AugeMicks fuhr«r zu Gericht, um in den Wen nachzusehen. Während sie der Schreiber säuberlich aus denen des Taschendiebes Pleier hervorsuchte, unter die sie mittlerweile geraten waren, fragte der Anwalt:„Herr Richter— um Gottcswillen— was haben Sie ge- tan? Sie haben die arme Frau Mahr geschieden und sie ohne Mittel zum Lebensunterhalt gelassen I" Schweigend zog der Richter eine Photographie aus dem Faszikel.„Was sagen Sie nun, Herr Advokat?" Auf dem Bilde------ auf dem Bilde lehnte Frau Helen« Mahr ihr Köpfchen zärtlich an die Schulter eines Mannes, der keine, aber auch nicht die geringste Aehnlichkcit mit Herrn Joseph Körmendy zeigte. „Dieser Mann," sprach der Richter,„der hier Frau Helene so süß umschlungen hält, ist der Zymbalschläger Hurvat, seines berühmteren Zigcunervaters dreiundzwanzigster Sohn!— Zuerst hat Frau Helene behauptet, sie sei es nicht. Ms es aber zum Eid« kam, wollte sie nur schwören, sie habe sich mit dem Zymbalschläger niemals photographieren lassen." „Und des Rätsels Lösung. Herr Richter?" „Nun— Sie kennen doch den Joseph Körmendy? Er ist schlau, sehr schlau! Ein Privatdetektiv hat im Hause gegenüber von Frau Helenes Wohnung so lang« ausgepaßt, bis er die beiden auf sein« Platte bekam." Doktor Küllai) war niedergeschmettert.„Arme Frau!" sagte er. „Wovon soll sie nun leben?" „Da kann ich ihr einen Rat geben," rief der Richter.„Sagen Sie ihr, sie möge wieder heiraten— aber sehr, sehr vorsichtig sein. Und wenn sie dann wieder zu uns kommt, werden wir ihr eine Rente zusprechen."—. Kleines f euilleton. i. Tic Anstalt zu Lauterhofen . Bor einigen Jahren brachte es der Zufall, daß ich auf einer Wanderung durch die bayerische Ober- Pfalz auch in dem Marktflecken Lauterhofen zwischen«ulzbach und Amberg rastete. An den Ort knüpfen sich einige interessante Merkwürdigkeiten. Dort erbaute Karl der Große ums Jahr 800 eine Kirche, die noch teilweise in der Marienkapclle erhalten ist. Tort, oberhalb des Ortes, besaßen die Karolinger auch einen großen Meierhof. Vom Ansehen dieses karolingischcn Kaminergutes zeugt es, daß Nürnberg bis in den Anfang des 18. Jahrhunderts eine gewisse Geldabgabe zu entrichten hatte, die dann aber mit 700 Gulden abgelöst wurde. Nach dem Aussterben der Karolinger kam das Schloß an einen Nachkommen der 32 Söhne Bados von Abensberg. etwa 1165. Dann wurde es, mitsamt dem Markt, Lehen der Grafen von Sulzbach. 1305 wurden die Steinlinger, ein angesehenes Geschlecht, Lehensträger des Schlosses. Von deren letztem weiblichem Sprossen ging es 1466 an das Kloster Kastl über, kam nach der Säkularisation 1803 in verschiedene Hände, zunächst an einen Ziegler. dann an einen Bauer. 1858 wurde in den Räumen eine Rettungsanstalt für verwahrloste Kinder errichtet. Seit 1881 erhebt sich auf de» Grundmauern des Karolinger Hofes— denn nichts sonst ist davon übrig geblieben— die oberpfälzische Kretinenanstalt, der ich damals einen Besuch abstattete. Tie weiblichen Pfleglinge sind in drei Klassen eingeteilt, die alle ihre gesonderten Aufenthalts-, Schlaf- und Speiseräume haben: Epileptische, Blödsinnige und Geisteskranke, llnvergehlich schmerz- liche Eindrücke habe ich von jenem Einblick mitgenommen. Herbe Trauer umdüstert die Seele angesichts solch eines aufgehäuften Menschenelends. Das Herz krampst sich einem zusammen, das Auge wendet sich unwillkürlich weg von den Jammergestalten, deren ver- zerrte Gesichter, deren unheimlich wahnglühcnde Augen, deren ver- kümmerte Leiber sich einem tief ins Gedächtnis prägen. Das Gehör baben sie ja wohl alle, aber die Fähigkeit der Sprache hat keine. Gurgelnde Laute, abgebrochenes kindisches Lallen, blödes Grinsen und wahnsinniges Lachen dringt einem entgegen. Da war eine ält- liche Frau mit vollständig