Anterhallungsblatt des vorwärts Nr. 17. Donnerstag, den 25 Januar 1906 (Nachdruck verboten.) »1 Der Kuppelhof. Roman von Alfred Bock . Es kam die Zeit der Konfirmation. Am Sonntag Exaudi wurden Buben und Mädchen öffentlich geprüft, und der Fried bestand glänzend. Der Mariann wurde aufgegeben, einen Psalm herzusagen. Mitten darin brach sie ab und weinte laut. Nicht daß ihr Gedächtnis sie im Stich gelassen hätte, aber angesichts der ernsten Feier war sie sich in tiefster Seele be- wüßt geworden, wie traurig es sei, daß ihr die Mutter heute fehle. Und der Schmerz überfiel sie, daß sie die Fassung verlor. Am Abend des gleichen Tages saßen der Fried und die Mariann am Lindgesborn. Bor ihnen lag das blühende Tal, im Donnerswäldchen jubilierten die Vögel, aber in den Herzen der jungen Leute kam keine Fröhlichkeit auf. Die Horlig hatte ihrem Sohn angekündigt, daß er in die Kreisstadt zum Schneider Unverzagt in die Lehre komme. Als der Lehrer davon erfuhr, sagte er bewegt:Du, Fried, ein Schneiderl Ich hätt Dir bei Deiner Begabung einen an- deren Beruf gewünscht. Gott geb, daß Dir's glückt I" Der Fried drückte dem braven Mann die Hand, und seine Tränen fielen darauf. Wann kommst wieder?" fragte die Mariann. Vielleicht gar nie mehr," antwortete er bedrückt. Du sollst net so sprechen, Fried I" Er ließ den Kopf hängen. Sie aber sagte, einem plötzlichen Antrieb folgend: Und was ich Dir noch geben kann: Ein Kuß aus meinem Mund, Daß Du an mich gedenken sollst All Tag und alle Stund." Und stand auf und küßte ihn. Am dritten Pfingsttag brachte die Horlig ihren Buben in die Stadt. Wie sie mitsammen über den Marktplatz schritten, sahen sie einen Mann, der von einem Schwärm lärmender Kinder umringt, als Possenreißer eine Vorstellung gab. Es war der Kalmuck. Schnell machten sie sich davon. Der Schneider Unverzagt in der Rittergasse empfing den Fried mit den Worten:Ich will net hoffen, daß Du Dich vaterst. Sonst eins, zwei, drei! fliegst Du hinaus." Des Meisters Besorgnis war unbegründet. Der Fried erwies sich pflichttreu und anstellig, so daß ihn sein Lehrherr bald liebgewann. Dieser war kein Handwerker gewöhnlichen Schlags. Seine stehende Redensart war, der Mensch müsse außer seiner Profession noch etwas Höheres haben. Die Welt- geschichte war sein Steckenpferd. Abends las er in allerlei Büchern und wußte Bescheid wie ein Geschichtsprofessor. Drei Jahre, wie es der Brauch erheischte, machte der Fried seine Lehre durcki. Danach blieb er als Gesell, bis seine Mutter arbeitsunfähig geworden war. Sie hatte sich beim Kartoffelausmacheu einen Leibschaden getan und bedurfte des Sohnes zu ihrer Pflege und Unterstützung. Der Fried kam mit dem Meister Unverzagt iiberein, daß er daheim für ihn schaffe, und schnürte sein Bündel. Unterdessen war die Mariann zur Jungfrau erblüht. Als der Fried ihr zum erstenmal nach seiner Heimkehr begegnete, wurde er rot wie Zinnober. Gu'n Tag, Fried," begrüßte sie ihn freundlich,bist wieder da?" Ja," sagte er,der Kopf is mir wie eine Latern, dann die Mutter liegt noch, und ich muß barbarisch schaffen." Ich Hab auch meine Last," klagte sie.Der Vater is gar wackelig. He mächt's gern vertuckeln. Etz arbeiten wie sonst, das bringt er net mehr fertig. Nu hat er ein Knecht angeuoinmen, den Henner. Das is ein Schanzer, das muß man ihm lassen. Aber er hat ein bösen Blick. Walbersabend") schütt's wie mit Eimern vom Himmel heruilter. Was tut mein Henner? Stellt sich hemdärmelig in Hof und knallt wie besessen mit der Peitsch.Was machst Du dann da?" *) Walpurgisnacht. fragt ihn mein Vater. He spricht, er müßt die Hexen vom Stall verjagen. Kannst mir's glauben, der Spitakel is mir durch Mark und Bein gegangen." Ueber dergleichen Spukgeschichten pflegte der Fried sonst nicht zu spötteln, jetzt konnte er