Passionen gefolgt, wenn cr sie als solche erkannt hätte. Wer, dasie religiöser Art waren, hielt er sie für seine Pflicht. Er glaubte,es sei seine Pflicht, die Anklagen, die sich gegen diese Schule ohneGott erhoben, zu vernehmen, und er war sich nicht bewußt, mitwelchem Eifer er sie entgegennahm. Ich muß gestehen, daß er dieSache mit peinlichster Sorgfalt und großer Mühe leitete, und daßer ganz erstaunliche Resultate erzielte. Dreißig Schulkinder, diegründlich ausgefragt wurden, antlvortcten anfangs sehr schlecht,dann ging eS etwas besser und schließlich sehr gut. Nachdem sieeinen Monat verhört worden waren, antworteten sie so gut, daß siealle dasselbe sagten. Die dreißig Aussagen stimmten identisch undbuchstäblich übcrein. Dieselben Kinder, die am ersten Tage erklärthatten, daß sie nichts gesehen hätten, sagten jetzt alle mit den-selben Worten und Ausdrücken, daß sie gesehen hätten, wieman ihren kleinen Kameraden mit dem nackten Hinterteil auf einenglühenden Ofen gesetzt habe.Herr Thomas beglückwünschte sich zu diesem günstigen Resultat,aber darauf stellte der Schulmeister unabweisbare Beweise auf,daß in der Schule überhaupt gar kein Ofen gewesenwar. Herr Thomas kam nun zu dem leidigen Verdacht, daß dieKinder logen, aber es kam ihm nie in den Sinn, daß er ihnen ohneWissen und Wollen selbst dies Zeugnis diktiert hatte, das sie nunauswendig hersagtenDie Sache endete mit der Niederschlagung des Prozesses, undder Schullehrer wurde nach Hause geschickt, nachdem ihm derRichter eine ernste Ermahnungsrede gehalten hatte, in derer ihm empfahl, in Zukunft seine brutalen Instinkte zu be-herrschen. Die Kinder aus der Ordcnsschule kamen vor das ver-lassene Schulhaus, sangen Spottlieder und riefen:„Hei HeiKindcrbrateri" und warfen mit Steinen nach ihm. �Darauf wurdeder Schulbehörde berichtet, daß der Lehrer seinen Schülern gegen-über keine Autorität besäße, und seine sofortige Versetzungbeantragt. Sie erfolgte denn auch und der Lehrer wurde in einentferntes Dorf versetzt, wo die Leute ein Platt sprachen, das ernicht verstand. Der Spitzname ist ihm geblieben.In dem Verkehr mit Herrn Thomas habe ich gesehen, wie eskommt, daß alle Zeugenaussagen, die ein Unters uchungs-lichter entgegennimmt, denselben Stil haben. Er empfingmich in seinem Bureau, als er mit Hülfe seines Schreibers geradeim Begriff war, ein Zeugnis aufzunehmen. Ich ivollte mich zurück-ziehen, aber er bat mich zu bleiben, denn meine Gegenwart sei derguten Verwaltung der Justiz in nichts hinderlich. Ich setzte michdaher in einen Winkel und hörte den Fragen und Antworten zu:„Duval, Sie haben also den Angeklagten um sechs Uhr abendsgesehen?"„DaS heißt Herr Richter, meine Frau stand nämlich am Fensterund sagte zu mir: Da geht Socqardot vorbei I"„Es erschien ihr demnach ausfällig, daß er vor Ihrem Fensterwar, weil sie Sie gleich darauf aufmerksam machte. Kamen Ihnendie Allüren des Angeklagten verdächtig vor?"„Ich will Ihren sagen, Herr Richter, meine Frau sagte zu mir:»Da geht Soquardo» vorbei I" Tarauf guckte ich hinaus und sagte:„Ja richfig. das ist Soquardotl"„Gut! Schreiber nehmen Sie das auf: Um sechs Uhr abendsbemerkte das Ehepaar Duval, daß der Angeklagte mit verdächtigenAllüren um das HauS streifte."Herr Thomas stellte noch einige Fragen an den Zeugen, derseines Standes ein Taglöhner war. Die Antworten, die er erhielt,diktierte er dem Schreiber, nachdem er sio in das juristische Kauder-wälsch übertragen hatte. Tann wurde dem Zeugen die Aussagevorgelesen, er unterzeichnete, grüßte und zog sich zurück."