Gemeinschaften imö auZgekchnlen Verbänden zusammenleben, mit einem Wort die sozialen Instinkte am stärksten ausgebildet haben. Das klassische Beispiel hierfür bieten die Staaten der Insekten, vor allem der Ameisen und Termiten. Alle Forscher, welche Gelegenheit hatten, eingehender sich mit den Lebensgewohnheiten dieser Tierchen zu beschäftigen, sind voll Bewunderung und höchsten Lobes der ge- waltigen Arbeitsleistungen, die sie vollbringen, und der hohen Kultur- stufe, die sie erreicht haben. Hohe und geräumige Bauten finden wir errichtet, weite Landstrecken in der Umgebung ihrer Burgen ur- bar gemacht und mit Gräsern und Pilzgärten bebaut, ja selbst die Haltung von Haus- und Nutztieren ist ihnen vertraut. Wie konnten Tiere, die ihrem ganzen Bau nach eine so tiefe Stufe im Tierreiche einnehmen, zu einer solchen Höhe der Kultur gelangen, daß man sie nach dem Menschen für die intelligentesten Lebewesen erklären mutz? Ter roh« Kampf ums Dasein versagt hier die Erklärung! Wohl sehen wir auch die Ameisenstämme gegen Stämme anderer Arten und gegen andere Tierklasscn erbitterte Kriege führen, doch im Volke selbst herrscht ewiger Friede! Der Ameise fehlt vollständig jedes Selbstbewußtsein, stets fühlt sie sich nur als Teil eines ganzen, als Mitglied ihrer Gemeinschaft. All ihre Tätigkeit, die Frucht ihrer Arbeit gehören ihrem Volke, und gegenseitige Hülfe, die Unterstützung der Stammesgenossen, bildet die Richtschnur ihres Lebens. Das gleiche Prinzip der gegenseitigen Hülfe finden wir auch bei den höheren Tierklassen, und es ist ein großes Verdienst Peter Kropotkins, in seinem schönen Buche:„Gegenseitige Hülfe in der Entwickelung" auf diese Verhältnisse aufmerksam gemacht und ein reiches Tatsachenmaterial hierfür gesammelt zu haben. Nur wenige charakteristische Fälle mögen hier Platz finden. In den lveiten Steppen Rußlands beobachtet man häusig, wie hoch in den Lüften einsam ein Seeadler(Hnliaetos albicilla) seine majestätischen Kreise zieht. Plötzlich hat sein scharfes Auge irgendwo in dem Grase die Leiche eines gefallenen Tieres erspäht. Anstatt nun sofort herunter zu stoßen und seinen Hunger zu befriedigen, kreist er weiter in der Höhe, von Zeit zu Zeit einen gellenden Schrei aus- stoßend. Bald vernimmt man aus weiter Ferne von verschiedenen Richtungen Antwort, und es dauert nicht lange, so haben sich zu dem ersten Adler zehn bis zwölf andere der gleichen Art gesellt. Erst jetzt, wenn alle zu einer Jagdgesellschaft gehörige Teilnehmer ver- sammelt sind, lasten sich die Tiere gemeinschaftlich auf die Beute nieder, und ohne Neid und Streit verzehrendste ihr Mahl. Ja, während die Mehrzahl sich sofort an das Fressen begibt, lasten sich zwei oder drei der Adler auf erhöhten Punkten der Umgebung nieder und halten Wache, daß keine Störung naht. Nach einiger Zeit werden dann die Wächter von anderen Tieren, die sich bereits ge- sättigt haben, abgelöst. Die Adler haben durch solche Jagdvereinigungen natürlich gegenüber einzeln jagenden Raubvögeln einen ganz gewaltigen Vorteil. Während nämlich ein einzelner Adler trotz seines enorm scharfen Blickes nur einen verhältnismäßig kleinen Kreis abzusuchen vermag, beherrschen die Tiere, wenn sie sich zu Trupps von zehn oder zwölf Exemplaren vereint haben, gleich- zeitig eine Strecke von 40 bis 50 Quadratkilometer. Oft genug konnte ich selbst beobachten, namentlich zu Zeiten strenger Winterskälte, wie eine Schar Krähen sich gemeinschaftlich auf die Hasenjagd begab. Und Meister Lampe, der sich gegen den Uebersall einer einzelnen Krähe, ja sogar eines größeren Rmib- Vogels, sehr wohl zu verteidigen weiß, war angesichts dieser gleich- zeitig von allen Seiten erfolgenden Angriffe und den unausgesetzt