Anterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 37.

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Donnerstag, den 22. Februar.

( Nachdrud verboten.)

Der Kuppelbof.

Roman von Alfred Bock .

Baghaft pochte die Dine an die Tür der Dorfsibylle. Gemurr und Geschimpf schollen ihr entgegen. Die Alte lag noch auf ihrem Strohsack. Die Dine nannte ihren Namen und sagte, sie begehre einen guten Rat". Da erhob sich die Wannigen und öffnete. Sie war eine hohe Siebzigerin, hatte rote Augen und einen barbarischen Kropf.

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Am ganzen Leibe zitternd, erzählte die Dine von ihren bangen Ahnungen und von ihrem Traum.

Du seist net recht bei Trost," rasaunerte die Alte ,,, daß Du Dir Dein Hirnkasten mit so dummen Gedanken verreißt. Dem Henner is gar nir passiert. So ein himmellanger Sterl nimmt's mit zehn Vagabonden auf. Ich will emal mein Erd­spiegel langen. Dernach weiß ich gleich Bescheid."

Aus einer uralten Kiste von Nußbaumholz holte sie einen kleinen Spiegel hervor, in dessen Rahmen allerlei geheimnis­volle Zeichen eingraviert waren. Darauf hauchte sie dreimal über das Glas, blickte lange hinein und sprach:" Borderhand sehn ich nir als Wolfen.' s hängt in dere Gegend ein Gewitter am Himmel. Richtig,' s donnert und plätschert gehörig. Et wird's ein wink heller. Nu kommt die Sonn' durch. Da springt ein Weidhirtenbub. Da is auch Vieh. Was für schöne Aecker!' s muß gegen den Rhein zu sein, weil alles so platt is. Alleweil sehn ich den Henner.

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Feuer und Wacht!" rief die Dine, die mit größter Spannung lauschte. Kannst Du dann mit ihm schwätzen?" " Bst!" machte die Wannigen. Das darf man net. Laß mich emal guden."

Ich werd' mich hüten, das könnt' Dein Tod sein." Ei was!"

" Ja freilich. Et hab' ich durch Dein Geseif den Henner verloren. Halt! Ich hab' ihn wieder. He geht ganz stolz da enaus. Nur hat he merkwürdig dicke Hosensäck."

Kein Wunder," grinste die Dine, das sein meine drei­hundert Mark."

,, Gelle!" ficherte die Alte. No weißt Du, wodran Du bist.' hat Deinem Schatz halt net gepaßt mit dem Aecker­strich in Bellersheim . He sucht sich anderswo ein Eigengut. Das geht net so schnell, wie Du Dir das vorstellst. Meine Sag' is: der Henner is treu und tut nir nebig dem Herz her. Wann's so weit is, kommt he und holt Dich, das is gewiß. Ey leg' Deine Mark her und troll' Dich!"

Die Dine entrichtete ihre Mark und begab sich beruhigt wieder an ihre Arbeit. Die Wannigen war ein unheimlich Weibermensch, aber sie verstand ebbes", das mußte der gelbe Neid ihr lassen. Der Henner war also wohl und munter. Daß er nicht schrieb, war sonderbar. Ja no, das Briefschreiben war nicht jedermanns Sache. Solang er beim Doßheimerberz im Dienst stand, hatte er nie eine Feder angerührt. Und dann: er hatte all seine Gedanken jetzt auf den Erwerb des Eigenguts zu richten. Das konnte jeden Tag geraten, es fonnte sich berzögern, je nachdem sich die Staufgelegenheit bot. Sie würde die Geduld nicht verlieren. Wie hatte die Wannigen gesprochen?

Der Henner is treu und tut nir nebig dem Herz her." Das war auch ihr fester Glaube. So ein Glück heimlich mit sich herumzutragen, war doch wunderschön! Wenn erst ihr Schab kam, würden sie Augen machen auf dem Hof, ja im ganzen Dorf. Und eine lustige Hochzeit sollte es geben. Nicht so großartig wie beim Doßheimerberz. Dazu fehlten ihnen die Bazen. Trotz alledem, der Henner würde sich nicht lumpen lassen, dessen war sie sicher.-

Die zuversichtliche Stimmung, die nach dem Orakel der alten Wannigen die Oberhand bei der Dine gewann, dauerte fort, auch dann noch, als sie eines Tages wahrnahm, daß sich junges Leben in ihr zu regen begann. Gottlob! Sie hatte ja ihren Bursch". Der würde sie nicht sizen lassen.

Wie nun ihr Zustand nicht mehr zu verbergen war, wurde sie von Fragern und Fragerinnen bedrängt, wer denn ihr Schatz sei. Weil sie beharrlich schwieg, mußte sie Hohn und Spott ertragen. Diese geheimnisvolle Liebschaft war den

1906

Trätschern Wasser auf ihre Mühle. Sie bezichtigten diesen und jenen des Nachgangs" mit der Dine. Die zu Unrecht Be schuldigten wehrten sich energisch, der Chor der Nache aber lachte sich einen Ast.

