Anterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 1.

1]

Schwärmer.

Mittwoch, den 3. Januar.

( Nachdrud verboten.)

Roman von Knut Hamsun . Autorisierte Uebersetzung von Hermann Kih 1.

Am Küchenfenster des Pfarrhofes steht die Hausmamsell, Marie van Roos; ihr Blick schweift über den Weg fort bis weit hinauf. Sie kennt die zwei da oben an der Hecke, nie­mand anders ist es als Telegraphist Rolandsen, ihr eigener Bräutigam, mit Olga, der Küsterstochter. In diesem Früh­jahr war es jetzt nun das zweite Mal, daß sie die beiden zu sammen sah; was das nur heißen sollte? Wäre Jungfer ban Loos im Augenblick nicht so beschäftigt gewesen, sie wäre schnurstracks zu ihnen hinaufgegangen und hätte eine Er­flärung verlangt.

Aber hatte sie Zeit dazu? Stündlich wurde der neue Pfarrer mit seiner Familie erwartet, und überall herrschte große Emfigkeit in dem geräumigen Hause. Den fleinen Ferdinand hat man an ein Dachfenster postiert; er soll die Bucht im Auge behalten und die Ankunft melden, damit die Reisenden warmen Kaffee vorfinden. Sie werden eine Er­frischung brauchen können; Rosengaard, der Halteplatz für die Dampfer, ist eine Meile entfernt, und von da bringt das Boot sie herüber.

Noch liegt ein wenig Schnee und Eis auf den Feldern, aber es ist Mai und gutes Wetter, und der Tag über Nord­land ist lang und hell. Elster und Krähe haben fleißig an ihren Nestern gebaut, und auf den nackten Hügelchen ist das Gras schon grün. Im Garten die Lilie hat Knospen mitten im Schnee getrieben.

Nun kam es darauf an, was für eine Art Mensch der neue Pfarrer wäre. Das ganze Kirchspiel war gespannt, es zu erfahren. Freilich sollte er nur vorübergehend Stifts­faplan sein, bis ein fester Pfarrer ernannt wäre; aber die Stellvertretung durch die Stiftskaplane in dieser Gemeinde fonnte oft recht lange dauern. Die Fischerbevölkerung war arm und die Reise in die Filialkirche jeden vierten Sonntag beschwerlich genug. Diese Pfründe war ganz und gar nicht von der Art, daß man es mit den Bewerbungen sehr eilig gehabt hätte.

Es hieß, Kaplans wären reiche Leute, die nicht mit den Schillingen knauferten. Die Hausmamsell und zwei Mädchen waren schon gemietet worden; auch mit weiteren Hilfs­fräften für das Gehöft hatte man nicht gespart, sondern zwei Knechte gedungen; dazu kam der kleine Ferdinand, der be­hend und aufgeweckt sein sollte und die Besorgungen für alle zu erledigen hatte. In der Gemeinde machte es einen ge­fegneten Eindruck, daß der Pfarrer für so vermögend galt. Dann würde er es wohl auch nicht immer allzu genau nehmen mit dem Opfer und den Privilegien, sondern im Gegenteil den Armen ein wenig helfen. Die Spannung war groß. Beide Gebülfen des Pfarrers und ein paar andere Fischer hatten sich unten bei den Bootsschuppen zum Empfange eingefunden in ihren schweren Stiefeln, und sie fauten Tabak und spuckten und schwatzten.

Nun kam endlich auch der große Rolandsen gemächlich den Weg heruntergestiegen, er hatte Olga ziehen lassen, und Jungfer van Loos verließ ihr Küchenfenster. Sie würde ihm später einmal ihre Meinung schon sagen; es kam nicht eben selten vor, daß fie Ove Rolandsen zur Rede stellen mußte. Sie war von holländischer Abstammung, sprach Bergensisch und war so zungenfertig, daß ihr eigener Bräutigam sich genötigt sah, ihr den Spitznamen Jungfer Boden- Loos anzu­hängen. Ueberhaupt, der große Rolandsen war ein wißiger, dreister Mann.

Wohin wollte er jegt? Hatte er wirklich die Absicht, die Pfarrersfamilie zu empfangen? Er war heute wohl nicht nüchterner als so oft, in seinem Knopfloch staf ein knospender Lilienzweig, und der Hut saß ihm ein bißchen schief: so würde er auftreten! Die Gehülfen unten bei den Schuppen hätten es freilich am liebsten gesehen, wenn er sich in dieser Stunde, dieser wichtigen Stunde, gar nicht hätte blicken Iassen.

