Anterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 40.
Dienstag, den 27. Februar.
( Nachdruck verboten.)
Die Eroberung von Jerufalem.
1) Autorisierte Ueberseßung aus dem Französischen von Alfred peuter
Erster Teil.
1.
Fast ohnmächtig trat Elias Jamain aus der Pater Roster- Kirche auf dem Delberge, wo man den Palmsonntag feierte.
Vor Aufregung, Hize und Hunger war ihm schwindlig geworden.
Er sehnte sich nach frischer Luft und Einsamkeit. Aber draußen, auf dem Klostervorhof drängte sich eine ebenso fromme wie gemischte Menge um die tragbaren Altäre und kniete betend vor den aus Palmzweigen errichteten Tabernakeln. Die Priester mußten bei den gottesdienstlichen Verrichtungen ihre Gestikulationen einschränken und des Plazmangels wegen bewegten die Ministranten ihre Rauchfässer von oben nach unten, während Hunderte verzückter Augen den bläulichen Wölfchen folgten, welche senkrecht zum blauen Morgenhimmel emporstiegen.
An der anderen Seite der Umwallung knieten christliche Araberinnen, von denen man nur die kleinen, mit Hennah rot gefärbten Händchen sah, mit welchen sie sich über ihren Burnussen befreuzten; und hinter den eigenartig gemusterten Gazeschleiern lispelten unbeholfene Lippen„ Laßt uns beten."
Nur mühsam vermochte Elias Jamain sich einen Weg zwischen den Zelten der Händler mit geweihten Artikeln, zwischen den Kafaouette*)- Verkäufern und Wasserträgern hindurch zu bahnen, die mit elastischen Schritten hin und her gingen, während das leise Klingen ihrer Kupferfübel sich diskret in das Geläut der Kapellen und den Psalmengesang mischte. Und troß der frühen Stunde tauchten neue Bilger, andere Touristen aus unsichtbaren Tiefen am Rande der Terrasse auf. Immer mehr Menschen strömten herzu und sanken hin, um auf diesem geweihten Boden zu beten, oder fie zerstreuten sich hinten über die ganze lateinische Konzession. Bei der allen Versammlungen im heiligen Lande eigentümlichen Ausdünstung, einem Gemisch aus Rosenessenz, Mandelöl und Myrrhen, wurde dem jungen Manne übel.
Endlich kam er glücklich aus dem Gedränge und gelangte auf einem wenig betretenen, von Raftussen eingefaßten Fußpfade zum anderen Rande des Hochplateaus des Delberges, wo eine fleine weißkuppelige Ansiedelung noch in des Islam Frieden schlummerte.
Ein Minaret, das sich wie eine Schildwache am Abgrunde hochreckte, beherrschte das ganze Gelände.
Er ließ die Türe offen und stieg auf den wackeligen Stufen einer langen Wendeltreppe zum rund um die Spize des Minarets laufenden Balkon empor.
Hier wehte ein erfrischendes Lüftchen, das er mit Behagen einsog. Aus dem alten Mauerwerk sproßte sop und Rosmarin hervor. Er zerrieb einige Blätter davon zwischen den Fingern; ihr herbwürziger Duft und der Luftzug erfrischten ihn wieder.
Hierher drang kein Gebetsmurmeln und kein Weihrauchduft.
Unten, im Hofe des Minarets , hatte der Wächter sich in feinen Mantel gerollt und war wieder eingeschlafen; eine Biege graste gemächlich auf dem Dache eines aus gestampftem Lehm erbauten Hauses, irgendwo in der Ferne lockten sich Turteltauben.
Elias schloß die Augen und lehnte sich einen Augenblick unbeweglich an die Turmspitze.
Er wagte nicht, den Kopf emporzuheben; er wagte nicht, ins Weite zu blicken. Sein Herz pochte ungestüm. Er wußte, daß Jerusalem sich dort ausdehne, in greifbarer Nähe; er wußte, daß das Verheißene Land" ihn umgäbe. Aber würde es
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auch das Zion seiner Phantasie sein, das ihm in seinen Kinderträumen so oft vorgeschwebt war? Würde es das Kanaan sein, das seinen Hoffnungen entsprach?
