Anterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 45.
1906
Dienstag, den 6. März.
( Nachdrud verboten.)
Die Eroberung von Jerufalem. anderen Strichen des heiligen Landes antrifft; hier in Jefu
6]
Roman von Myriam Harry . Autorisierte Uebersetzung aus dem Französischen bon Alfred Beuter
Beim Verlassen der Kirche trafen sie eine Gruppe von Lazaristen , die sich nach ihrem Kloster zurück begaben. Einer von ihnen blieb stehen und sagte, mit dem Finger auf den Gelehrten deutend, zu dem anderen:
„ Sehet dort Elias Jamain, den Renegaten!" Der Gelehrte blickte auf und erkannte einen der Brüder, die ihm zugeredet hatten, nach Jerusalem zu reisen.
Sie sahen sich einen Augenblick an; Elias schlug die Augen nieder, der andere jedoch heftete einen Blick des Vorwurfes und des Hasses auf ihn, dann aber ballte er die Fäuste mit einer Gebärde biblischen Zornes und rief:
,, Maledictus sis, apostata!"( Sei verflucht, Du Ab
trünniger!)
Und er verschwand unter der Torwölbung des Klosters, Elias lief ihm nach.
,, Mein Vater! Hören Sie mich, mein Vater!" das Tor schloß sich ihm vor der Nase, und unter den bungen hallte dumpf dröhnend das Echo wider:
Wehe Dir, Renegat! Wehe Dir!"
Aber Wöl
Den Fluch eines Mönches verächtlich belächelnd, hatte Cäcilie ihren Weg fortgesetzt. Sie freute sich über den Aerger der Katholiken, der den Wert ihrer Eroberung noch erhöhte. Aber Elias dachte: Die einen bemitleiden, die anderen verfluchen mich. Ich aber weiß nicht, nach welcher Seite ich mich wenden soll, um das Heil zu finden!
Und von bitteren Gedanken beschwert, war seine Seele gebeugt, so daß es ihm schwer fiel, seiner Frau auf den sonnigen Pfaden Nazareths zu folgen.
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geheuerer Teppich ausgebreitet ist. Eine unbeschreibliche Stille schwamm in der Luft; doch war es nicht die Stille der Verödung, der Leere oder der Verlassenheit, wie man sie in eigentlichem Vaterlande war es mehr die Stille einer großen Erinnerung, eines stummen aber inbrünstigen Gebetes, das vom Zittern all dieser Pflanzen emporstieg.
Nach der Mittagsrast entfaltete sich das Terrain, und die Reisenden sahen im Hintergrunde der samtartigen Berge, umrahmt von Heuhaufen eine Wasserinsel im Grasozean, eine ausgestorbene Dase in einer in Blüte stehenden Wüſte- den fahlen, regungslosen See Genezareth.
Und am Rande des Sees redte Tiberias , vom sagenhaften Glanze seiner Vergangenheit umhüllt, in ohnmächtigem Stolze seine entfrönten Zinnen empor.
Von Bewunderung ergriffen, machten Elias und Cäcilie Halt und stiegen von ihren Pferden. Hand in Hand, dicht nebeneinander auf einem Felsblocke sigend, betrachteten sie stumm, dort unten zu ihren Füßen in jener Rasenbucht, die legendäre Stadt, dieses Phantom einer über einem trüben verblichenen Spiegel hängenden Festung.
Langsam stiegen sie herab, und mit ihnen sank auch die Sonne nieder.
Je mehr sie sich Tiberias näherten, desto mehr büßte es von seinem zauberhaften Aussehen ein, dafür aber gewann der See an Bedeutung. Er dehnte sich der Länge und Breite nach, bis er schließlich über die ganze Einsamkeit reichte und der Horizont an sein Gestade grenzte.
Kaum in der Stadt angelangt, mieteten sie eine Barke. Eine köstliche Melancholie breitete sich wie eine stille Träumerei über ihnen aus. Von den umliegenden Hügeln kamen in schwarzen schweigenden Reihen die Ziegenherden herab; kleine Hirtenflöten schluchzten.
Auf den Höhen erlosch der Lichtschimmer; träge rollte der Schatten an den blütenübersäten Hängen herab und ließ nachher seinen rosigen, durchdufteten Schleier über das wie nach denklich daliegende Meer und seinen ruhig stillen Hafen nach. schleppen.