zerstörtem Nervensystem, immer aus- geregt, immer furchtbar erschrocken. Die Aermste verlor einst plötzlich total den Verstand, als ein Pferd bei der Hochzeit ihrer Schwester scheute. Dort saß eine Frau am Spinnrade, den Faden in der Hand; doch der Fuß bewegte nicht das Rad— apa tisch, mit halb geschlossenen Augen und nickendem Kopfe brütete sie vor sich hin. Hier sah ich ein kleines Mädchen: unter ewigem Lachen baute es von Klötzchen eine Säule, die, wenn sie umfiel, immer wieder von Neuem mit gleicher Hast aufgetürmt wurde. Dann war noch ein Mädchen von etwa 20 Jahren oder noch älter, aber wie ein Kind: es vertrieb sich mit stummem Lächeln fortwährend die Zeit durch ewiges Hin- und Herwiegen des Oberkörpers und Armvcr- schränken. Die einen zupften Tuchlappcn. die anderen Wolle; aber da geht nichts vom Fleck, wiewohl die Finger rastlos zerren und reißen, ja selbst nicht selten wund gerieben werden. Es ist nicht zum Beschreiben? Und all diesen Jammer sucht die Opserwilligkeit der Pflegerinnen zu mildern: Hier ein liebes freundliches Wort, dort eine lächelnde Ermunterung, ein zartes Streicheln der Wangen , des Haares. Aber ewig dämmert hier die Nacht eines seine ver- lorene Heimstätte ängstlich suchenden Geistes, und der Genius der Menschheit trauert gebeugt um all das Leben, das, obwohl atmend und sich regend, längst dem Tode, längst dem Gvabe verfallen... k. Nebcr den Vogclruf im Volksglauben macht Prosessor R«n« Bloch in der„Revue musicale " interessante Mitteilungen: Der Gesang der Vögel gilt im allgemeinen bei den Völkern öfter als ein gutes Vorzeichen denn als ein schlechtes. Ader auch Unheil und Gefahr wird durch die gefiederten Bewohner der Lust nicht selten verkündet. Bei den slavischen Völkern, besonders bei den Pole» und Litauern, kündet der Schrei der Eule Unglück und Tod an; das gleiche Unglück droht in verschiedenen deutschen Gegenden einem Hause, auf dessen Mauer sich der kleine Fischadler während einer mondhellen Nacht niederläßt, um seinen eintönig melancholischen Ruf durch die Stille dringen zu lassen; hat man das Erscheinen eines solchen Vogels im Torf- bemerkt, dann heißt es, daß in dem Hause, auf den, der seltene Nachtsänger rastet, gar bald jemand sterben werde. Ein ähnlicher Glaube herrscht auch in einem anderen weitentfernten Lande, in Hindostan. Das Krächzen des Raben wird m Rußland und in Serbien als Vorausverkündigung, daß bald Blut vergossen werden solle, angesehen. Der Schwan galt im griechischen und germanischen Volksglauben lange als ein weissagender Vogel, und noch heute lebt in unserer Sprache die Erinnerung an seinen traurig melodischen Sang, den er anstimmt, wenn er sein Ende herannahen fühlt. Nun ist unser gewöhnlicher Schwan freilich nicht imstande. Töne hervor« zubringen, die diesen Glauben irgendwie rechtfertigen würden, aber es gibt wohl wild« Schwäne, den Singschwan und den Zwergschwan, die während ihrer Flüge helle und scharfe Laute ausstoßen und ein mächtiges Klingen und Tönen hervorrufen, das sie durch ihre weiten Flügelschläge»och verstärken. Wem eine solche helle Melodie von hoch her aus den Lüften ins Ohr drang, wer die rauschende Bewegung in der Lust und den anschwellenden Laut des FlügelsDages hörte, der tonnte sich wohl von einer überirdischen Stimmung umwittert fühlen. Ter Gesang des sterbenden Schwans ist eine Vorstellung, die von manchem Gelehrten mit dem Glauben der altskandinavischen Mythologie an die Walküren in Verbindung gebracht wird. Man stellte sich ja diese Schwertjungfrauen mit Schwanenslügeln vor, man erzählte von ihnen, daß sie durch die Luft flögen und die Helden auf der Wahlstatt mit dein sie dem Tode weihenden Gesang begrüßten. Ter Walkürengesang dieser Schwanenjungfrauen also war das