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Auch die anderen Kinder waren verschüchtert. Jakob schmeckte nicht Grog, nicht Tabat. Er nipple nur am Glase, und die Zigarre erforderte alle paar Minuten ein Zündholz. Mit den Frauen war's nicht viel anders. Die trotten much geärgert vor sich hin.

Bis Heinrich mit der Faust auf den Tisch schlug: Ist denn das nun Weihnachten? Das ganze Jahr freut man sich drauf und jekt". Bütende Blide nach allen Richtungen.

Onkel Jakob, der unausgesezt auf die Kinder gesehen, stand plötzlich auf und ging hinaus.

Heinrich sah ihm nach, dachte sich aber nichts dabei. Es berging eine Viertel-, eine halbe Stunde. Ein Schlitten flingelte.

Therese horchte auf und nickte.

,, Wo bleibt denn der Jakob?" Ihr Bruder fragte.

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Da blizten Tante Thereses Augen auf: Gedrückt hat er sich! Fortgelaufen ist er! Wie damals bei mir! Nachdem er einen Menschen in Leid verseht hat, läuft er davon! Das ist seine Art! Hab ich nun recht, wenn ich sage: er hat ein Herz wie ein ausgetrocknetes Tintenfaß? Statt zu trösten, statt die gute Laune wieder herzustellen, macht er sich aus dem Staube! O, ich tenne ihn!"

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Unmöglich," sagte Jakobs Schwester. Das kann nicht fein." Nee." Ihr Mann schüttelte den Kopf. Das-1" Er ging hinaus, Jakob zu suchen.

Sam zurück und sagte nur:" Fort ist er!" Dann brachte eine Stunde lang teinen Laut mehr heraus.

er

Nur Therese sprach: ihren ganzen Groll schüttete sie aus. Der hatte sich seit fünfzehn Jahren angehäuft.

Mein

Minna, Jakobs Schwester, schüttelte immerzu den Kopf. Gott , was für ein Ausbund an Schlechtigkeit, Leichtfertigkeit, Herzenshärte war doch ihr Bruder! Na, dachte sie bei sich, wenn Du fertig bist, muß ich wohl auch einen Ton dazu sagen!

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Aber sie kam nicht dazu. Denn noch ehe Therese mit ihrer Anklagerede zu Ende war, läuteten wieder Schlittenglöckchen, die in scharfem Trabe nähergeführt wurden, Fifi bellte, der Schlitten hielt Onkel Jakob trat ins Haus und in die Stube. Sein altes vertrocknetes Geficht leuchtete vor Eifer und Freude: Da, Georg, hast Du eine neue Trompete. Ein schlechter Tausch ist es nicht, glaub ich." Und zu den übrigen:" Ihr anderen dürft es mir nicht weiter übelnehmen, daß ich Euch einige Weihnachts­stunden verdorben habe."

Georg blies schon auf seinem neuen Instrument und war außerordentlich glüdlich. Das stedte an. Mit der Trompete tam der Frieden, kam die Freude wieder.

Wo, zum Teufel, hast Du die denn so schnell hergenommen?" fragte Heinrich.

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" Ich hab eine Ertrapost genommen." Heinrich fehrte sich um, steckte die Hände in die Joppentaschen und sagte: Du bist verrückt." Aber er fehrte sich doch gleich noch einmal um und umarmte Jakob:" Trinkst Du einen Grog Das wollte Jakob gern nicht nur einen. Aber zunächst zog ihn Therese mit zitternden Händen in eine Ede:" Du, jetzt jag mir mal: warum haft Tu mid damals sihen lassen?"

mit mir?"

Er mochte erst nicht heraus mit der Antwort. Sprach aber dann doch mit einiger Unsicherheit: Es war ja nur eine Kleinig teit, aber mich stieß sie ab: ein Taglöhnerlind triegte von Dir ein paar Maulschellen und furchtbar ausgeschimpft, weil es sich ein paar epfel genommen. Da dacht ich: steh'n die Sachen so? Da geh beizeiten."