sich nicht enthalten zu lachen. Die Mariann schwieg verletzt, und ein vertrauliches Wort ward nicht gewechselt. In der Spinnstube sahen sie sich wieder. Dort hatte der Fried ob seines Handwerks mancherlei Hänseleien aus- zustehen. Die Mariann mit hochrotem Kopf stieß ihn an und sagte:Hannebambcl, wehr Dich!" Dazu war der Fried nicht der Mann. Als aber beim Geschichtcnerzählen die Reihe an ihn kam. stach er alle Burschen aus. Den Beschluß des Abends machte dasSchildwachtstchen" Das war ein heiteres Spiel, wobei ein Mädchen vortrat und rief:Hier steh ich Schildwacht und brauch Hülfe." Ein Bursche meldete sich als Schützer. Dies wiederholte sich so oft, bis die Burschen und Mädchen sich in zwei Reihen einander gegenüberstanden. Nun erscholl das Kommando:Einen Schritt vor. Legt an. Gebt Feuer!" Paar um Paar küßte sich. Die Mariann hatte es so eingerichtet, daß der Fried ihr Spielgenoß war. In der Folge war der Sohn des Kalmuck Abend für Abend derHeimführer" des reichsten Mädchens im Ort. Nach bäuerlicher Anschauung brauchte er deshalb noch nicht für ihren Liebhaber zu gelten. Der Klatsch aber, der auf dem Land so gut wie in der Stadt alles benagt und begeifert, setzte alsbald die Mäuler in Bewegung. Die einen fuhren los:Was fällt dem Geißbock ein, daß der sich an dem Dotz- heimer sein Mädchen macht? Das is ja die verkehrte Welt. Dem muß man emal ordentlich das Fell versohlen, daß ihm die Flausen vergehn." Die anderen, die dem Dotzheimer nichts Gutes gönnten, höhnten:Laßt's laufen, wie's läuft. Der Dotzheimerberz und dem Kalmuck sein Fried das wird ein schön Schlamassel geben I" Unter der uralten Linde, die seinen Hof beschattete, saß der Zacharias Allendörfer, die Stirn in Falten gezogen, den Blick auf den Boden geheftet. Ueber dem Dorf lag Sonntags- friede. Dem Allendörfer war nicht sonntäglich zumute. Er hatte den ganzen Vormittag gerechnet, bis ihm blümerant vor den Augen geworden war. Und das mit gutem Grund, denn sein Besitz war bis zu einer Grenze verschuldet, die er nicht überschreiten durfte, ohne seine Existenz zu gefährden. Beim Moritz Edelschild stand er mit etlichen tausend Mark in der Kreide. Was man den jüdischen Händlern auch vor- werfen mochte, der Edelschild war der schlimmste nicht. Er lieferte ihm Waren aller Art auf Kredit, nahm ihm die Feld- erzeugnisse ab und zeigte sich beim Viehhandel als reeller Manu. Und doch wär's eine Wohltat gewesen, ihn abzu­schütteln. Leicht gesagt, und schwer getan. Wie die Zeit- Verhältnisse lagen, mußte er froh sein, jemand an der Hand zu haben, der ihn kapitalkräftig erhielt. Angenommen, er schnitt mit einer guten Ernte ab, waren die Fruchtpreise so gedrückt, daß er aus dem Verkauf seiner Produkte kaum die laufenden Ausgaben bestreiten, geschweige Schulden bezahlen tonnte. Die Wahrheit in Ehren: er trieb auch größeren Auf- wand als früher. Noch vor zehn Jahren hatte er einmal im Winter geschlachtet, jetzt gab s dreimal Metzelsuppe. Vielerlei wurde in der Stadt gekauft, was man vormals selbst gezogen oder entbehrlich gefunden hatte. Die heutige Welt ging halt darauf aus, sich ein besseres Leben zu schaffen. Dazu brauchte man Geld und wieder Geld. Eine Verlegenheit löste die andere ab, und mau lief Gefahr, zu verlieren, was man seit Uruälerzeiten besaß. Er fuhr mit der Hand über die Stirn, als wollte er die trüben Gedanken verscheuchen. Sacht, sacht I Er tat ja gerad, als wär Matthäi am letzten. Waren sie nicht un Bauernverein am Werk, daß dem Landmann geholfen wurde? Das kam früher oder später allen und jedem zugute. Dann hatte er besonderen Anlaß, hoffnungsvoll in die Zukunft zu blicken. Da war sein Bub, der Matz. Wenn's dem geriet, sich einen Goldfisch zu fangen, war man aus der Verlegern heit heraus. Der Matz war ein fixer Bursch und hatte sich