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vielen Fragezeichen des Lebens verfunken war. Sie hatten ein- er auch noch, aus Erfahrung zu sprechen, da er zu einem ihrer er ander auf dem ganzen Wege nichts mitzuteilen gehabt, endlich sagte hörten Verehrer gehöre. der Vizewirt:

Mit solcher Leiche mitzugehen ist bald schlimmer, als sieben böse Jahre, aber meine Frau meinte, ich müßte mit, es ginge nicht anders, sonst hätte ich mich auf den Narrenstreich gar nicht eingelaffen.

Der Schullehrer, der hierin einen maskierten Angriff auf den Entschlafenen sah, wandte bescheiden ein:

Na, er hat doch im Grunde nie jemand verlegt." " Ach, Sie meinen Klausen; na, da tönnen Sie recht haben, er hat im Grunde nie etwas anderes getan, als die Leute zu ver­Tegen.

Eine Weile Pause, die wieder von dem Vizetirt mit über­zeugendem Nachdrucke unterbrochen wurde:

Sie denken mehr als Sie reden." Meinen Sie, Herr Vortesen? Na, vielleicht ja. Aber der Gedanke muß ja notwendig dem Worte vorausgehen. Doch wissen Sie übrigens, warum ich der Leiche folge?"

Ach, Sie machen ja solche Gratiskomödie immer mit." " Aber Sie wiffen nicht weshalb; nein, das wiffen Sie nicht. Lassen Sie uns das Verhältnis zwischen Ursache und Wirkung ein mal untersuchen. Sie haben recht, ich gehe immer mit. Ich fühle nämlich immer ein gewisses Wohlbehagen, es figelt mich sozusagen, wenn ich bedente, daß ich nicht selber da begraben werde, sondern, daß ich nach Hause zu meiner Frau gehen und gebackene Kalbsbrust mit Kohl effen kann. Ja, ich weiß ja natürlich nicht, Herr Bortesen, ob Sie auf diesen meinen individuellen Gedanken eingehen können." Wollen Sie meine Meinung hören, Andersen, dann werde ich Ihnen sagen, daß das alles Blödsinn ist", sagte der Vizewirt und schlug den alten Kindererzieher auf die Schulter, daß er für Lebens­zeit schief wurde,

Sie waren nun gerade am Tore, da blieb der Bizelvirt stehen und sah Andersen energisch an.

Wissen Sie was, Andersen, es ist so rauhes Wetter, wir holen uns bloß den Schnupfen da drin; wir wollen lieber nach dem Pavillon gehen, und was Warmes trinken, dann können wir mit gutem Ge­wiffen sagen, wir haben Klausen   ein legtes Glas geweiht. Sie können fich auch darauf berlassen, daß er uns nicht entbehren wird."

Damit gingen die beiden Männer fort, ohne Klausen   richtig Adieu zu sagen. Der Regen begann dichter zu fallen, und der feuchte Wind rauschte durch die Bappeln an der Kirchhofsmauer: Durch die offene Pforte sah man das Gefolge am Grabe mit entblößten Häuptern, dem letzten Zeichen der Hochachtung und Ergebenheit, die man dem geschätzten Manne entgegenbrachte, ber nun für immer fortgegangen

war.

Kleines feuilleton.

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i. Marie Olimpe de Gouges, eine der eigenartigsten Frauen der ersten franzöfifchen Revolution 1755 in Montauban   geboren, am 2. November 1793 in Paris   guillotiniert war die erste politische Rednerin, die die Weltgeschichte tennt und zugleich die erfte Bor­kämpferin für die rechtliche Gleichstellung ihres Geschlechtes. Db. gleich sie weder lesen noch schreiben gelernt hatte und von sich jagen konnte, daß fie nicht einmal die Grundregeln der Sprache tenne", überhaupt unwissend wäre, war sie doch eine hervorragende Schriftstellerin. Auf diese Umstände bezieht sich eine fleine, für Olimpe de Gouges so bezeichnende Geschichte, die Emma Adler  in ihrem Werke: Die berühmten Frauen der fran zösischen Revolution 1789-1795" erzählt.

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Eines Tages war die berühmte Republikanerin mit ihrem Sohne aufs Land spazieren gegangen. Auf dem Rückwege war sie sehr ermüdet und konnte fonute feinen Wagen finden; da wurde ihr von einem Fremden ein Platz in dem seinigen mit soviel Liebenswürdigkeit angeboten, daß sie annahm. Der Zufall wollte es, daß fie der Gegenstand des Gespräches der anderen Wagen insassen war. Ein Mensch behauptete, er tenne Madame de Gouges ganz genau er hatte keine Ahnung, daß sie ihm so nahe saß! Er fagte: Dieses Weib spielt den Schöngeist". Worauf ihn Olimpe de Gouges fragte, ob er sie wirklich so genau tenne. Sicherlich," antwortete der Gefragte, ihr Mann war Restaurateur( was stimmte), fie wollte seinen Namen nicht tragen. Man weiß gar nicht, von wem fie abstammt. Und was ihre Arbeiten betrifft, hat fie, würden Sie das glauben, niemals einen einzigen Gedanken davon selbst ge­dacht. Sie kann nicht einmal lesen; man macht alles für fie, man ertünftelt sogar eine gewisse Nachlässigkeit, einen mangelhaften Stil, um noch mehr den Glauben zu erweden, es sei von ihr.

" Indessen", antwortete Madame de Gouges, habe ich sie selbst in Gegenwart anderer Theaterſtüde berfassen gesehen, fie hat sogar einmal eine Wette damit gewonnen."

