Anterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 243.

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Die Huerta.

Donnerstag, den 14. Dezember.

( Nachdruck verboten.)

Roman von V. Blasco Ibanez . Autorisierte Uebersehung von Wilhelm Thal. Das war nicht alles, das Schönste fehlte noch: Die Gir­lande, ein Bündel weißer Blumen mit Behängen, die bis auf die Ohren herabfielen, ein wahrer Wildenschmuck. Pepitas fromme Hand malte in schrecklichem Kampfe gegen den Tod die bleichen Wangen mit Schminke rosa und belebte mit dicker Zinnoberauflage den leichenblassen Mund. Doch um sonst bemühte sich die naive Bäuerin, die weichen Lider zu öffnen, fie fielen immer wieder zu und verbargen die starren, matten, glanzlosen Augen, in denen die Traurigkeit des Todes schlummerte.

Armer Pascualet! Unglüdlicher kleiner Bischof"! Mit seiner seltsamen Girlande und seinem geschminkten Gesicht war er zur Karikatur geworden. Vorher erweckte sein blasser, vom Tode grüngefärbter Kopf, der auf dem Kissen der Mutter ruhte, mit seinen blonden Haaren als einzigem Schmuck eine viel tiefere Rührung. Doch trotzdem begeisterten sich die guten Weiber der Huerta für Pepitas Werk und riefen entzückt:

" Seht nur, seht!" Man möchte glauben, er schläft, so hübsch, so rosig... Nie hatte man solches Engelchen gesehen wie dieses?

Und sie füllten die leeren Stellen des Sarges mit Blumen aus, warfen Blumen auf das weiße Gewand, bedeckten damit den Tisch und stellten Büschel in die Ecken. Die ganze Ebene füßte den Körper dieses Kindes, das sie so oft wie ein Vögel­chen durch die Fußpfade hatte schlüpfen sehen, die ganze Huerta warf eine Flut von Düften und Farben auf diesen leblosen, starren Körper.

Die beiden jüngeren Brüder betrachteten Pascualet mit frommer Bewunderung, wie ein höheres Wesen, das jeden Augenblick davonfliegen mußte.... Der Hund umschlich den Katafalt, streckte seine Schnauze vor, um die falten Wachs­händchen zu lecken; dabei stieß er eine fast menschliche Klage, ein Geheul der Verzweiflung aus, das die Weiber nervös machte, so daß sie das treue Tier mit Fußtritten verfolgten. Gegen Mittag fehrte Teresa, die ihrer Gefangenschaft fast mit Gewalt entwichen war, nach Hause zurück. Ihre mütter­liche Zärtlichkeit empfand eine große Genugtuung, als sie sah, wie man den Kleinen ausgeputzt hatte; fie füßte ihn auf seinen geschminkten Mund und begann wieder zu weinen.

Es war Essenszeit. Batistet und die Kleinen, bei denen der Schmerz nicht den Magen zum Schweigen bringen konnte, verschlangen große Stücke Brot und versteckten sich in den Winkeln. Doch Teresa und ihre Tochter dachten nicht ans Essen. Der Vater, der noch immer auf seinem Strohsessel vor der Tür saß, rauchte eine Bigarre nach der anderen; un­beweglich wie ein Orientale, drehte er seiner Wohnung den Rücken, als hätte er Furcht, den weißen Katafalf zu sehen, auf dem der Leichnam seines Kindes wie auf einem Altar ruhte.

Abends wurden die Besuche noch zahlreicher. Die Frauen famen in ihren Sonntagskleidern, die Mantille auf dem Kopfe, um der Beerdigung beizuwohnen. Die jungen Mäd­chen stritten sich eifrig um die Ehre, zu den Vieren zu ge­hören, die den Kleinen auf den Kirchhof tragen sollten.

Mit trauriger Miene erschienen am Rande der Land­straße, als wollten sie dem Staube wie einer todbringenden Gefahr ausweichen, zwei bedeutende Besucher: Don Joaquin und Donna Josefa. Der Schulmeister hatte seinen Schülern erfläct, in Anbetracht des furchtbaren Ereignisses" fände an diesem Nachmittage fein Unterricht statt. Und man merkte das auch, wenn man die Menge der fecken und unsauberen Schlingel betrachtete, die sich in das Haus schlichen, und wenn sie sich an der Reiche ihres Kameraden satt gesehen hatten, über die Wege liefen oder sich damit belustigten, über den Rinnstein zu springen. Donna Josefa hielt mit ihrem abge­schabten Wollenkleid und ihrer großen Mantille ihren feier­lichen Einzug in das Haus; nach einigen schönen Phrasen, die fie ihrem Manne entlehnte, warf sie ihren dicken Körper in einen Stuhl und blieb dort stumm, gleichsam schlafend, in die

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Betrachtung des Sarges versunken, sigen. Die brave Frau, die gewöhnt war, zuzuhören und ihren braven Mann zu be­wundern, war außerstande, auch nur die geringste Unterhal­tung zu führen.