„Warum," so fragte ich,„nehmen Sie die Zeugenaussagennicht so auf. wie sie Ihnen uberliefert werden, anstatt sie in eineSprache zu übertragen, die dem Zeugen nicht eigen ist?"Herr Thomas sah mich überrascht an und antwortete mitgrößter Ruhe:„Ich weiß nicht, was Sie sagen wollen. Ich nehme die Aus-sagen so getreu wie nur möglich auf. Alle Beamten tun das. Inden Annalen des Richtcramtes findet sich kein einziges Beispiel,wo eine Aussage durch einen Richter verändert oder gefälscht wordenwäre. Wenn ich dem üblichen Brauch meiner Kollegen gemäß dieAusdrücke der Zeugen etwas modifiziere, so tue ich das, weil Leute,wie dieser Duval, eine sehr schwerfällige Redetveise haben, undweil eS sich nicht mit der Würde der Justiz verträgt, inkorrekte,niedrige, ja bisweilen gemeine Ausdrücke aufzunehmen, wenn dieNotwendilsteit es nicht erheischt. Ich glaube jedoch, mein Herr. Siemachen sich keinen klaren Begriff von den Bedingungen, unter deneneine gerichtliche Untersuchung stattfindet. Bei der Aufnahme undder Gruppierung der Zeugenaussagen darf der Beamte die eigent-liche Sache nicht aus dem Auge verlieren. Der Fall soll nicht nurfür ihn selbst klar werden, sondern für die ganze Richterschaft. ESist also von höckister Wichtigkeit, daß er die Belastungen, die sichaus den oftmals unsicheren und verworrenen Zeugenaussagen undden doppelsinnigen Antworten des Angeklagten ergeben, klar zutagelegt. Wenn sie ohne jede Ordnung und Methode verzeichnet würden,so würden die rechtskräftigsten Beivcise schvach erscheinen und dergrößte Teil der Schuldigen würde der Strafe entgehen."„Aber ist dies Verfahren, das darin besteht, die unsichereMeinung des Zeugen zu präzisieren, nicht gefährlich?" fragte ich.„Das wäre es, wenn die Beamten nicht gewissenhaft wären.Aber ich habe bisher noch keinen Richter kennen gelernt, der sichnicht im vollsten Maße seiner Pflichten bewußt gelvesen wäre, unddoch habe ich an der Seite von Protestanten, von Deiften und Judenals Richter fungiert. Aber es waren Beamte!"„Zum mindestens hat Ihr Verfahren den Nachteil, Her»Thomas," sagte ich„daß der Zeuge, wenn Sie ihm seine Aussagevorlesen, sie schwerlich versteht, da Sie darin Ausdrücke gebrauchen,die ihm ungewohnt und unverständlich find. Was soll dieft»Taglöhner sich zum Beispiel bei„verdächtigen Allüren" denken?"Er antwortete mir lebhaft:„Daran habe ich schon selbst gedacht, und um dieser Gefahrvorzubeugen, treffe ich die größten Vorsichtsmaßregeln. Ich willIhnen ein Beispiel dafür nennen:Vor kurzem war ein Zeuge vorgeladen, der mir recht be«schränkt erschien und über dessen Moralität ich nicht unterrichtetwar. Als der Schreiber ihm seine Aussage vorlas, schien es mir»als hörte er nicht aufmerksam zu. Ich ließ dag Zeugnis noch ein«mal vorlesen, nachdem ich ihn gebeten hatte, sehr genau zuzuhören.Dennoch war ich überzeugt, daß er es nicht tat. Um ihn daher cmdie Einsicht seiner Pflicht und Verantwortlichkeit zu gemahnen,,diktierte ich dem Schreiber einen Satz, kxr in direktem Widerspruchmit seinen bisherigen Aussagen stand, und darauf forderte ich denZeugen zur Unterschrift auf. In dem Augenblick, als cr die Fede»aufs Papier setzen wollte, hielt ich seinen Arm fest.„Um des Himmels Willen," rief ich entsetzt,„Sie unterzeichnenja das Gegenteil von dem, was Sie ausgesagt haben, undsind im Begriff, eine verbrecherische Handlung zu begehen.".„Nun und was erwiderte er darauf?"Er sagte ganz kläglich:„Herr Richter, Sie sind doch kluge»als ich, und müssen besser wissen, was ich schreiben darf."