Eine heilige Scheu hielt ihn davon ab, sie so im feierlichen Schweigen dieses Frühmorgens von Angesicht zu Angesicht zu mustern; ihm war's, als hinge sein Geschick von der Gemütsstimmung in dieser Minute ab.
Endlich trat er an die Brüstung und umschritt, sich auf das Geländer stüßend, langsam den ganzen Balkon.
Zunächst unterschied er nichts genau. Es war ein großes, trübes, undeutliches Chaos, das von einem sehr fernen Himmel auf eine ganz nahe Welt herabgefallen war. Ein verschwommenes, fables dunstiges Licht verschmolz die Farben miteinander und verwischte die Formen. Und in dieser phantastischen Dämmerung flohen die Täler wie Schattengebilde, Berge türmten sich wie Wolken über einander auf, und Felsen stiegen wie Tempel empor.
Uni, inmitten von alledem, das Antliz dem Orient zu gewandt, ohne Perspektive, ohne Umgebung, ohne Nuancen, fahl auf einer leuchtenden Nebelwolke schwamm etwas; etwas noch fableres und höheres, etwas flares und geheimnisvolles, wirkliches und illusorisches, wildes und bezauberndes: eine große Stadt und eine Legende.
" Jerusalem ! Jerusalem !" murmelte Elias.
Und auf dem Nebelschleier, der quer über dem Kidron tale lag, strebten seine Wünsche wie auf einer Lichtbrücke zu ihr hinüber. " Jerusalem ! Jerusalem !"
Und er breitete ihr die Arme entgegen.
Da aber, wie von derselben Glut angefeuert, begeisterte auch sie sich plöblich. Ihre Schleier zerrissen; und aus den dunstig gebliebenen Tiefen stieg sie empor, rofig und glänzend, mit ihren Türmen, Domen, Kuppeln, Spizen, Kreuzen, Halbmonden und Triangeln: die lächelnde Braut, die ihren Ver lobten begrüßt.
Hinter dem Delberge und hinter Elias Rücken ging die Sonne auf, sogleich grell, strahlend, glühend; und das Land Ranaan zeigte sich in seiner ganzen unendlichen Dede und in seiner ganzen unendlichen Größe.
Von neuem umschritt er den Steinbalkon und nun sah er fich umgeben von einem zweiten Felsengürtel, der achtunggebietend emporstieg, stufenartig wie eine steinerne Brandung sich ausdehnend, aus der hie und da Granitspißen wie Klippen herausragten, und wo die vulkanischen Krater schon vor Hize schillerten.
Zur Linken sahen die fahlen, wie Burnusse gestreiften Gipfel von Ephraim wie Stammesoberhäupter aus, die im gedämpften Mondschein bei einander hockten, und an ihrem Ende erhob der Ralfberg Nebo, von dem aus Moses in das Land hinabgeschaut hatte, das er nicht betreten sollte, über den Jordan hinweg sein Profil eines verdrießlichen, heimwehkranken Greises.
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Zur Rechten schimmerte in der Senkung von Sodom im bleiernen Glanze der Asphaltsee, das Tote Meer- wie ein und hinter den violetten im Sande versinkender Zinnschild Gebirgsketten von Moab , die den Horizont begrenzten, ahnte man das schweigende Arabien, mit seinem Glutwinde und feiner totbringenden Sonne.
Mehr in der Nähe erkannte Elias nach dem Kartenstudium in den ersten Stufen dieses riesenhaften Amphitheaters die runden Hügelfuppen von Hebron ; von einer Seite verlief gegen den Delberg zu die Anhöhe von Hakeldama, der mit den dreißig Silberlingen des Judas angekaufte Blutacker, und von der anderen her der Berg des Aergernisses", wo Salomo uneingedenk Jehova's und seines Tempels ,, auf hohen Bergen und unter grünen Bäumen" den Göttern feiner ausländischen Weiber räucherte und Opfer brachte.
Der junge Mann kam wieder auf die Jerusalem zugefehrte Stelle zurück und mit Ueberraschung gewahrte er die Abgründe, die ihn von der Stadt trennten.
Gerade vor ihm, zu seinen Füßen höhlte sich eine ungeheure Schlucht, das Tal Josaphat, dieser Kreuzweg des Todes, wo von Norden, Süden, Osten und Westen her vier jähe und tiefe Gießbäche zusammenfließen, die an ihren Ufern so mit