Anterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 249.

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Die Huerta.

Freitag, den 22 Dezember

( Nachdruck verboten.)

Roman bon V. Blasco Ibanez . Autorisierte Uebersehung von Wilhelm Tha I. ( Schluß.)

Teresa kehrte in ihrem Zimmer alles um und, um, suchte in den Koffern, zerriß Leinewand und machte Streifen, während das junge Mädchen die blutigen Ränder der Wunde auswusch.

Die beiden Frauen stillten das Blut, so gut sie konnten, und verbanden die Wunde. Nun fühlte sich Batiste erleichtert und atmete auf, als wäre er schon genesen. Er hatte in seinem Leben schon oftmals schlimmere Schläge bekommen. Er erzählte seiner Frau zuerst, was geschehen war, dann schalt er die Kleinen und mahnte sie zur Vorsicht. Sie sollte von alledem kein Wort sprechen. Das waren Sachen, die man mit Stillschweigen übergehen mußte. Als Teresa davon sprach, den Arzt holen zu wollen, protestierte er lebhaft. Ebensogut konnte man auch gleich zu Gericht laufen! Er wollte sich selbst behandeln, und seine Haut würde ganz von selbst wieder zuheilen. Die Hauptsache war, daß sich niemand darum fümmere, was am Ufer des Kanals geschehen war. In welchem Zustande sich der andere wohl jezt befinden mochte?

Während Batiste die Kleider wechselte, bemächtigte sich Batistet des Gewehrs, trocknete es, reinigte die Läufe und tat alles Mögliche, um jede Spur des Gebrauchs zu verwischen. Solche Vorsichtsmaßregeln find immer gut. Dann legte sich der Verwundete mit heftigem Fieber nieder.

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Die beiden Frauen verbrachten eine schlaflose Nacht an feinem Bett und reichten ihm jeden Augenblick Zuckerwaffer, das einzige Mittel, das sie im Hause hatten finden können; dabei warfen sie von Zeit zu Zeit scheue Blicke auf die fest­berschlossene Tür, als müßten die Gendarmen ieden Augen­blick eintreten.

Am nächsten Morgen fühlte sich Batiste besser, seine Wunde war augenscheinlich nicht bedenklich. Dagegen quälte ein anderer Gegenstand der Unruhe die Familie. Den ganzen Vormittag sah Teresa, die durch die halb­geöffnete Tür beobachtete, die Leute aus der Nachbarschaft über den Weg wandern und sich in einer wahren Prozession zu Pimento begeben. Diese vielen Menschen! Man bemerkte in der Nähe des Hauses ein wahres Gewimmel. Alle sahen entrüstet aus, schrien, machten mit den Händen heftige Be­wegungen und schleuderten haßerfüllte Blicke auf das ehe­malige Gehöft des Vater Barret.

Als Teresa in Batistes Zimmer trat, um ihm ihre Be obachtungen mitzuteilen, hörte dieser die Neuigkeit grollend an. Diese Wanderung der Bevölkerung zu Pimentos Woh­nung war ein deutliches Zeichen, daß der Prahlhans ernst­haft verwundet war, daß er vielleicht gar im Sterben lag; denn Batiste wußte genau, daß er ihm seine beiden Schrot ladungen in den Leib gejagt hatte. Bei diesem Gedanken figelte ihm ein Etwas unangenehm die Brust. Was würde dann wohl passieren? Ob er auch im Zuchthaus sterben mußte, wie der arme Vater Barret? Nein, auch diesmal würde man die Sitten der Huerta achten und dem Prinzip treu bleiben, aber seinen Freunden, den Terrerolas und den anderen die Sorge überlassen, ihn zu rächen. Und Batiste wußte nicht, was von beiden am meisten zu fürchten war,- die Justiz des Strafgesetzbuches oder die der Huerta.

Nachmittags wollte der Verwundete, trok der Vorhal tungen und Bitten der beiden Frauen aufstehen und aus gehen. Er erstickte; sein an die Arbeit gewöhnter Athleten förper konnte eine so lange Ruhe nicht ertragen. Mit etwas wankenden Schritten und von der Untätigkeit gelähmten Beinen verließ er, während ihm die Schulter noch heftig schmerzte, das Zimmer und setzte sich unter das Spalier.

Der Tag war düster. Es wehte ein für die Jahreszeit zu frischer Wind, violette Wolken bedeckten die bereits niedrig

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stehende Sonne, und hinter ihr verschlossen dunkle Massen die Luft und bedeckten den Horizont wie mit einem undurch­sichtbaren Schleier.

