Anterhaltungsblatt des vorwärts Nr. 19. Sonnabend, den 27. Januar. 1906 (Nachdruck verboten.) 5] Der Kuppclhof. Roman von Alfred Bock . ..Gelle, Du bliebst gern hier?" forschte die Horlig. ihn scharf beobachtend. „Etz, wo ich mein Zeug beisammen Hab, ja," gab der Fried zurück. „Bloß dessentwegen?" „Weswegen dann?" Er stand plötzlich ans und ging mächtig dampfend in der Stube ans und ab. Fried," sagte die Horlig,„ich kann mich net über Dich beklagen. Du bist von Herzen gut. Aber ein Heimlicher bist Du doch. Was versteckst Du Dich dann vor mir? Als wüßt ich's net. Dir geht die Mariann im Kopp herum. Und mir auch. Etz horch emal. Freitag is doch der Morgenschweiß gestorben. Dem sein Kathrinchen is noch net konfirmiert gelvest, da is der Hannotts schon zu ihr spillen gangen. Das tvar ein braver Mensch, aber blutarm, Sein Vater is nach Paris gemacht und hat da ein gestochen. Dadefiir hat er drei Jahr sitzen müssen. Wie der Morgenschweitz etz merkt, daß der Hannotts nach seinem Mädchen geht, sperrt er sie ein. Das Kathrinchen is aber standhaft geblieben. Und hat richtig den Hannotts gekriegt. Der is nach Hirzenhain ver» zogen und is vorwärts kommen. Zwölf Jahr hat der Morgenschweiß seinem Tochtermann net die Schwell betreten. Dann bat er doch klein beigegeben. Alletveil trägt's dem Hannotts einen gehörigen Brocken." „Was batt das mir?" unterbrach der Fried seine Mutter. Die Horlig hob die Hand. „Stät! Ich will nur dadennt sagen, die Mariann sollt sich an dem Kathrinchen ein Beispiel nehmen. Dernach hättst Du gewonnen." „Wann's an dem is," sprach der Fried voll Zuversicht, „die Mariann bleibt fest." Die Horlig zuckte die Achseln. „Ich glaub's noch net. Das Mädchen is gar weich- mutig. Das hat sie von ihrer Mutter." Der Fried erwiderte nichts darauf, trat ans Fenster und klopfte seine Pfeife aus. Die Horlig erhob sich ächzend von ihrer Bettstatt, hum- pelte durch die Stube und holte ihr Strickzeug aus dem Tisch- kästen. Als sie ihren Platz wieder eingenommen hatte, redete sie weiter:„Guck, Fried, ich möcht enial eine Freud haben, kriminalgroß! Gest sein ich zweiundfünfzig worden,'s is wahrhaftig'n Gott wahr, all meine Tag Hab ich keine Stund gehabt, daß ich sagen könnt, ich war herzhaft froh geWest. Wann den reichen Leut das Unglück bis ans Knie geht, geht's den arnien Leuten bis an Hals. Ich kann ein Lied dadevon singen. Mein Vater selig is im Sonnner zu den Maurern gangen. Im Winter hat er im Wald geschafft. Da hat ihn ein Baum erstrembt. Und war gleich tot. Wie sie ihn meiner Mutter selig gebracht haben, hat die ein Krisch getan und is vor Sckmeck fortgelaufen. Den ganzen Tag bat keins gewußt, wo sie steckt. Dernach is sie doch wiederkommen. Sie hatt' fünf Kinder, und war eins unter- wegs. Etz mußt sie sieb abrackern, daß ihr das Blut aus den Nägeln sprang. Und hatt' über Nacht das Brot net im Haus. In dem Elend sein ich groß worden. Und sein in die Kirch gangen, wo die protzigen Bauern gesessen haben. Und der Pfarrer hat vom Herrn Jesus gepredigt, daß der gesagt hat, die Reichen sollten alles verkaufen und den Armen schenken. Mir hat keiner nix geschenkt. So is es in der Welt. Wie die Mutter gestorben war, sein meine Geschwister von debeim fortgemacht. Deletzt ich auch. Ich Hab in Harten- rod gedient, in Reinhardshain und in Bisses. Da stammt der alt Bickelmeier her. Der hat mein Vater selig gekannt und hat mir hier im Ort das Aemtchen als Leichenfrau ver- schafft. Die Toten haben mir nir getan, aber die Lebendigen! Sell bin ich an Dein Vater kommen. No, dadrüber brauch ich Dir nix zu erzählen. Ach. Herrje! Herzeleid/ nix als Herzeleid!">. e � r-■ L Ihre alten Wunden brachen wieder