„Da sehen Sie," fuhr Herr Thomas fort,„daß ein Richte«,der sein Amt gewissenhaft verwaltet, sich vor jedem Irrtum be-wahrt. iGIauben Sie mir, mein Lieber, der juristische Irr«tum ist eine Mythe."—Kleines feinlleton.i. Ein Original. In unserer Zeit sind die Leute, denen diesPrädikat zugesprochen werden kann, sehr dünn gesät. Da war eSfrüher anders, und auch die„vergeßlichen" Professoren, wie sie heutenur noch in der Phantasie der Witzblättermacher existieren, liefendamals leibhaftig herum Solch ein Prachiexemplar von„Original"war ein Gymnasialprofessor Johannes Kaspar v. Orslliin Zürich, über den Friedrich Locher einige ergötzliche Mitteilungenhinterlassen hat. Orelli war in seiner Jugend längere Zeitprotestantischer Pfarrer in Bergamo gewesen, hatte sich nachherphilologischen Studien zugewandt nnd galt— er war Heransgeberdes Cicero, Horaz und anderer Klassiker— als erste Autoritätseines Faches. Von sämllichen Professoren des Gymnasiums warer der einzige radikale und scheute sich nicht, seine Gesinnung beijeder Gelegenheit kund zu tun. Daß die Behörde ihn nicht zumaßregeln wagte, hatte Orelli lediglich seinem hohen wissenschaftlichenVerdienste zu verdanken. Seine rechte Schulter war merklich höherals die linke, weil er niemals ohne zwei dicke Bücher auszugehenpflegte. Nicht selten war er nachmittags leicht angesäuselt, wandeltein der Cykloide mitunter direkt gegen eine Maiier. welche er als»dann verwundert bcttachtete, bevor er sich entschloß, umzukehren.Aber keinem seiner Schüler wäre eingefallen, über den verehrtenLehrer mit dem üppigen Silbcrhaar, dem zinnoberroten Gesicht undgeistvoll leuchtenden Auge», auch nur den Mund zu verziehen. SeinVortrag war klar, humoristisch, etwas nonchalant, stellenweise allzuverttanlich. Als er einmal in einer Geschichtsstunde auf denberüchtigten römischen Statthalter VerreS zn sprechen kam, äußerteer sich folgendermaßen:„Dieser Verres war ein Hauptspitzbube.Er lud Notabilitäten zum Gastmahl ein, entlehnte ihr Tafelgeschirr,weil er ftemd sei. Jeder bestrebte sich, dem Stattbalter das Kost-barste, was er besaß, zu schicken. Nachher behielt der Schuft alleszurück oder ließ das kunstvolle Getriebe ablösen. Sie müssen sich denrömischen Haushalt nicht denken, wie den unsrigen. Sämtliche HauS«geräte, selbst daS Unbedeutende, hatte Kunstwert, war von Bronze,Silber oder Gold, mit ziselierter oder getriebener Verzierung. Wirkönnen uns hiervon kaum einen Begriff macheu. Heutzutage isteben alles billig und schlecht. In meinem Haushalte befindet sichkein ganzer Kerzenstock, oder dann fehlt die Lichtschere, alles vonSturz. Wenn ich klage und auf die Römer verweise,� so schimpftmeine Frau und es setzt eine Szene. Nun, sie wird wieder gut undman gewöhnt sich daran. Seien Sie froh, meine Herren, daß Sienicht verheiratet sind I Um aber wieder auf diesen Hund von VerreSzu konimen, so ist kaum glanblich, wie er's gettieben hat. DieFlotte hat er schändlich vernachlässigt. Der Mannschaft nichts zuessen gegeben, als Seetang. Als der Admiral, ein Günstling seinerMaitresse, vor den Seeräubern floh und die Kapitäne seinem Beispiele folgten, ließ er letzteren wegen Feigheit die Köpfe ab-schlagen und konfiszierte ihr Vermögen. Die Verlvandten mußtennoch den Liktor bestechen, damit er ihnen die Leichen herausgebe.Römische Bürger, die als solche von der Strafe der Kreuzigungbefreit waren', ließ er am Hafen mit dein Gesichte gegen Romkreuzigen, damit sie protestieren lömteiu Kurz, ein abscheulicher