beim Viehhandel seinen Vorteil suchte, wer wollte ihm das verargen? Nun war er in Ehren grau geworden und erlebte die Schande an seinem Kind. Nach dem Auftritt auf dem Fest- platz war kein Zweifel mehr: die Mariann hatte sich mit dem Sohn des„Lumpenstechers" eingelassen. Darüber kam er nicht hinweg. Und doch gebot die klare Vernunft, das Mädchen nicht länger zu drangsalieren, denn morgen war sie dem Matz seine Braut. Wer ihm das gestern gesagt hätte, dem wäre er an den Kops gesprungen. Die Welt war jeden Tag eine andere. Not lehrte in den sauren Apfel beißen. Nach allem, was man über den Matz hörte, war er ein regsamer, verständiger Mensch und hatte kein Haar von seinen: Vater. Das war ein großes Glück. So stand zu hoffen, daß die Heirat doch geriet. Mit dem Karges, das war eine harte Nuß. Er konnte das Großmaul nicht verknusen, und das Verstellen war nicht sein Fall. Da gab's noch viel herunterzuschlucken. Die Hauptsache war jetzt der Vertrag. War dem Matz erst das Gut seines Vaters zugetrieben, konnte der keine dummen Streiche mehr machen. Morgen hieß es: die Augen aufgetan und sich nicht beschuppen lassen.— Das Unwetter hatte seinen Höhepunkt erreicht. Es war ein Geroll und Getöse, als stünde der jüngste Tag bevor. Unter dem ungeheuren Luftdruck erdröhnten die Fenster- scheiden, und das Petroleumlämpchen auf dem Tisch flackerte ängstlich hin und her. Der Bauer stand auf, ging an die Kammertür und rief: „Komm craus!" Gleich darauf trat die Mariann in die Stube. Sie trug noch ihren Sonntagsstaat. All die Stunden, seit sie vom Festplatz heimgekehrt war, hatte sie in ihrer Kammer gesessen und wie versteinert vor sich hingestarrt. Ihr bleiches Gesicht war lang und schmal, und eine Gramfalte stand auf ihrer Stirn. Den Blick auf den Boden geheftet, schritt sie zur Ofenbank. „Net bei'n Ofen, wann's gewittertl" warnte der Bauer, der seinen Platz am Tisch wieder eingenommen hatte. Da sie unschlüssig schien, wohin sie sich setzen sollte, gebot er:„Hierher!" Sie ließ sich ihm gegenüber nieder. Er schob chr das Andachtsbuch hin. Sie schaute hinein, doch las sie nicht. Er beobachtete sie, aber er sagte kein Wort. Erst als der Aufruhr draußen nachgelassen hatte und das Gewitter sich zu verziehen begann, hob er an:„Gelle. Du kannst net mehr beten?" „Doch," sagte sie leise und las:«Heiliger Gott ! In Demut und von ganzer Seele sagen wir Dir Dank, daß Du durch Deine große Güte bei all unserer UnWürdigkeit dem Gewitter in Gnaden ein Ende gemacht hast. Du sahst nicht auf die Schwachheit und UnVollkommenheit unseres Gebets. Du hast uns das Leben erhalten, hast uns aus der Not gezogen und vor jedem Unfall bewahrt. Das geloben wir Dir, Herr: wir wollen nicht sein wie die ungetreuen Knechte, die Dich nur dann fürchten, wann Du zürnst, wir Wollen uns durch Deine Wohltaten antreiben lassen, Dich von ganzem Herzen zu lieben. Tu hast unseren Schrecken ver- bannt. Schütze uns ferner vor jeder Gefahr, reiße uns von dem Irdischen los, damit wir uns nach dem Hinnnlischen sehnen, um da, von aller Furcht entfernt. Deinen unaus- sprechlichen Frieden mit Leib und Seele zu genießen, durch unfern HerrN und Heiland Jesum Christum . Amen!" Es war ihr ersichtlich schwer geworden, das Gebet zu be- enden. Sie hatte öfter gestockt, hatte die Tränen gewaltsam zurückgedrängt. Nun brach sie in krampfhaftes Schluchzen aus. Da erkannte der Bauer sich seines Kindes. „Hör etz auf!" sprach er mild.„Was passiert is, is passiert. Ich trag Dir's weiter net nach. Meiner wärzig! Man is ja auch emal jung geWest und weiß, wie's zugeht in der Welt. Ueber das Schwoleschiern*) hätt ich noch gar nix gesagt, wann's einer aus unserm Stand gewest wär. Aber so ein Packvolksbub! Guck, das hat mich in die Rasch' gebracht." l Fortsetzung folgt.)' *) ü fit' bau legieren(von chevau-leger) hier in der Bedeutung: sich zu Ilnsittlichkciten verleiten lassen. (Nach&nur vn»v!kn.) frau ftetenes Skelebeiclung. Bon Roda Roda . Di« nackte Tatsache: Am g. November 1892 überreichte der Advokat Doktor Ladislaus Kondor im Namen der Frau Joseph Körmendy. geborenen Helene Mahr, das Klagebegehren aus Scheidung ihrer zwei Fahre vorher geschlossenen Ehe beim Bezirksgerichte Leopoldstadt — und am selben Tage der Advokat Doktor Ladislaus Kohn ein ähnliches Begehren im Namen des Gatten beim Bezirksgerichte Ofen. Es ist klar, daß ein und dieselbe Ehe zivar wiederholt aus ihre Festigkeit erprobt, aber doch nur einmal geschieden werden kann.