Anterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 4.
4]:
Schwärmer.
Sonnabend, den 6. Januar.
( Nachdruck verboten.)
Autorisierte Uebersehung von Hermann Nih.
Er war sicherlich ganz verrückt.
Wenn Sie den Kopf still halten möchten, so käme ich besser vorwärts," sagte sie.
" Ich soll Sie also nicht ansehen dürfen. Hören Sie, Olga, sind Sie verlobt?"
Doch in dem Punkt war Olga nicht vorbereitet. Auch noch nicht so sonderlich alt und erfahren war sie, daß sie nicht dies und jenes hätte aus der Fassung bringen können.
" Ich? Nein," war ihre ganze Antwort. Nun, glaub' ich, ist es ungefähr gut so. Nun muß ich's nur noch ein bißchen egal schneiden." Sie wollte ihm gut zureden, denn fie hatte ihn im Verdacht, daß er betrunken wäre.
Aber Rolandsen war nicht betrunken, sondern nüchtern: er hatte scharf gearbeitet die lezte Zeit, alle die fremden Watenmannschaften hatten dem Telegraphen viel Arbeit gemacht. " Nein, nur nicht aufhören," bat er; scheren Sie mich noch einmal rings herum oder noch zweimal, dann sind Sie gut."
Olga lachte:
,, Nein, das hat doch keinen Sinn."
„ Ei, Ihre Augen sind wie Zwillingssterne," sagte er. Und Ihr Lächeln umsonnt mich so herrlich."
Sie nahm ihm das Tuch fort und bürstete ihn und sammelte die Haare vom Fußboden auf. Er warf sich nieder und half ihr dabei, ihre Hände trafen sich. Sie war ein junges Weib, ihr Atem strömte ihm zu, und es durchrieselte ihn heiß. Er ergriff ihre Hand. Er bemerkte, daß ihr Kleid am Halse nur mit einer gewöhnlichen Stecknadel zusammengeheftet war. Das sah recht ärmlich aus.
,, Nein warum tun Sie das?" stammelte sie. " Ich hab' keinen Grund. Ja, das heißt, danken will ich Ihnen für Ihre Arbeit. Wäre ich nicht fest und unlöslich berlobt, ich verliebte mich in Sie.'
Sie erhob sich mit den Haaren in den Händen, er lag noch auf der Erde.
,, Sie verderben sich Ihre Kleider," sagte sie und ging zur Tür hinaus.
Als der Küster hereinkam, mußte Rolandsen wieder munter sein, er zeigte seinen kahlen Kopf vor und zog den Hut über die Ohren herunter, damit man sehe, daß er ihm jetzt viel zu groß war. Plötzlich sah er auf die Uhr, sagte, er müsse aufs Bureau, und ging.
Rolandsen ging in den Kramladen. Er bat, man möge ihm Busennadeln vorlegen und Broschen, und zwar zu den höchsten Preisen. Er wählte eine imitierte Kamee und bat um Stundung der Bezahlung. Die erhielt er nicht, er schuldete ohnehin schon genug. Da nahm er eine billige agatähnliche Glasnadel und bezahlte sie mit seinen paar Schillingen . Und Rolandsen wanderte mit seinem Schatz von dannen. Das war gestern abend gewesen..
Jezt sigt Rolandsen in seiner Kammer und kann nicht arbeiten. Er nimmt seinen Hut und geht vors Haus, um zu sehen, wer draußen im Wald an den Bäumen rüttelt. Er läuft direkt in den Rachen des Löwen: Jungfer van Loos ist es, die ihm dies Zeichen gegeben hat und jetzt dasteht und auf ihn wartet. Hätte er nur seine Neugier bezähmt!
"
,, Guten Tag!" sagte sie. Wie Du Dich ausstaffiert haft auf dem Kopfe!"
" Ich pflege mir das Haar im Frühling schneiden zu Lassen," erwiderte er.
Das hab' ich im vorigen Jahr besorgt. Diesmal war ich nicht gut genug dazu."
" Ich mag nicht mit Dir streiten," sagte er. „ Nicht?"
" Nein. Und Du hast nicht hier zu stehen und am ganzen Walde zu rütteln, daß alle Welt Dich sieht."
Und Du hast überhaupt heute nicht hier zu stehen und
zu spaßen," sagte sie.
