Anterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 241.
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Die Huerta.
Dienstag, den 12. Dezember.
( Nachdrud verboten.)
Roman von V. Blasco Jbanez Autorisierte Ueberseßung von Wilhelm Thal. Die Tür blieb verschlossen, ebenso verschlossen wie die Jalousien und die drei Luken, die oben auf der Fassade des oberen Stockwerkes, der Cambra, wo man die Ernten aufbewahrte, Licht spendeten. Der Bandit mußte Batiste von irgend einem Loche her beobachten; vielleicht machte er gerade sein Gewehr zurecht, um tückisch Feuer zu geben; und mit der maurischen Klugheit, die stets bei dem Feinde die bösesten Absichten voraussett, stellte sich Batiste Hinter dem Stamm eines ungeheueren Feigenbaumes, der Pimentos Hütte beschattete.
Der Name des letteren ertönte im Schweigen der Dämmerung, unaufhörlich wiederholt und von tausend Flüchen begleitet.
,, Komm' herunter! Mörder! Feigling!"
Doch das Haus blieb stumm und verschlossen, als wäre es leer.
Einen Augenblic glaubte Batiste, erstickte Stimmen zu bernehmen, den Lärm eines Kampfes, gleichsam eine Schlacht, die die arme Pepita mit Pimento begonnen hatte, um diesen zu hindern, auf die Beschimpfungen zu antworten. Dann hörte er nichts mehr. Und seine Schmähungen erklangen von neuem in dem traurigen Schweigen.
Dieses Schweigen machte ihn noch wütender, als wenn sein Feind sich gezeigt hätte. Er hatte das Empfinden, als mache das stumme Haus sich über ihn lustig. Nun verließ er den Baum, hinter dem er sich versteckt, sprang gegen die Tür und begann mit Kolbenschlägen dagegen zu donnern. Die Blanken zitterten unter dem heftigen Ansturm dieses wahnfinnigen Riesen. Da er den Bewohner nicht niedermachen fonnte, so wollte er wenigstens seinem Born am Hause Luft machen; und so schlug er aufs Geradewohl darauf los, bald auf das Holz, bald auf die Mauer, von der er große Stüde losriß. Er hob mehrmals sein Gewehr, fest entschlossen, seine beiden Schüsse gegen die kleinen Luken der Cambra abzufeuern, und er tat es nur nicht, weil er dachte, daß er dann wehrlos war.
Seine Wut nahm zu, er brüllte Schmähungen und Schimpfworte; seine blutunterlaufenen Augen sahen nichts mehr, er taumelte wie ein Betrunkener. Noch ein paar Augenblicke, und er wäre, wuterstickt, vor Zorn feuchend, zur Erde gestürzt. Aber plötzlich zerrissen die roten Wolfen, die ihn einhüllten, die Heftigkeit machte der Schwäche Platz, er fah sein ganzes Unglück und hatte das Gefühl, er wäre verloren. Sein Born, den dieser schreckliche Strampf gebrochen, schwand mit einem Male; mitten im Schimpfen erstickte seine Stimme in der Kehle und wurde zu einem Stöhnen und Aechzen, und schließlich brach er in Schluchzen aus.
Er beschimpfte Bimento nicht mehr. Nach und nach mich er auf den Wegrand zurück und setzte sich, das Gewehr zwischen den Beinen, auf die Rasenböschung. Er weinte und weinte und fühlte sich erleichtert von diesen Tränen, die ihm den Druck von der Brust nahmen, leicht von den Schatten der Nacht eingehüllt, die sich seinem Kummer zuzugesellen schienen und immer dichter wurden, als wollten sie seine kindischen Tränen verbergen.
Wie unglücklich er war! Er stand allein gegen alle. Seinen armen Kleinen würde er wohl tot finden, wenn er jetzt nach Hause fam; und das Pferd, ohne das er nicht leben konnte, hatten Verräter dienstuntauglich gemacht. Das Unglüd griff ihn auf allen Seiten an, erhob sich gegen ihn auf dem Wege, von den Häusern, vom Röhricht her, und benutte jede Gelegenheit, um die Wesen zu verfolgen, die ihm lieb und teuer waren. Und er war wehrlos, machtlos, er fonnte fich gegen diesen tückischen Mann nicht verteidigen, der sich versteckte, sobald sein Gegner des ewigen Leidens müde, ihn zu stellen versuchte.
Herrgott, was hatte er denn verbrochen, um so gestraft zu werden, war er denn nicht ein ehrlicher Mann? Sein Schmerz drückte ihn zu Boden, daß er wie angenagelt hier figen blieb.
1905
Seine Feinde konnten jetzt kommen; er hatte nicht einmal mehr die Kraft, das Gewehr aufzuheben, das zu seinen Füßen niedergefallen war.