1906

Ging es denn auch wohl an, auszusehen wie er? Seine große Nase war allzu unbescheiden für das wenig bedeutsame Amt, das er im Leben bekleidete; und dazu kam, daß er den. ganzen Winter über sein Haar hatte stehen lassen, so daß er mehr und mehr einen Künstlerkopf bekam. Seine Braut sagte, um sich zu rächen, er sehe aus wie ein Maler, der als Photograph ende. Er war jetzt ein Bursch und Junggesell von vierundreißig Jahren; er spielte Gitarre und sang mit tiefer Stimme die Lieder des Kirchspiels; an den rührenden Stellen lachte er, daß die Tränen rollfen. So großartig war er in solchen Dingen! Er war Stationsvorsteher und zehn Jahre in der hiesigen Stellung. Rolandsen war groß und von starkem Bau; auf eine Schlägerei pflegte es ihm nicht anzukommen, wenn die Gelegenheit günftig war.

Jezt zuckt der kleine Ferdinand zusammen. Von seinem Dachfenster aus sieht er den Steven von Kaufmann Mads weißem Boot um die Landzunge biegen; im nächsten Augen­blick hat er die Treppe in drei verwegenen Sprüngen ge­nommen und ruft in die Küche hinein: So, nun sind sie da!"

,, Herrje, sie sind da!" schreien die Mädchen bestürzt. Doch die Hausmamsell verliert die Fassung nicht, sie hat hier schon beim vorigen Pfarrer gedient und versteht ihr Hand­werk, tüchtig und praktisch wie sie ist. Hinüber mit dem Kaffee," ist alles, was sie sagt.

Der kleine Ferdinand springt mit seiner Neuigkeit weiter zu den Knechten. Die werfen hin, was sie gerade in der Hand haben, fahren hastig in die Sonntagsjacke und eilen zu den Schuppen hinunter, um behülflich zu sein. Da waren nun im ganzen zehn Mann zum Empfange der Fremden beisammen.

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,, Guten Tag," sagt der Pfarrer hinten vom Boot her und lächelt ein wenig und nimmt seinen weichen Hut ab. Und alle Mann am Lande entblößen ehrfürchtig die Köpfe, und die Gehülfen verbeugen sich so tief, daß ihr langes Haar ihnen in die Augen kommt. Der große Rolandsen macht ein bißchen weniger Aufhebens von der Sache als die anderen, er steht ferzengerade, doch auch sein Hut senkt sich tief.

Der Pfarrer ist ein jüngerer Mann mit rötlichem Backen­bart und mit Sommersprossen; seine Nasenlöcher sind fast zugeftopft mit hellem Barthaar. Die Frau liegt seekrank und heruntergekommen im Boothäuschen.

,, Wir sind da," sagt der Pfarrer zur Türöffnung hinein und ist seiner Frau behülflich. Beide stecken sie in merf­würdig alten dicken Kleidern, die sich nicht sonderlich gut ausnehmen. Es sind wohl nur Ueberkleider, die sie sich für die Reise geliehen haben, ihre feine Garderobe haben sie ver­pact. Der Hut ist der Frau in den Nacken gerutscht, ihr blasses Gesicht mit den großen Augen lenkt die Blicke der Männer auf sich. Der Gehülfe Levion watet hinüber und trägt sie ans Land, während der Pfarrer allein fertig wird. Mein Name ist Rolandsen, Telegraphist," sagt der große Rolandsen und tritt vor. Er ist redlich betrunken und hat glasige Augen, doch weil er viel Lebensart besitzt, ist sein Auftreten doch recht sicher. Hoho, Teufels- Nolandsen" flegte feine Verstöße zu begehen, wenn es galt, sich unter den Großen zu bewegen und mit allen den feinen Redensarten um sich zu werfen, die man dazu brauchte. Wenn ich könnte," fuhr er zum Pfarrer gewendet fort, so möchte ich Ihnen hier uns alle vorstellen. Die zwei da sind, glaube ich, die Gehülfen des Pfarrers. Das da sind Ihre beiden Knechte. Das ist Ferdinand."

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Und der Pfarrer und die Frau Pfarrer nicken den Leuten zu: Guten Tag, guten Tag," sie würden sich schon bald fennen lernen. Ja, ja, nun heiße es also, das Gepäck ans Land bringen.

Doch der Gehülfe Levion fieht nach dem Bootshäuschen hin und macht Miene, noch einmal hinüber zu waten. Sind feine Kleinen dabei?" fragt er.

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Man antwortet ihm nicht, und alles blickt die Ehe­leute an. ,, Ob feine Kinder dabei sind?" beharrt der Gehülfe. ,, Nein," antwortet der Führer vom Boot her.

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Das Gesicht der Frau hatte sich gerötet. Der Pfarrer

sagte: Nur wir... Dann kommt Ihr also nach dem Klavieren hinauf, Leute."