auf ihn niedersausenden Schnabelhieben völlig hülflos und wurde in den meisten Fällen eine leichte Beute der schlvarzen Räuber. Gar kein seltener Anblick ist es ferner, daß Krähen einen großen Raubvogel, einen.Habicht oder Bussard, der sich rnworsichtigerweise in die Nähe ihrer Brutplätze gewagt hat, angreifen und in die Flucht schlagen. Ja selbst viel Reinere und schwächere Vögel, wie Schwalben und Grasmücken, besitzen in ihren Vereinigungen eine sichere Waffe und wissen sich feindlicher Angriffe sehr wohl zu erwehren. Nur kurz erinnern kann ich an die Brutgcmeinschaften der Webervögel. Teils bauen diese kleinen Webckünstler im Gczweige eines Baumes dicht nebeneinander jedes Paar sein eigenes Nest, andere wiederum vereinigen ihre Arbeit und errichten gemeinschaftlich in den Baum- krönen aus Pflanzenfasern und Stroh riesige Schutzdächer, unter denen dann erst die Nester angelegt werden. Das großartigste Bei- spiel geselliger Verbände zur Ausübung des Brutgeschäftes bilden jedoch unzweifelhaft die nordischen Vogelberge. In friedlicher Ge- meinschaft nisten dort auf engem Räume zahllose Scharen von Pinguinen. Möwen, Eiderenten, Sceschlvalben und manchen anderen Wastervögcln, und nichts stört den Frieden. Nur erinnern kann ich noch an die Wanderzüge der Vögel, die Gesellschaften der Kraniche und Papageien und endlich an die Fischcreivereinigungen der Flamingos und Pelikane. Wenden wir uns zum Schlüsse noch den höchsten Lebewesen, den Säugetieren zu, so ist es nur nötig, an die Staaten der Biber, die Ausstellung von Wachtposten bei Gemsen und Alpensteinböcken und endlich an die Jagdgesellschaft der Raubtiere und die festen Schutz- und Trutzbündnisse vieler Affenarten zu denken, um zu erkennen, daß auch bei diesen Tieren neben dem Kampfe um die Existenzmittel die gegenseitige Hülfe eine wichtige Rolle spielt.— Kleines Feuilleton. ek. Rußlands erster Memoirist und sein Schicksal. Die definitive Einführung der Leibeigenschaft unter dem ersten Romanow Michael <1612—1640) ist eins der traurigsten Kapitel in der Geschichte des Zarenreiches. Nicht genug damit, erlangte auch die Moskauer Kirche innerhalb des Staates eine furchtbare Macht. Es kamen die großen und weitverbreiteten Bauernaufstände, schließlich die konsequente und grausame Unterdrückung der Nichtkonformisten. Unzweifelhaft müssen alle diese Ereignisse im Volksliede ihren Ausdruck gefunden haben. Aber durch Staat und Kirche wurde, was irgend eine Spur vom Geiste der Empörung zeigte, gewaltsam unterdrückt. So ist es gekommen, daß nur wenige Schriften politischen Cbarakters und die merkwürdige Autobiographie eines nichtkonformistischen Priesters A w a k u m erhalten blieben, lieber ihn und seine Aufzeichnungen, die bis heute das Vorbild russischer Memoiren geblieben find, macht Peter Krapotkin in seinem Werke:„Ideale und Wirk« lichkeit in der russischen Literatur" sverdeutscht von B. Ebenstein. Leipzig , Verlag von Theodor Thomas) interessante Mitteilungen. A w a k u m war nach Sibirien verbannt worden und halte seinen Weg bis zu den Ufern des Amur mit Kosakenbauden zu Fuß zu machen. „Als ich nach Jeniseisk gekommen war," schrieb Awakum,„kam ein anderer Befehl von Moskau , mich nach Dauria, 2000 Meilen von Moskau , zu schicken und mich dem Gewahrsam von Paschkoff zu übergeben. Er halte 60 Mann bei sich, und zur Strafe meiner Sünden zeigte er sich als ein schrecklicher Mann. Fortwährend ver- brannte, quälte und peitschte er seine Leute, und ich hatte oft zu ihm gesprochen, um ihm vorzuhalten, daß das, was er tat, nicht gut sei, und nun fiel ich selbst in seine Hände. Als wir den Angara-' fluß hinaufzogen, befahl er mir:„Gehe aus Deinem Boot, Du bist ein Ketzer. und