Anterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 16.

F

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Mittwoch, den 24. Januar.

( Nachdruck verboten.)

Der Kuppelhof.

Roman von Alfred Bock .

" Ich will's hoffen," sagte der Bauer, sonst sein wir zwei geschiedene Leut, und Dein Play is vor der Tür. Alleweil weißt Du, wodran Du bist."

Weiter wurde kein Wort gesprochen. Die Mariann langte mit zitternder Hand ihr Andachtsbuch aus dem Glas­schrank hervor und ging in ihre Kammer.

Draußen läutete die Glocke den Sonntag ein. Der Bauer nahm die Müße ab und verrichtete sein Gebet.

Darauf begab er sich in den Hof, dem Henner und der Dine zu sagen, daß sie Feierabend machten. Auf seinem von Falten und Fältchen durchfurchten Geficht lag der Ausdruck der Zufriedenheit. Geruhig ging die Woche zu Ende. Vor allen Dingen: die Bläß war furiert. Und die Mariann? Er hatte sein Kind noch nie auf einer Lüge ertappt. Am Ende tvar's nur müßig Gerede mit dem Kalmud seinem Fried. Eines wohlhabenden Bauern Tochter hatte viele Neiderinnen. Doch gab ihm die Zuträgerei eine Lehre: auf das Mädchen cin wachsames Auge zu haben. Das gebot die Vaterpflicht.

2.

Der Heinrich Pokorny war eine im Dorf und darüber hinaus vielgenannte Persönlichkeit. Seiner bräunlichen Hautfarbe wegen hatte ihm der Volksmund den Spitznamen Stalmuck" beigelegt. Er war ein stattlicher Mann, dem niemand ansah, daß er die fünfzig hinter sich hatte. Seine kleinen, kohlschwarzen Augen befundeten scharfen Verstand. Von seinem Mienenspiel hätte ein Komödiant profitieren fönnen. Einer zugewanderten Backsteinformerin Sohn, hatte er sich bis zu seiner Militärzeit auf den Bauernhöfen herum­getrieben, ohne in ein festes Dienstverhältnis zu treten. Ver­ding ich mich als Knecht, pflegte er zu sagen, berding ich auch meinen Buckel. Als Soldat machte er seinen Vorgesezten viel zu schaffen, und sein Führungsattest wies eine beträcht­liche Zahl von Arreststrafen auf. Dagegen focht er im Krieg gegen Frankreich mit Auszeichnung, insbesondere zeigte er beim Patrouilliren ebenso viel Mut als Verschlagenheit. Aus dem Feldzug heimgekehrt, ruhte er auf seinen Lorbeeren aus, erzählte Kriegsabenteuer und trug patriotische Gedichte vor, wobei ihm sein ausgezeichnetes Gedächtnis zu statten fam. In der Regel sprach er Hochdeutsch, nur im Affekt geschah es zuweilen, daß er in die bäuerliche Mundart verfiel.

Der Landmann, der sein Brot im Schweiß seines Ange­fichts ißt, haßt den Müßiggänger. Eine Zeitlang ließ man den Kalmud gewähren, dann sette man ihm energisch zu, daß er etwas schaffen solle. Die Arbeit, war seine Gegenrede, sei für die Dummen, er, der Heinrich Pokorny, wolle höher hinaus. Da wandte man sich mit Verachtung von ihm ab. Die einzige, bei der er Gnade fand, war die Horlig, eine ledige Person, die auf Taglohn ging und nebenher das Amt der Leichenfrau versah. In ihrer Hütte räumte sie ihm ein Pläß­chen ein. Es dauerte fein Jahr, so kam sie mit einem Buben nieder, dem Fried. Viel später erst gelang es dem Pfarrer, den Kalmuck zu bereden, daß er sich mit der Horlig gesetz­mäßig trauen ließ. Freilich war's ein sonderbares Eheleben, das die beiden führten. Die Frau, eine schlanke Blondine, ging ihrem Beruf nach, der Mann erbettelte in den Dörfern und Städtchen des Kreises mit allerlei Schnurren seinen Unterhalt. Ram er von wochenlangem Streifzug heim, war er sanft wie ein Lamm und sprach:" Frau, hier ist's am besten." Zwei, drei Tage hielt er's im Bann des Dorfes aus. Mit einem Mal war er wieder verschwunden.

Der Fried wuchs, meist sich selbst überlassen, auf. Er war ein zartgliedriges Bürschchen und hatte Bäckchen weiß wie Schnee. Einmal lief er als Hosenmat in aller Herrgotts­frühe bis zum Donnerswäldchen. Am Saum zog sich ein langer Acer hin. Ein Mann im blauen Kittel säte Frucht, schritt dreimal um die Gewann und sprach:

Ihr Vöglein in der Luft, Ihr sollt vergessen diese Frucht, Ihr sollt Kies und Erde fressen Und sollt diese Frucht vergessen!