— Man kann sich beim Leopoldstädter Bezirksgerichte scheiden lassen, oder man kann sich beim Osener Bezirksgerichte scheiden lassen— je nach Geschmack. In Ofen geht's etwas schneller, weil die Donau am rechten Ufer mehr Strömung hat. und die Mühlen besser klappern. Dafür sind wieder in der Leopoldstadt die Fiaker zum Gericht ein wenig billiger.— Es kommt also schließlich auf eins heraus.— Aber vor allem: man muß Wähler.— entweder— oder! Beide Gerichte dars man mit einer Affäre nicht behelligen. Im vorliegenden Falle bevorzugte Joseph Körmendh Osen. denn er war mn I. November dahin übergesiedelt. Dagegen ent- schied sich Frau Helene für die Leopoldstadt, denn sie hatte sich gc- weigert, ihrem Manne nach Ofen zu folgen. Schon nach zwei Jahren merkt« das Leopoldstädter Gericht, daß es sich eigentlich um die Sache nicht zu kümmern brauche, weil , Frau Helene als augetraute Gattin infolge ihres Treueschwures verpflichtet gewesen wäre, das Wigwam ihres Herrn und Gebieters zu teilen. Gleichzeitig faßte auch das Gericht in Ofen einen gleich- lautenden Beschluß in bezug auf Körmendv. Durch einen Rekurs an ettiche Oberbehörden fetzten die ver- «inigten Advokaten durch, daß Osen klein beigeben mußte. Die Anwaltsrechnungen reichten nun gerade von einem Stadtteil zum anderen, aus der Pester Seite blieb ein Stückchen übrig.— Fünf oder sechs Schritte im ganzen. Dann schrieb Ofen seine Bersöhnungstagsahrten und Zeugen- einvernahmen aus. Es gab einige Verwirrung— man lud irrtümlich die Zeugen für eine ganz andere Sache, nämlich eine Kindes- weglegung. Aber das wurde ohne jede Weiterung erledigt. Kaum hatte es sich nämlich herausgestellt, daß das weggelegte Kind im Winterfeldzug 1349 als Feldviarschall-Leutnant gefallen war— als man auch schon auf die richtigen Zeugen und damit auf die Scheidungs- angelegenheit Wrmendy zurückkam. Wenn nicht zufällig Frau Helenes Rechtsanwalt, Doktor Ladislaus Kondor, noch kurz vor dem Prozesse Ladislaus Kohn ge- heißen hätte— also genau so, wie der gegnerische Vertreter, wäre es wohl nicht vorgekommen, daß man die Eingaben der Parteien immerfort verwechselt hätte. Dann wäre auch das Gericht nicht zu der verfehlten Auffassung gekommen, daß Helene Könnendy ein Mann und Joseph Körmendy Helenes Gattin sei. Endlich hätte auch der zur Feststellung der Identitäten beantragte Lokalaugen- schein entfallen können. Kurz, das ganze Verfahren wären bc- deutend glatter verlaufen. Aber auch so gelang es dem Osener Bezirksgerichte, binnen sieben Monaten einen ganzen Wald von Urteilen zu fällen— eine Meile lang und zwölfhundert Klafter breit— gewiß eine Glanzleistung unserer heimischen Rechtspflege. Am 9. November 1992, genau zehn Fahre nach der Ein- reichung des Klagebcgehrens, an einem Tage also, den Frau Helene ohnehin feierlich begangen hätte, bekam sie das von der königlichen Tafel und Kurie bestätigte Urteil zugestellt, mit dem ihre Ehe unter „Anwendung tödlicher Waffen" für null und nichtig erklärt wurde. — Ter Zusatz von den tödlichen Waffe» erklärt sich aus einem zu- fälligen Zusammenstoß der Akten mit denen des Raubmörders Wondrack.— Es hatte weiter nichts zur Sache, Wondrack wurde dafür ans unüberwindlicher Abneigung der Ehegatten gehenkt.— •• Am Morgen des 10. November pochte Frau Helene an die Tür ihres Anwalts Doktor Kohn, der während des Prozesses den Namen Köllay angenommen hatte. Herr Doktor Kallay ist gewiß kein Feigling. Aber er bedauerte doch lebhaft,„Herein" gerufen zu haben, als Frau Helene mit funkelnden Augen eintrat und mit dem Sonnenschirm Hakenquarten schlug.„Dieser Esell Dieser Trottel!" schrie sie.— Herr Doktor Kallay, der mit allen Fasern fühlte, daß er nn- möglich gemeint sein könne, beschloß. Frau Helene Mahr nach dem Grunde ihres Zornes zu fragen und erfuhr alle-: Der Esel und Trottel bezog sich ans den Kurialrichter. Der hatte vergessen, in dem gestern verkündeten Urteile wider Joseph Körmendy den Ehcherrn zur Zahlung einer jährlichen Rente an die entthronte Gemahlin zu verhalten. Jeder Unparteiische wird zugebe», daß«ine solche Unterlapung für die Betroffene peinlich ist. Doktor Kallay war so unparteiisch wie möglich— er kandidiert ja als Wilder für den Reichstag. — Er empfand denn auch, daß die Nnto'-lfiflnna für die Betroffene peinlich sei und versprach, zu helfen
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23 (8.2.1906) 27
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