Don Joaquin, der seinen grünen Gehrock, den er nur an hohen Festtagen trug und seine umfangreichste Krawatte angelegt hatte, setzte sich draußen neben dem Vater nieder. Seine dicken, groben Bauernhände steckten in schwarzen Hand­schuhen, die, von den Jahren gebleicht, die Farbe von Fliegen­flügeln angenommen hatten; er bewegte sie beständig, denn er wollte die allgemeine Aufmerksamkeit auf diesen nur bei feierlichen Gelegenheiten üblichen Schmuck lenken. Er ent­faltete für Batiste die Schönheiten seiner blumenreichsten und flangvollsten Beredsamkeit. Batiste war sozusagen sein bester Kunde und hatte ihm stets pünktlich an jedem Sonn­abend die zwei Heller Schulgeld übersand.

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,, So geht's in der Welt, Sennor Batista, man muß sich in das Unvermeidliche fügen. Wir kennen nie den Willen Gottes, oft läuft auch ein Unglück zum Besten seiner Ge­schöpfe aus."

Dann unterbrach er die lange Reihe der Gemeinpläge, die er pathetisch, als wäre er in der Schule, herunterleierte, und fügte mit leiser Stimme, pfiffig mit den Augen blinzelnd, hinzu:

Habt Ihr diese Menge Menschen beobachtet, Sennor Batista? Gestern fluchten sie noch das Schlimmste auf Euch und Eure Familie herab; und Gott weiß, wie oft ich sie wegen ihrer Bosheit getadelt habe. Heut treten sie mit dem­ſelben Vertrauen in Euer Haus wie in das ihrige und über­schütten Euch mit Liebesbeweisen. Infolge Eures Unglücks vergessen sie ihren Groll, er bringt sie Euch näher."

Nach einer Pause, in der er mit gesenktem Haupte siten blieb, fügte er mit tiefer Ueberzeugung, sich auf die Brust schlagend, hinzu:

" Ihr könnt mir glauben, ich kenne sie genau. Bestien, jawohl, der schlimmsten Dummheiten fähig; doch sie haben ein Herz, das sich vom Unglück rühren läßt, und dann ziehen fie die Krallen ein. Arme Leute! Ist es ihre Schuld, wenn sie als Vieh auf die Welt kommen und wenn niemand daran denkt, sie ihrer traurigen Lage zu entreißen?"

Er schwieg eine ziemliche Weile und fuhr dann mit dem Eifer eines Kaufmanns, der seine Ware lobt, fort:

Hier ist in erster Reihe Erziehung vonnöten, viel Er­ziehung, Tempel des Wissens, die den Glanz der Aufklärung auf die Ebene werfen, Fackeln, die.. die... kurz und gut, wenn mehr Kinder in meine Schule kämen, und wenn die Väter, anstatt sich zu betrinken, mir pünktlich das Schul­geld zahlten, wie Ihr es tut, Sennor Batista, so würden die Dinge besser stehen. Aber ich sage nichts weiter; denn es liegt nicht in meiner Absicht, meinen Nächsten zu beleidigen."

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Er setzte sich dieser Gefahr indessen doch aus; neben ihm standen nämlich einige dieser Väter, die ihm Schüler zu schickten, ohne ihre Taschen mit den zwei Hellern zu be schweren.

Mehrere Bauern, die gerade der Familie die größte Feindseligkeit bezeigt hatten, wagten nicht, sich dem Hause zu nähern und blieben auf dem Wege stehen, wo sie eine Gruppe bildeten. Unter ihnen auch Pimento, der in Begleitung von fünf Musifern aus der Schenke kam und ein recht ruhiges Gewissen hatte, seit er sich wieder ein paar Stunden in Copas Schenke aufgehalten.

Unaufhörlich strömten neue Besucher herbei. Es war fein Plak mehr in der Hütte, die Frauen und Kinder setzten sich auf die Steinbänke am Fuße des Spaliers und auf die benachbarten Böschungen, um hier die Stunde des Begräb­nisses abzuwarten.

Drinnen hörte man Wehflagen und mit energischer Stimme erteilte Ratschläge. Das war Pepita, die Teresa von dem Leichnam ihres Sohnes fortreißen wollte. Man mußte doch vernünftig sein, der Kleine konnte doch nicht immer da­bleiben.... Es wurde spät, und die schlimmsten Augenblicke macht man am besten recht schnell ab.... Und sie kämpfte mit der Mutter, um sie von dem Sarge fortzubringen, in die Kammer zurückzudrängen, um sie zu hindern, der schrecklichen Minute des Aufbruchs beizuwohnen, wenn das Engelchen, auf den Schultern der jungen Mädchen fortgetragen, mit den