1906

Im Namen Gottes des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen!" Das war der Bernhard Doßheimer. Plöß­lich spürte der Fried auf seinem Rücken einen laps. Er wandte sich um und erblickte ein kleines Mädchen. Das war die Mariann. Die fragte: Kannst Du Grase fringe?" Da er verneinte, streckte sie beide Aermchen aus, drehte sich um sich selbst herum und sang:

Grase, grafe, kringe,

Die Frau hat sieben Stinner, Gläschen Wein,

Zucker drein

Buz!"

Flugs duckte sie sich nieder und hieß den Fried, das gleiche zu tun. Der meinte, er müsse jezt auch etwas zum besten geben und sang:

Drei dromp dri!

Die Mannsleut, dei hunn Flih! Die Weisleut, dei hunn Läusercher, Dei beiße wie die Mäusercher, Drei dromp dri!"

Kaum daß er geendet, gab ihm die Mariann einen Stum­per und schrie:" Du Säulips, mach, daß Du fortkommst!" und sich gar nicht bewußt war, etwas ungeschickliches gesungen Der Fried, der den Vers irgendwo aufgeschnappt hatte zu haben, zog betrübt ab.

Am anderen Tag trafen die beiden in der Lohmühlsgasse zusammen. Die Mariann, deren Zorn längst berraucht war, nahm den Fried bei der Hand und brachte ihn ihrer Mutter. Die sprach mitleidig: Armes Kerlchen, Dir guckt der Hunger aus den Augen heraus." Darauf ging sie ins Haus und kehrte mit einem Stück Honigbrot zurück. Das verzehrte der Fried mit großem Appetit. Die Mariann zeigte dem neuen Gespielen die Scheune, die Ställe und das Vieh. Er be­fichtigte alles mit ernsthafter Miene und betrug sich musterhaft. Fortan hielten die Kinder gute Kameradschaft. Ihr Lieblingsplatz war nahe beim Donnerswäldchen der Lindges­born. Es war im Frühjahr, als sie dort saßen. Die Bäume trugen junges Laub, und munter rieselte der Quell. Die Mariann hatte einen Maifäfer gefunden. Der lag starr und steif wie ein Siebenschläfer, bis ihn die steigende Sonne zu neuem Leben erweckte. Als er nun aufflog, stimmte die Mariann das Liedchen an: ..Maikäfer flie,

Dein Vater is net hie,

Deine Mutter is im Hessenland, Hessenland is abgebrannt, Maitäfer flie!"

Plötzlich begann der Fried zu weinen. Warum flennst Du?" fragte die Mariann. Er wollte nicht mit der Sprache heraus. Sie aber babbelte: Gelle, weil Dein Vater ein Strunzer is?" Er schluchzte auf. Da schlang fie die Aerm­chen um seinen Hals und sagte: Fried, sei still. Ich will Dein Pappe sein."

Ein Jahr später kamen sie in die Schule. Das Schul­haus, ein nüchterner Neubau, lag der Kirche gegenüber. In einem großen, lichten Raum waren fünfzig Kinder unter­gebracht, auf der einen Seite saßen die Knaben, auf der anderen die Mädchen. Das Szepter führte der Lehrer Reiß. ein tüchtiger, gescheiter Mann. Der freute sich über die klugen Antworten, die ihm Fried, der ABC- Schüße, gab. Wurde dieser hüben gelobt, dachte drüben die Mariann, das gelte auch ihr, und lächelte glückselig vor sich hin.

Der Schulbesuch wird auf dem Lande im allgemeinen als 3wang empfunden. Die Hantierung in Haus und Hof erscheint der Jugend wichtiger als die Beschäftigung mit Schreiben und Rechnen. Diese Auffassung wird von den Eltern insofern genährt, als sie die Kinder frühzeitig daran gewöhnen, in der Wirtschaft mitzuhelfen. Daher werden die Schularbeiten vielfach in Hast und meist erst am späten Abend gemacht.

Der Fried wich von der Regel ab. Daheim bedurfte seiner niemand. Die Mutter suchte ihren Verdienst außer dem Haus. Dem vagabundierenden Vater sich nüßlich zu erweisen, war ihm verwehrt. Nun fand er in der Schule sein Baradies. Da er mit Eifer und Verständnis dem Unterricht folgte, be­wältigte er die Aufgaben leicht, die dem häußlichen Fleiß ver