Therese fand nur langsam ihre Sprache wieder:" Des wegen gabit Du mich auf?" " Laßt doch den alten Klatsch!" Heinrich wurde ungeduldig. Dein Grog wird falt. Eine Weihnachtszigarre hab ich Dir auch schon abgeschnitten."

Onkel Jakob nickte freundlich den Kindern zu und stieß mit seinem Schwager an.

Therese aber war den ganzen Abend hindurch sehr nach denklich.

( Schluß.)

Eine ,, luftige" Gefchichte.

Lilli Fredrich hat sie geschrieben, Schön Suschen und die beiden Grazien" nennt sie sich; eine luftige Ge­schichte", fügt der Untertitel hinzu. Nun, eine luftige Geschichte" ist es auch, man muß viel dabei lachen, nur in etwas anderem Sinne, als die Verfasserin gemeint hat.

Ein Buch für die Jugend, für die reifere Jugend. Die Großen sollten es auch lesen; wenn sie es nämlich gelesen haben, geben sie es der Jugend ganz gewiß nicht in die Hand, weder der reifen, noch der unreifen. Es ist auf dem Gebiete der Jugendliteratur schon viel gefündigt worden, die Iuftige Geschichte" übertrifft alles.

Also, Schön Suschen und die beiden Grazien". Schön Suschen Spielt eigentlich nur eine Nebenrolle, die beiden Grazien heißen im bürgerlichen Leben Thea und Etti Fangmeier, zwei aufgeblasene dumme Dinger, eitel, pubsüchtig, naschhaft und verlogen. Die Mutter hat ihr Vermögen verloren, und die Mädchen sind ge­

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zwungen, Verdienst zu suchen. Thea geht als Gesellschafterin m ein ausgerechnet gräfliches Haus Etti zieht nach Berlin , um das Schauspielern zu erlernen", wie Lilli Fredrich sich ausdrückt. Am Anfang finden wir Thea auf dem Wege zu Grafs". Diese ebenso melodische wie geistreiche Bezeichnung behält ihre Herrschaft durch das ganze Buch. Thea hofft auf große Dinge bei Grajs", vor allem auf einen reichen Mann: Ohne einen Baron als Ver­lobten tam sie gewiß nicht heim, da s stand bombenfest und war so klar wie dice Tinte," sagt Lilli Fredrich in ihrer bilderreichen Sprache. Ueberhaupt diese bilderreiche Sprache; sie übertrifft selbst die der Chinesen. Die Verfasserin verfügt über Vergleiche, auf die kein anderer Mensch kommen würde. Eine Mutter will ihre Tochter nicht in Stellung geben, ihr Bruder redet ihr zu, und dieses Zureden wurde Tauwind für ihre Bea denken, sie, die Marmorharte, ward nudelweich". Ein junges Mädchen wird rot wie ein neugedectes 3iegeldach". Schön Suschen schnellt vor Freude über das Wiedersehen mit einer Freundin in die Höhe, wie eine be= freite Sprungfeder. Eine Leiter fällt um. Kracht fiel sie zu Boden, pardauß! stürzte sie zum andernmal, rattatata saufte sie wieder herab, und mit einem dumpfen unheimlichen. bum- bum- bums dröhnte sie zum vierten Male auf den Teppich nieder." Wirklich eine komische Leiter, sie scheint auch wie eine befreite Sprungfeder" immer wieder in die Höhe gestiegen zu sein. Etti liegt es auf der Brust wie viele Kilogramm", als fie umziehen muß, fie wäre also froh, wenn sie zimmera suchenderweise" ihre Cousine Suse treffen würde.