Todeslied, das die tapferen Helden zur Seligkeit der Walhalla hinaufgeleitete. Der Kuckuck gilt bei den Russen und bei den meisten anderen slavischen Völkern für einen Vogel, der Trauriges verkündet. Nach einer alten serbischen Sage war der Kuckuck, der in» Serbischen Kukawisa heißt, ein schönes junges Mädchen, das unaufhörlich über den Tod ihres Geliebten weinte, bis es endlich in einen Vogel ver- wandelt wurde, der nun noch immer durch die Luft die beiden melancholischen Töne seiner nicversiegenden Klage erklingen läßt. So kann denn auch ein junges serbisches Mädchen, das seinen Ge- liebten verloren hat, niemals den Kuckuck hören, ohne Tränen zu vergießen. Sonst gilt in Serbien der Kuckuck für einen prophetischen Bogel, und wird besonders von den Räubern gefragt, die nach seinem ersten oder nach seinem letzten Ruf Schlüsse auf die Zukunft ziehen. Für die germanischen Völker ist der Ruf des Kuckucks, der sich in der schönen Jahreszeit des Frühlings zum erstenmal hören läßt, im allgemeinen eine gute Vorbedeutung. Bekannt ist der Aberglaube bei den Deutschen , der sich schon aus der frühesten Urzeit her belegen läßt, daß man aus der Zahl der Rufe des Kuckucks auf die Anzahl der Jahre schließt, die man noch zu leben hat. Wenn man den Vogel befragt, so kann man auch durch die Wiederholungen seines RufcS herausbekommen, wie viel Jahre noch verstreichen müssen, damit ein besonders wichtiges Ereignis im Leben des Fragenden eintreffe, Es gibt eine alte Geschichte, die da erzählt, daß ein Mann, der ein unstetes Und wildes Leben geführt hatte, den Entschluß faßte, den Rest seiner Tage der Reue zu weihen und in ein Kloster zu gehenz Schon war er auf dem Wege zu den Mönchen und sah am Waldes, hang das Kloster vor sich liegen, als plötzlich hinter ihm der Ruf des Kuckucks ertönte. Der Frühling fing an. und sein erster Bote verkündete ihn der Welt. Voll Unruhe und Spannung lauscht es aus die Zahl der Rufe und findet, daß er nach der Prophezeiung des Vogels noch 22 Jahre des Lebens vor sich hat. Das machte chn nachdenklich und stieß alle seine Entschlüsse um, bis er schlichlich auf den Gedanken kam, daß es besser wäre, von den 22 Jahren noch 20 auf die Freuden der Welt zu verwende» und erst die letzten beiden Jahre in der Beschaulichkeit und Reue des Klosters zu verbringen. Sogleich kehrte er um und wanderte wieder der Welt und dein Lcberi zu. In Schweden befragen die Bauernmädchen den Kuckuck, wie lange es noch bis zu ihrer Hochzeit dauert. Aber häufig reut sie ihre vorlaute Neugier, denn der neckische Vogel will nicht aufhören zu rufen. Dann halten sie sich die Ohren zu und laufen fort, nach- dem sie drei- bis viermal die Wiederholung des Kuckucksrufes ab- gewartet haben. Ein Mädchen aber, das mehr als zehnmal den Vogel seinen Ruf ausstoßen gehört hat. erklärt dann in überlegenem Tone, daß sie nicht abergläubisch wäre, daß es nichts Tummerei, gäbe, als auf solch ein albernes Anzeichen zu horche», und daß st« an nichts weniger auf der Welt glaube als an den Ruf des dummen Kuckucks.— kvcographischeS. — Der Y a n g t z c k i a n g. Der„Franksurter Zeitung" wird aus Schanghai geschrieben: Uebcr Chinas größten ström, den mächtigen Dangtzekiang, findet man in dem jüngst erschienenen Buch« von Archibald Little. betitelt„Tbe b'ar East", folgende Angaben; Der Dangtzc ist für die Chinesen der..jsiang", d h. de, „Strom" par«xcellence, ebenso wie der Hoangho für sie der„Ho oder der„Fluß" par«xcellence ist. Den Ausdruck«Nangtzekiang�, der so viel bedeutet wie der Strom von Jangtschau(am großen Kaiserkanal, nicht weit von Tschinkiang am Nangtzckiaug gelegen)!
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23 (8.2.1906) 27
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