Er hörte auf dem Wege ein langsames Glockenläuten, das die Dunkelheit mit geheimnisvollen Tönen begleitete. Nun dachte er an den Kleinen, an den armen ,, Bischof", der zweifellos eben gestorben war. Ach, wenn er die anderen nicht ge habt hätte, die seiner Arme bedurften, um weiter zu leben Der Unglückliche hätte nicht mehr leben mögen.
Jetzt ertönten die Glocken ganz in seiner Nähe, und über den Weg huschten dunkle Massen, die seine von Tränen getrübten Augen nicht zu erkennen vermochten. Er fühlte, wie man ihn mit der Spize eines Stockes berührte, und bemerkte, als er das Haupt erhob, eine lange Gestalt, die sich von dem weiten Raum abhob, eine Art Gespenst, das sich über ihn neigte. Das war Vater Lomba, der einzige Bewohner der Huerta, der ihm nie etwas zu Leide getan hatte.
Der Schäfer, den man für einen Herenmeister hielt, besaß den erstaunlichen Scharfsinn der Blinden . Er hatte Batiste kaum erkannt, da begriff er die ganze Verzweiflung des Unglücklichen. Während er mit seinem Stocke tastete, stieß er auf das zur Erde gefallene Gewehr und wandte den Kopf, als wolle er in der Nacht Pimentos Haus suchen. Er erriet, warum Batiste weinte.
Und er begann langsam, mit ruhiger Traurigkeit zu sprechen, wie jemand, der an das Unglück for Welt gewöhnt ist, die er doch bald verlassen muß.
,, Mein Sohn, mein Sohn...
"
Das alles hatte er erwartet. Er hatte Batiste an dem ersten Tage gesagt, da er sich auf den verfluchten Aeckern niedergelassen, die Felder würden ihm Unglück bringen. Er war eben am Hause vorübergegangen und hatte durch die geöffnete Tür Licht erblickt, er hatte das verzweifelte Geschrei gehört, der Hund heulte, nicht wahr, der Kleine war tot? und er warnte Batiste, der am Rande des Weges zu sitzen glaubte, aber mit einem Fuß bereits im Zuchthaus stand. Ja, ja, so richteten sich die Menschen zugrunde, so lösten sich die Familien auf... Er würde schließlich dummerweise töten, wie der arme Barret, und wie jener auf der Galeere sterben. Es war unvermeidlich: auf diesen Aeckern ruhte der Fluch, und darum konnten sie nur Früchte hervorbringen, die ebenfalls verflucht waren. Als der Schäfer diese schreckliche Prophezeiung gesprochen hatte, entfernte er sich hinter seiner Herde in der Richtung des Dorfes, nachdem er dem Batiste geraten. hatte, auch fortzugehen, weit, weit fort, wo er fich fein Brot nicht im Kampf gegen den Haß der Armen zu verdienen brauchte.
Und schon war der Greis verschwunden, die Dunkelheit hatte ihn verschlungen; doch Batiste hörte noch immer diese langsame, traurige Stimme, bei der er schauderte: ,, Glaube mir, mein Sohn, sie werden Dir Unglück bringen.“
VIII.
Batiste und seine Familie legten sich keine Rechenschaft darüber ab, wie das Wunderbare begann; fie mußten nicht, wer sich zuerst entschloß, die kleine Brücke zu überschreiten ,. durch die man zu den verhaßten Feldern gelangte. Sie hatten nicht das Herz, auf solche Einzelheiten zu achten. In ihrer tiefen Trauer saben sie nur, daß die Huerta zu ihnen fam, und sie protestierten nicht; denn das Unglück gedarf des Trostes; aber sie freuten sich auch nicht über diese nie gehoffte Annäherung.
Pascualets Tod war in der ganzen Nachbarschaft mit jener seltsamen Schnelligkeit bekannt geworden, die die Neuigfeit augenblicklich von Gehöft zu Gehöft bis zu den äußersten Enden der Ebene fortpflanzt; und in dieser Nacht schliefen viele Leute recht schlecht. Man mochte glauben, der Kleine habe beim Scheiden in den Gewissen dieser ganzen Bevölferung einen Dorn zurückgelassen. Die Weiber bildeten sich ein, ihn weiß und licht wie eine Engelserscheinung zu sehen, wie er, die sanften Augen traurig auf sie gerichtet, ihnen Vorwürfe machte, daß sie zu ihm und den Seinen so hart gewesen waren. Ja, dieses tote Stind scheuchte den Schlummer aus den Hütten.
Sie waren an diesem Tode alle mit verantwortlich; doch jeder wälzte mit heuchlerischem Egoismus die gehässige Ver