Allmählich spürte die Dine, daß ihr die Arbeit beschwer­lich wurde. Da pacte sie ihre Kiste und quartierte sich bei der Lore, der Kindfrau", ein, dort ihre Stunde zu erwarten. Die Lore war eine vermögliche Witfrau, die ihren Beruf weniger um des Verdienstes willen, sondern in dem löblichen Bestreben ausübte, sich ihren Geschlechtsgenossinnen nüßlich zu erweisen. Sie besaß in der Gungelsgaffe ein kleines weiß ge­strichenes Haus, dessen Balken in roter Farbe prangten. An der Front las man, von einer hübsch gemalten Girlande um­wunden, den Spruch:

Ich will gern dienen jedermann Und helfen, wo ich helfen kann.

Wenn man in die im Erdgeschoß liegende Wohnstube trat, empfing man sogleich den Eindruck der Wohlhabenheit. Der Fußboden war mit Eichendielen bedeckt, die Wände waren schön tapeziert. Als ein Prachtstück stellte sich das Himmel­bett dar, dessen Kissen und Pfühl mit feinstem Linnen bezogen waren. Ueber das Ganze war eine reich gestickte Decke ge­breitet. Im zweiten Stock befand sich ein wohleingerichtetes Zimmer in gleicher Lage und Größe. Darin wurde die Dine untergebracht.

Die Lore war auf wunderliche Weise zu ihrem Vermögen gekommen. Geringer Leute Kind, hatte sie sich nach Stum­pertenrod vermietet. Dort machte sie Bekanntschaft mit dem Hambamm*), dem Sohn eines mittelschlägigen Bauern. Der Sohn eines mittelschlägigen Bauern. Der Hambamm war ein bißchen dappig", aber sonst nicht auf den Kopf gefallen. Seine Mutter war ihm nicht wohlgesinnt und wußte es durch­zuseßen, daß sein jüngerer Bruder den väterlichen Hof bekam, obgleich er als Aeltester Anspruch darauf hatte. Ohne sich gegen diese schreiende Ungerechtigkeit aufzulehnen oder gar zu prozessieren, schrieb er an den einzigen noch lebenden Bruder seines verstorbenen Vaters, der zu Hull in England als Maschinenschlosser arbeitete, schilderte ihm seine Lage und bat ihn, er möge ihm bei seinem Fabrikherrn einen Platz ver schaffen. Die Antwort traf ein, er solle nur kommen. Un­berzüglich reiste er ab und ließ die Lore in Kümmernis zurück. In England fand er bei seinem Verwandten freundliche Auf­nahme, doch zeigte er sich in der Fabrik so wenig brauchbar, daß ihm nach vierzehn Tagen wieder gefündigt wurde. Nun hatte er seine Violine mitgebracht, auf der er eine ziemliche Fertigkeit besaß. Als ihn der Onkel spielen hörte, sagte er: " In der Fabrik taugst Du nichts, die Musik muß Dir Dein Brot backen helfen. Den Weg will ich Dir weisen."

Künftighin des Abends, wenn die Fabriken geschlossen und die Kneipen überfüllt waren, zog der Hambamm mit seiner Violine von Lokal zu Lokal und frug unter großem Beifall seine Weisen vor. Binnen weniger Monate hatte er so viel verdient, daß er seinem Mädchen das Geld für die Reise nach England schicken konnte. Die Lore befann sich nicht lange und folgte ihrem Schatz. In Hull wurden sie getraut. Selbander traten fie eine Konzertreise" durch das britische Inselreich an. Der Hambamm war der Konzertgeber, die Lore die Kassiererin. Elf Jahre gesegneter Tätigkeit warfen reichlichen Nußen ab. In Edinburg geschah's, daß der Hambamm erkrankte und starb. Die Lore fehrte in ihre Heimat zurück. Daß ihr Beutel mit Gold gespickt war, wurde schnell ruchbar, und die Freiers­männer liefen ihr das Haus ein. Sie erklärte standhaft, daß sie sich nicht mehr verheiraten wolle. Auf dem Faulbett zu liegen, war indessen nicht ihr Plan, sie begab sich vielmehr in die nahegelegene Universitätsstadt und machte auf der Frauen­flinik einen halbjährigen Kursus durch. Wohl vorbereitet ließ sie sich darauf in ihrem Dorf als Kindfrau" nieder. Um ihrer Geschicklichkeit und Guttätigkeit willen wurde sie von Alt und Jung hochgeachtet. Einmal unterhielt sie sich Sonn­tags nach der Kirche mit dem Bruder des Pfarrers, der just von Amerika gekommen war, in englischer Sprache. Da sperrten sie alle Maul und Ohren auf. Im oberen Stockwert ihres Häuschens schloß sich an die große Stube eine Kammer, in der auf sinnige Weise alles zur Schau gestellt war, was sie

*) Johann Adam.