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In anderen Büchern essen, die Leute und essen auch manchmal ein bißchen viel. Bei Lilli Fredrich fährt man ein". Etti führ ein wie eine Mastkuh, heißt es einmal in einem ganz be­sonders eleganten Bilde und auch von Thea wird gesagt:" sie fuhr große Portionen ein".

fich nicht wundern, wenn sie auch besondere Geschmäcker entwickeln und mal gern was" Extraes" zu essen wünschen; so bestellt sich denn Thea beim gräflichen Koch marinierte Heringe mit Schlagsahne, oder Omelettes mit Sardellen Etti gerät mit ihrer Wirtin in Streit, weil diese den Wirsingkoht nicht mit Kümmel fochen will. Gelegentlich dieser Wirsingkohl affäre flicht Lilli Fredrich übrigens eine hauswirtschaftliche Beleh rung ein, die sehr interessant ist. Der Wirsingtohl war nämlich lein frischer, sondern getrockneter. Rettere Tatsache war aber ohne jeg lichen Einfluß auf die Entwickelung der Ereignisse; denn ob man in einer Großstadt wie Berlin das Gemüse frisch, getrocknet oder in Konserven fauft, ist in bezug auf seine Güte und Qualität total das nämliche." Daß Güte und Qualität auch total das nämliche" find, scheint die Verfasserin nicht zu wissen.

Bei Leuten, die in dieser besonderen Weise speisen, kann man

Wenden wir uns anderen seltsamen Seiten dieses seltsamen Buches zu. Da ist vor allem die geradezu glänzende Kenntnis der Ein Naturgeschichte zu erwähnen, die Lilli Fredrich) entwickelt. zahmer Rabe ist seiner jungen Herrin entflohen und stellt nun philosophische Betrachtungen an über als das Gute, das er daheim gehabt, nämlich:" regelrechtes Essen, anständige Behandlung und sein weiches Federbett". Ob einen Schlafrock und Pantoffeln, wird leider nicht gesagt. Jedenfalls tann man sich aber auch nicht wundern, wenn derselbe Rabe den Speck, den man ihm vorwirft, um ihn heim zu loden, beschnuppert"; wie er das gemacht haben kann, ist freilich etwas rätselhaft. Ein anderes Mal geht Etti mit Salattöpfen über die Straße, fie fallen ihr aus war wieder einer dem Arm; schrumm, pardauz aufs Trottoir gefallen und wurde von zwei Tauben als hoch willkommene Beute begrüßt. Etti aber, fig wie sie war, büdte sich und schlug ihner den Salatkopf um die Ohren. Das schaffte sofort Die Gemaßregelten den gewünschten Erfolg. flogen in die Höhe." Tauben mit Ohren", die ruhig siben bleiben, bis man ihnen einen Salatkopf um diese ihre Ohren schlägt, find wohl auf alle Fälle zoologische Raritäten.

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Aber nicht bloß diese Vergleiche und Unsinnigkeiten, auch der ganze Stil, die Schilderung der Personen und ihrer Eigenheiten geben dem Buch seinen Charakter.

Ich möchte wissen, was sich die Verfasserin gedacht hat, als fie den Pompadour der Dichterin Blütenreich schil= derte. Die Dichterin entnimmt ihm nämlich:" Drei paar Strümpfe, mehrere dickleibige Bücher, bera schiedene Buch Papier , eine große Flasche Brenna spiritus und andere Einkäufe". Ob es wirklich Pompadours" gibt, die all das zu bergen vermögen? Oder soll diese unsinnige lebertreibung zum Lachen reizen? Dann ist's zunt mindesten ein Lachen, das nur mit einem Kopfschütteln begleitet werden kann.

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Und dieses Kopfschütteln kommt einem Seite für Seite. Theas Verhalten bei Grafs" wird geschildert: Wegeisterungsselig und schönheitsdurftig, wie sie war, spielte sie denn( wenn Grafs" nicht daheim waren) Graf und Gräfin möglichst in den Zimmer derselben, und sie legte die Roben der letzteren an." ( Der Zimmer also). Sie kannte das seidene Rotoktokostüm ganz genau, in welchem sie letzthin an einem Herzoglichen Hofe Menuett

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