Beim Anbruch des nächsten Tages verließen sie das Granatbaumgehege. Vor ihnen dehnte sich die galiläische Ein leichter Luftzug schwellte das Segel, langsam glitten Ebene aus, einem Kräuterozean ähnlich, in dem sich grüne sie an den Ufern entlang, wo die Papyrusstauden rauschten, Hügel emportürmten und buntfarbige Täler freuzten. Maulan den Ufern, wo sich vor Zeiten Städte erhoben, deren tiere und Zelte schwankten darin wie Schiffe, deren Segel Namen: Magdala , Kapernaum , Koraizin" Erinnerungen an von Böen geschwellt werden, und über diese grüne Dünung ihn heraufbeschwören: Städte, die oft seine Stimme hörten, Streiften Schwalben mit rashem Flügelschlage hin. die ihn vielleicht oft in den Barken der Fischer hatten schlafen oder den Wind stillen oder über das Meer daherwandeln sehen. Nun glitten sie hier vorüber, von Schilf und Schweigen Der Mond ging auf.
Man marschierte durch Blüten und Korn. Gelbe Dolden blieben am Zaumgebiß der Pferde hängen, und Fenchel, der fich an den Steigbügeln zerrieb, erfüllte die Luft mit seinem füßlichen, erfrischenden Dufte.
Manche im Gerstenfelde versteckte Schalmei ließ ihre einfachen Klänge erschallen; hie und da streckte ein Rind seinen mit Klatschmohn gekrönten Kopf hervor; hinter Maisbüscheln blitzte der Lauf einer alten Luntenflinte auf, und Cäcilies Reisemantel glitt mit raschem, rauschendem Knistern über hohe Heuschwaden. In der Wonne dieses Morgenmarsches fühlte Elias alle peinlichen Eindrücke des vergangenen Abends schwinden. Das Leben erschien ihm hell und klangfroh und einlullend wie diese sanftbewegten Getreidefelder, in denen fie bei ihrem Durchzuge kaum eine winzige, duftige Spur hinterließen.
Von Zeit zu Zeit wandte Frau Jamain sich nach ihrem Gatten um. Sie war von Ruhe durchtränkt und von SonnenLicht überflutet. Ihre klaren Augen strahlten Himmelsglanz aus, und es schien, als höre sie hinter ihnen den Schritt von etwas Unfichtsbarem.
So wanderten sie stundenlang.
Die letzten Felsgrate von Galaad waren wie bläuliche Rauchwölfchen im goldigen Duft der Ferne aufgegangen. Die Schlachtfelder von Esdrelon( sreel), auf denen so viele fränkische Ritter ihren Atem aushauchten und wo später Napoleon die Trümmer seiner Armee zurückließ, waren hinter den Rasenvorgebirgen umgeackert, und hoch, sehr hoch oben sah man die Spitze des Hermon, wie eine über Wolken hängende Schneeflocke.
umhüllt.
Wie große filberne Hostien schwammen die leuchtenden Scheiben der Wasserlinsen, und aus den Papyrusstauden langen biegsamen Kerzen stiegen dunstige Schwaden empor.
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Es war, als sei ein teuerer, erstorbener Traum wieder zu neuem Leben erwacht
Eine unendliche Weichheit schwellte Elias Herz; ihm schien es, als stiegen alle Worte der Liebe, alle, in diesen See gefallenen Gelöbnisse, Hoffnungen, Verheißungen auf seine Lippen empor.
Er zog seine Frau dicht an sich. Ihre Hände verschränkten fich, ihre Gedanken wurden eins, und so gliten sie, in der gleichen mystischen Extase vereinigt, lange durch die Abenda nebel dahin.
Plötzlich fing Cäcilie an zu zittern, ein übernatürlicher Glanz breitete sich über ihr blasses Gesicht aus. Sie machte sich von ihrem Gatten los und deutete auf eine in der Ferne aufsteigende Nebelfilhouette.
„ Schau hin, Elias! Schau hin! Er kommt zu uns! Er wandelt auf den Wellen!"
" Ja, mein Lieb! Ich sehe ihn! Sein mildes Antlig spiegelt sich in Deinen Augen wieder."
Und fromm schlug er die Augen nieder.
*
*
Auf einem von Fenchel eingesäumten Pfade kehrten sie
Rings umher nichts, nichts weiter als diese Gräservegetation, die über diesen geheiligten Boden wie ein un- I zurück,