schon in ihrem Hause völlig daheim zu fühlen. Wenn eine Speise nicht recht gelungen war, murrte er und ordnete an, was er morgen essen wolle. DaS ward dem Schwiegervater denn doch zu viel. Er befahl eines Tages, das Mahl Aufs übermäßig mit rotem Pfeffer zu würzen. Als Atif wie gewöhnlich zur Effensstunde eintraf und gleich tapfer zulangte, bekam er den roten Pfeffer auf die Zunge— und schon traten ihm auch die Tränen in die Augen. „Wanim weinst Du?" fragte ihn der Hausherr freundlich. »Ah— mir ist meine selige Großmutter eingefallen. DaS ist dieselbe Frau, die immer das Sprichwort im Munde führte: Allzu- viel ist ungesund." »* Das Söhnchen eines Beys hatte von seinem Bater einen..... zum Geschenk bekommen und vergnügte sich damit, ihn zu reiten und zn füttern. Eines Tages stach den Esel eine giftige Fliege und die Kinn« backe schwoll ihm mächtig an. Der Knabe war darüber untröstlich. „Was weinst Du. Kleiner?" fragte ihn der Bey.„Dein Grau- Her wird davon nicht zugrunde gehen; und wenn auch; so lange Dein alter Vater lebt, soll es Dir nie an einem Esel fehlen." *** Man erzählt von einem Kalifen, dessen Rame nicht überliefert ist, daß er ebenso leidenschaftlich das Gold wie die Dichtkunst liebte. Sein Geiz veranlaßte ihn, ungeheure Schätze anzuhäufen, sein Hang zur Poesie, die ganze arabische Literatur auswendig zu lernen. Da- durch wurde sein Gedächtnis allmählich so geschärst, daß er ein Gedicht nur einmal zu hören brauchte, um eS fließend wiederholen zu können. Unter den Sklaven des Kalifen war einer, der seinem Herrn an Geist fast ebenbürtig war. Wenn er«in Gedicht zweimal gehört hatte, kannte er es. Eine Sklavin wieder sagte Gedichte nach drei- maligem Anhören fehlerlos auf. Eines Tages kam der berühmte Dichter Asmai an den Hof und bat, eine Ode vorlesen zu dürfen, die er zum Lobe des Herrschers gedichtet hatte. „Gut", sprach der Kalif —„lies Deine Ode immerhin vor. Wenn sie neu ist, will ich Dich königlich belohnen: Du mitsamt Deiner Schreibtafel sollst mit Gold aufgewogen werden. Ist Dein Lied aber abgeschrieben, laste ich Dich mit Ruten sortpeitschen." Asmai war natürlich seiner Sache sicher— hatte er doch die Ode vollkommen selbständig geschrieben— und las und las. Als er geendet hatte, lachte der Kalif hellauf.„Wie"— rief er —„mit diesem uralten Gedicht wagst Du es, vor mein Angesicht zu treten? Das habe ich ja schon als Knabe auswendig gekannt. Höre einmal, ALmai l"— Und der Kalif rezitierte die Ode Wort für Wort, Der Dichter war wie vom Donner gerührt. „Nicht genug daran, daß ich sie kenne", fuhr der Kalif fort, „auch mehrere meiner Diener kennen die Verse, die Du gedichtet zu haben behauptest." Auf einen Wink des Herrn stand der Sklave auf und wieder- holte die Ode bis zum Schlüsse, ebenso die Sklavin. So ward der Sänger Asmai um seinen Lohn betrogen und mit Ruten fortgepeitsckt. Er hatte aber die List des geizigen Kalifen wohl durchschaut und beschloß, sich zu rächen. Aus den seltensten arabischen Worten flocht er im gewundensten Stile eine neue, viel längere Ode und erschien als Wüstcnbeduine verkleidet abermals vor dem Thron. „Woher kommst Du— und was wünschest Du, Bruder Beduine?" fragte der Kalif . „Allah möge den Herrscher der Gläubigen auf dem rechten Wege erhalten." antwortete Asmai.„Ich bin ein armer Sänger aus dem Stamme Kaudi, o Kalif, und habe ein Lied zu Deinem Preise erdacht." „Gut. sag' Deine Verse auf. Wenn sie neu sind, will ich Dir so viel Gold schenken, wie Du und Deine Schreibtafel zusammen wiegen. Sind fie aber alt--" Asmai machte eine abwehrende Gebärde und unterbrach:„Weml meine Verse alt sind, magst Du mich mit Hieben belohnen." Der Kalif lächelte boshaft, ebenso aber diesmal auch Asmai. der sofort begann, seine verzwickten Sätze ohne Stocken auswendig abzuleiern. Der Kalif riß die Augen auf. Er hatte keine einzige Wendung behalten können. Hilflos sah er den Sklaven und die Sklavin an. Auch ihnen war's nicht besser ergangen. Seufzend gestand denn auch der Kalif ;„Dein Gedicht ist wirklich neu, Beduine. Führt ihn in die Schatzkammer, Ihr Diener, und zahlt ihm sein Gewicht in Gold aus." .Verzeih', o Herr," entgegnete Asmai,„Du hast versprochen, die Schreibtafel mitwiegen zu lassen.. „Nun— und?" rief der Kalif . „Nun— und wir in der Wüste haben keine Wachstafeln und kein Pergament, da habe ich das Gedicht ans zwei Steine ge- meißelt. Sie stehen nicht weit von hier auf einem kleinen Sand- Hügel, und wenn Du zwei recht starke Kamele um sie schickst, können sie in einem Tage zur Stelle sein." Der Kalis versuchte nie mehr, einen Sänger um seinen Lohn zu betrügen.—_ Kleines feuilleton. oe. Borberatungen. Langsam, in dem gemütlichen Schleuder- schritt der zum Vergnügen Bummelnden, trotteten die Drei die Leipzigerstraße entlang. Die beiden jungen Frauen hatten sich untergefaßt, die Mutter ging dicht hinter ihnen. Mit hellen Augen sahen sie in das Lichtmeer, in das Auf- und Niedcrwogcn der Men'chcnmassen. Ab und zu blieben sie an einem Schaufenster stehen und tauschten lachend und vergnügt ihre Meinungen aus.
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22 (7.12.1905) 238
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