auf, und sie weinte bitterlich. Der Fried ging auf sie zu und legte die Hand auf ihre Schiliter. „Flenn net, Mutter. Sein ich dann net da?" „Ja, Fried," sagte sie, ihre Tränen mit der Schürze trocknend. „Hab nur ein wink Geduld," sprach er ihr zu,„Du wirst auch noch Freud erleben." „Ja, wann Du die Mariann krägst mit Schappel und Gebänd." „Laß mich nur erst Meister sein, dernach kann ich ganz anders schwätzen." Sie geriet mit eins in Eifer. „Babberlababb! Du kannst's etzener schon machen, daß der Dotzheimerberz Dir das Mädchen geben muß." „Wie dann?" fragte er verdutzt. Sie stieß ihn an. „Stell Dich net eso. Oder soll ich Dich mit der Ras drauf stumpen?" Jetzt begriff er, was sie meinet, und sein Gesichst färbte sich dunkelrot. „Mutter, laß mich ungeheit. Wann ich das Mädchen verschandlappen tat, müßt ich vor mir selber ausspäuzen. Ich Hab genunk dadrunter ausgestanden, daß mein Vater ein Luppcher is. Und soll nett heißen: der Fried is schlecht." Die Horlig wiegte den Kopf hin und her.„Sei net äbsch. Ich mein's doch gut. Das is all schon mehr passiert." „Etz schwei aber still," brauste er auf.„Wann ich auch sonst gebietig*) bin, dadrin tun ich Dir net den Willen. Bis dahin sein ich mit der Mariantt in Ehren gegangen. Und dadebei bleibt's." Er wandte der Mutter den Rücken, nahm die Mütze von der Wand und verließ mit raschen Schritten die Stube. 5. Seit Tagesanbruch war der Bernhard Dotzheimer mit seinen Leuten bei der Mahd. Auf seine Wiesen tat er sich was zugute. Und das mit Recht. Völlig versumpft hatte er sie um billigen Preis von der Gemeinde erstanden, hatte sie trocken gelegt und zu Hohem Ertrag gebracht. Jahr um Jahr, wenn der Kümmel blühte, wetzte er die Sense. Vater und Ellcrvater hatten ihn gelehrt: lieber ein paar Wochen früher mähen, als zu lange damit warten. Kam das Gras erst zur Samenreife, wurden die Wiesen erschöpft, mancherlei Pflanzen starben aus, und Moos und Flechten nahmen überhand. Unter den scharfen Sensen sank das taufrische Gras. Schwaden reihten sich an Schwaden. Dazwischen liefen behend Stare auf und ab, possierliche Gesellen im schillernden Sommerkleid, und suchten Wiirmer und Engerlinge. Würz- geruch erfüllte die Luft. Der Dotzheimer hatte in diesem Jahr für die Heuernte keinen besonderen Mäher gedungen. Sein Knecht, der Henner, schaffte für zwei. Der mähte täglich seine ändert- halb Morgen herunter. In Bellersheim, seinem Heimatsort, hatten sie ihn wegen seiner hühnenhaften Gestalt und wegen seiner Körperkraft Goliath genannt. Der Sohn eines Land- Wirts, der um Hab und Gut gekommen war, hatte er mit verbitterteni Gemüt das Elternhaus verlassen, um als Knecht sein Brot zu verdienen. Doch hielt er sich an keinem Platz, weil er streitsüchtig und ein Mädchenjäger war. Beim Dotz- heimer tat er seiner Natur Gewalt an und betrug sich fried- sam und sittig. Der Bauer, so spekulierte er, steckte in keiner guten Haut und war seinem Monnwerk nicht mehr gewachsen. Der brauchte jemand, ans den er sich verlassen konnte. Da >var er der rechte. Schon daheim hatte er als„Viehnarr" gegolten. Auch jetzt war er morgens der erste im Stall und abends der letzte. Das hatte ihn: des Bauern Gunst er- worden. Unverhuts gelang's ihm, sich festzusetzen. Die Mariann stach ihm gewaltig in die Augen und erregte seine Sinne. Ohne daß sie es merkte, schlich er ihr abends nach, wenn sie zum Lindgesborn ging, den Fried zu treffen. Sollte er den Kalfakter machen? Da wär er schön dumm gewesen. Der Dotzheimer, schätzte er, verheirate seine Tochter eher an den geringsten Kn-'cht an den Sohn des Kal» *) Folgsam.
Ausgabe
23 (27.1.1906) 19
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