1906
mir zuwinfen mit einem Delzweig des Friedens," fuhr Rolandsen fort.
"
Hast Du Dir das Haar selbst geschnitten?"
,, Olga hat es getan."
Ja, sie, die vielleicht einmal Friedrich Macks Weib würde, hatte ihm das Haar geschnitten. Er wollte das nicht geheim halten, im Gegenteil, ausposaunen wollte er es.
,, Olga, sagst Du?"
Was denn? Ihr Vater konnte doch nicht." zwei geht zwischen uns," sagte Jungfer van Loos. Du treibst es noch so weit, daß eines Tages alles ent
Eine Weile stand er und bedachte sich. auch das beste," gab er zur Antwort.
Da rief sie: Was sagst Du!"
Vielleicht ist's
Was ich sage? Du verlierst im Frühling total den Kopf, sage ich. Sieh mich an, merkt man mir im Frühling die geringste Unruhe an?"
Du bist dafür auch ein Mann," antwortete sie kurz. Aber ich will mich nicht in das Getue mit Olga finden." „ Ist das wahr, daß der Pfarrer reich ist?" fragte er. Jungfer van Loos wischte sich die Augen und war wieder praktisch und feck wie immer.
Reich? Ich glaube, er ist arm wie eine Kirchenmaus." Eine Hoffnung versank für Rolandsen.
Du solltest seine Garderobe sehen," fuhr sie fort.„ Und dann solltest Du die Garderobe der Frau sehen. Sie hat ein paar Unterröcke, die... Aber ein unvergleichlicher Pfarrer ist er. Hast Du ihn predigen hören?"
Nein."
„ Er predigt wie die besten Kanzelredner, die ich gehört habe," sagte Jungfer van Loos auf Bergensisch.
"
Bist Du dessen sicher, daß er nicht reich ist?" " Jedenfalls war er oben im Kramladen und hat sich Kredit geben lassen."
Da verdunkelte sich für einen Moment die ganze Welt vor Rolandsens Blick, und er wollte gehen. Gehst Du?" fragte sie.
" Ja, was willst Du eigentlich von mir?"
Also so stand es! Der neue Pfarrer hatte sie halbwegs wach gemacht, und sie hatte sich mit viel Sanftmut gewaffnet, doch ihre alte Natur brach wieder durch.
„ Eins will ich Dir sagen," eiferte sie, Du treibst e
zu weit."
Gut," sagte Rolandsen.
" Du tust mir blutiges Unrecht."
"
" 1
Auch gut," sagte Rolandsen weiter.
Ich halt' es nicht aus, ich mache ein Ende mit Dir." Wieder befann sich Rolandsen. Er sagte:
" Ich hab' einmal gemeint, es sollte für immer sein. Andererseits bin ich nicht Gott, ich kann nicht helfen. Tu was Du willst."
,, Das soll ein Wort sein," sagte sie hizig.
,, Am ersten Abend hier im Walde warst Du nicht so gleichgültig. Ich füßte Dich und hörte nichts von Dir als einen fleinen lieblichen Schrei."
"
" Ich habe gar nicht geschrien," protestierte sie. ,, Und ich liebte Dich mehr als das ganze Leben und dachte, Du würdest ein eigen, vornehm Ding für mich sein. Hmhm lala!"
,, Kümmer' Dich nicht um mich," sagte sie bitter; aber wie wird es nun mit Dir werden?"
"
,, Mit mir? Weiß ich's. Was interessiert mich das." Denn das mußt Du Dir nicht einbilden, daß aus der Sache mit Olga etwas wird. Sie wird Friedrich Mack bekommen."
Ach so, dachte Rolandsen, alle Welt wußte es ja. Gedankenvoll fing er zu gehen an, und Jungfer van Loos folgte ihm. Sie famen auf den Weg unten und gingen weiter.
„ Das furze Haar steht Dir gut," sagte sie.„ Aber wie schlecht es geschoren ist, gar nicht glatt geschoren."
" Du sollst ganz im Gegenteil unten am Wege stehen und
ist's
,, Kannst Du mir dreihundert Taler leihen?" fragte er. ,, Dreihundert Zaler?"
„ Auf sechs Monate."
" Ich würde sie Dir ja doch nicht leihen. Zwischen uns vorbei.".