das ist der Grund. weshalb die Boote nicht vor- wärts kommen. Gehe also zu Fuß über die Berge." Das war schwer zu tun. Hohe Berge, undurchdringliche Wälder, Felsen, die wie Mauern emporsteigen— wir hatten sie zu überschreiten, um- schwärmt von wilden Tieren und Vögeln. Ich schrieb ihm einen kleinen Brief, der so anfing:„Mann, denke an Gott . Selbst die himmlischen Mächte und alle Tiere und llllenschen fürchten ihn. Du allein kümmerst Dich nicht um ihn," Viel mehr stand noch in diesem Brief, und ich sandte ihn zu ihm. Sogleich sah ich 50 Mann koinmen, und sie brachten mich vor ihn. Er hatte das Schwert in der Hand und zitterte vor Wut. Er fragte mich;„Bist Du ein Priester oder ein abgesetzter Priester Ich antwortete:„Ich bin Awakum, ein Priester, was willst Du von mir?" Und er begann mich auf den Kopf zu schlagen und warf mich zu Boden und fuhr fort, mich zu schlagen, während ich am Boden lag, und befahl dann, mir 72 Knutenhiebe zu geben. Ich antwortete:„Jesus Christus . Sohn Gottes, hilf mir 1" Und er war nur umso wütender, daß ich nicht um Gnade bat. Dann brachten sie mich zu einer Festung und steckten mich in ein Verließ und gaben mir etwas Stroh, und den ganzen Winter wurde ich in diesem Turm gefangen gehalten ohne Feuer. Und der Winter dort ist schrecklich kalt. Aber Gott erhielt mich am Lebe», obwohl ich keinen Pelz hatte. Ich lag da wie ein Hund auf dem Stroh. An manchen Tagen gab man mir zu essen, an anderen nicht. Ratten schwärmten überall herum, und ich pflegte sie mit meinqr Mütze zu töten, da die arinen Narren mir nicht einmal einen Stock geben wollten." Die Frau des Exilierten machte alle Strapazen tapfer mit. Später, so berichtet Krapotkin weiter, wurde Awakum nach dem Amur gebracht, und als er und sein Weib im Winter über das Eis des großen Flusses zu marschieren hatten, fiel sie oft vor reiner Erschöpfung nieder.„Dann kam ich", schrieb Awakum..um sie auf- zubeben, und sie rief verzweifelt:„Priester, wie lange werden diese Leiden dauern?" und ich antwortete ihr:„und wen» es bis zum Tode wäre." Dann pflegte sie sich aufzuraffen und zu sagen:„Nun gut, Priester, laß uns weiter wandern." Keine Leiden konnten diesen Mann überwältigen. Vom Amur wurde er nach Moskau zurück- gerufen und wieder mußte er die ganze Reife zu Fuß machen. Dort lvurde er wegen Widerstandes gegen Kirche und Staat an- geklagt und 1681 am Marterpfahl verbrannt.— , Theater. Neues Theater.„L ie bc s l e u te." Komodw in fünf Akten von Maurice D o n n a y.— In ihrer unerforschlichen Weisheit hatte die Zensur, die mit kleinen Streichungen die gröbsten Pariser Possen frei passieren läßt, gegen das feingeschliffcne Donnas- sche Konversationsstück ihr Veto eingelegt. Erst jetzt, mechdcn' die Komödie beträchtlich in die Jahre gekommen— sie wurde um 05 herum mit großem Erfolge in Paris gespielt— hat die Behörde die Tugend eines Berliner Publikums für genügend gefestigt erachtet, um sie den sittlichen Gefahren dieser Plauderei aussetzen zu können. Direktor Reinhardt verdient Dank, daß er die Ausführung ermöglicht hat. Fehlt es den lose aneinder gefügten Szenen auch an raschem dramatischen Pulsschlag, leidet auch die Charätteristik nicht weniger als die.Handlung an einer gewissen abstrakten Magerkeit,— die originelle Pointierung der Liebesgeschichte, der andeutungsreiche, graziöse Dialog und die Fülle intimer Siimmungsnünncen hebt das Stück weit über den DurchsckMtr französischer Theaterlitcratur hinaus. Hier tritt die leichte skepiisch-ironische Tonart, die man den modischen Komödien von Capus als besonderen Vorzug nachrühmt,
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23 (3.1.1906) 1
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