Zuerst blickte Batiste nach der Stadt und drehte Pi­mentos Hütte den Rücken. Er schwankte zwischen der Neu­gier, zu sehen, was dort vorging, und der Furcht, mehr sehen zu müssen, als er eigentlich wollte. Doch schließlich trug die Neugier den Sieg davon, und langsam drehte er den Kopf um.

Jetzt, da die Landschaft ihres Getreidevorhanges beraubt, war das Haus seines Feindes deutlich sichtbar. Ja, es war ein wahres Volt, das da vor der Tür wimmelte: Männer, Frauen und Kinder, die ganze Huerta war herbeigeeilt, um ihren niedergeschmetterten Befreier zu besuchen. Wie diese Leute ihn hassen mußten. Trotz der Entfernung erriet er, daß sein Name von all diesen Mänern ausgesprochen wurde. Im Summen seiner Ohren, im Klopfen und Hämmern seiner im Fieber brennenden Schläfe glaubte er die lauten Drohun­gen zu vernehmen, die diese Menschenmenge ausstieß. Und doch! Gott mußte es, er hatte sich nur verteidigt, und sein einziger Wunsch war es gewesen, seine Familie ernähren zu dürfen, ohne jemandem Schaden zuzufügen.

Der Abend fant hernieder; die Dämmerung warf ein graues, trübes Licht auf die Ebene. Der immer stärker wehende Wind trug plöblich eine wahre Explosion von Jammer und Wutgeschrei zu Batiste hinüber.

Er blickte noch einmal hin und sah nun die Menge im Tumult auf die Tür der fernen Hütte zustürzen. Er sah, wie Arme sich in einem Ausdruck des Schmerzes erhoben, frampfverzerrte Hände, die die Tücher von den Köpfen rissen und sie wütend auf die Erde warfen. Nun strömte ihm sein ganzes Blut zum Herzen. Was sich da drüben ereignete, war nicht schwer zu erflären: Bimento war eben gestorben. Batiste überlief ein Gefühl der Kälte, der Furcht und auch der Schwäche, als hätten ihn alle seine Kräfte plöglich verlassen. Er kehrte ins Haus zurück und atmete erst ruhig, nachdem die Tür fest verschlossen und die Lampe angezündet war. Die Nacht war düster. Die ganze Familie fiel vor Müdigkeit um, weil sich in der vorigen Nacht niemand Ruhe gegönnt hatte. Man faum. Und vor neun Uhr war die ganze Gesellschaft im Bett.

ihm das Herz zum Berspringen. Er fonnte nicht einschlafen. Batiste fühlte fast feinen Schmerz mehr, dagegen Klopfte In der Dunkelheit glaubte er ein blaffe, verschwommene Ge­stalt zu sehen, die nach und nach das Aussehen Pimentos annahm, wie er ihn in den letzten Tagen bemerkt hatte, die Stirn mit einem Verband umwickelt und mit der drohenden Miene eines rachsüchtigen, eigensinnigen Bauern. von dieser peinlichen Vision zu befreien, schloß er die Augen und versuchte einzuschlafen, doch gerade, als der Schlummer sich seiner bemächtigen wollte, begannen seine geschlossenen Augen das tiefe Dunkel mit roten Punkten zu bevölkern. Diese Punkte wurden größer, bildeten bunte Flecken; diese Flecken schwebten wirr umher, vermischten sich miteinander, und wieder einmal näherte sich ihm Pimento langsam mit der grausamen Hartnädigkeit eines bösen Tieres, das mit seiner Beute spielt.

Es gelang Batiste nicht, diesen Alb zu verjagen, der ihn selbst im wachen Zustande quälte. Ja, im Wachen, denn er hörte das Schnarchen seiner neben ihm schlafenden Frau und seiner Kinder, die vor Müdigkeit zusammengebrochen waren, doch ihm war es, als hörte er sie in weiter Ferne, als hätte eine geheimnisvolle Macht das Haus fortgetragen, und als müßte er hier bleiben, ohne trop aller seiner Bemühungen eine einzige Bewegung machen zu können. Immer noch preßte sich Pimentos Geficht an das seine, und er spürte den warmen Atem seines Feindes auf seinem eigenen Munde. Pimento war also nicht tot? Batiste legte sich in seinem Stumpfsinn diese Frage vor und beantwortete sie schließlich mit großer Mühe, daß Pimento doch tot war. Denn dem Prahlhans war nicht nur der Kopf zerschmettert, nein, auch fein ganzer Körper war von zwei Wunden entstellt, deren Lage Batiste nicht zu bestimmen vermochte; aber die Wunden waren vorhanden, und ihre violetten Ränder öffneten sich wie unerschöpfliche Blutquellen. Zwei Schüsse hatten ihn ge