Der liebenswürdige Reisegenosse war um eine Antwort nicht verlegen. Ach, gnädige Frau, das Stüd war da schon fertig, man hatte sie es auswendig lernen lassen!"

Als ihn Olimpe de Gouges fragte, ob er bessen ganz sicher sei, ertviderte er, daß er es auf eine Wette ankommen lasse, sie würde es nicht wagen, in seiner Gegenwart fich zu briften, denn er selbst habe für sie bereits ein Theaterstück verfaßt. Ueberdies versicherte

Madame de Gouges hielt an fich und sagte erft, nachdem fie ans Ziel gelangt war und den Wagen verlassen hatte, zu dem frechen Aufschneider: Mein Herr, ich habe Ihre albernen Reben mit der Ruhe einer Philosophin, dem Mute eines Mannes und dem Auge eines Beobachters angehört; ich bin jene Frau de Gouges  , die Sie niemals gekannt haben und die zu kennen Sie nicht imstande sind. Ziehen Sie Nutzen aus der Lektion, die ich Ihnen gebe; man findet leichtlich Männer Ihrer Spezies, aber es bedarf der Jahrhunderte, um ein Weib von meinem Schlage hervorzubringen."

Theater.

Berliner   Theater. Gastspiel des Moskauer  tünstlerischen Theaters. Nachtasy I. Trama in vier Aften von Magim Gorti. So begeisterte Ovationen, wie fie den russischen Künstlern bei dieser Aufführung dargebracht wurden, haben auch die ältesten Theaterbesucher hier in Berlin   wohl selten miterlebt. Die Leute erhoben sich von ihren Sizen, als ob fie stehend besser applaudieren tönnten. In dem tosenden Geräusche dieser vielen hundert Hände löfte sich wirklich eine innere Erregtheit aus. Wie glänzende Einzelleistungen die Darstellung der Gortischen Dichtung in Reinhardts Kleinem Theater geboten: Rosa Bertens  Wassilissa, Reichers Schauspieler, Waßmanns Baron, Reinhardts Luka, hier, von den Landsgenossen des Dichters und seiner Bar­füßler vorgetragen, schien jich das Wert in seiner wurzelechten Eigenart erst völlig zu entfalten. Die Schauspieler des deutschen Ensembles hatten ein Wefensfremdes, Nichtgefehenes rein aus den Sträften ihrer Phantasie nachbilden müssen, die Phantasie der So wirkte, was Ruffen schöpfte aus unmittelbarer Anschauung. fie gaben, mit einer rüdhaltlosen Selbstverständlichkeit der Illusion; ohne Möglichkeit einer kontrollierenden Vergleichung, empfand man es von vornherein, in diesem Nachgeschaffenen lebt und webt das Wirkliche, das find in jeder Zug ihres Gehabens mit Haut und Haaren Gestalten aus jener Welt, von der das Schauspiel Gortis Runde gibt. Und rückwärts fiel von hier ein helles Licht auf all die seltsamen, zerlumpten Wandergestalten, deren Leben abseits von den ebenen Straßen der Gesellschaft Gorkis   unvergleichliche Erzählungen geschildert haben. Die von der Bühne her empfangenen Eindrücke liefern der Einbildungskraft Farben, jene in ihren äußeren Erscheinung, in Gesten und Gebärden sich auszumalen.

Das weite, rauchgeschwärzte Stellergewölbe, in dem die Herbergsgäste hausen, bildete den dürfter- ernsten Hintergrund für diese Szenen tiefster Menschennot. Vortrefflich war die Gliederung des Raumes, so angelegt, daß das unausgesetzte Kommen und Gehen der Personen ohne jede Störung verlief, die Gruppen auf der Bühne sich in freieste:" Weise bewegen und malerisch sich von­einander abheben konnten. Der Mittelpunkt, um den herum sich alles abspielt, ist eine gewaltig breite, mit Lumpen und schmutzigen Fellen bedeckte schräg geneigte Platte, die Schlafpritsche der Männer. Da liegen fie und dehnen räkelnd ihre müden Glieder, oder sie hoden drauf beim Kartenspiel, beim Botulieren und Gesang. Wohl gibt es welche, die, wie Kleschtsch, der Schlosser, die Zähne zusammenbeißen, unberührt vom Lärm, mit fieberhaftem Fleiße schaffen, in der vagen Hoffnung, fich aus diesem Sumpf des Elends wieder empor­auringen. Andere haben das längst aufgegeben oder nie versucht. Durch Falschspiel, Dieberei, Dirnengewinn ergattern fie die Groschen für Schnaps und für die Herbergsmiete. Ein Auswurf der Gesellschaft" und doch im Grunde nicht schlimmer, sondern menschlicher als viele der Korrekten, Hochbetitelten und Respektierten, » ch die in moralischer Entrüstung über sie die Nase rümpfen. Ich ein Floh, mein ich, ist so gut wie weiß auch Spizbuben zu achten der andere: Alle find schwarz und alle hopfen, so ist's," sagt Luka, der gute Pilgersmann, und man fühlt die Wahrheit seines Wortes nach.

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Prächtig war Stanislaw& tis Sfatin, ein hochgewachsener Bursche mit intelligenten Zügen unter dem dunklen, schon leicht er­grauten Haar; gleich malerisch in der lazzaronihaften Trägheit, wie wenn ein Reiz ihn aufrüttelte aus der Lethargie, in der auss gelaffenen Lustigkeit seiner Bewegungen. Ein Unbelümlerter, ber lachend mit dem Leben sein Spiel treibt, die zerfekte Jade stolz liebenswürdig wie einen Königsmantel um die Schultern schlägt und hart, 3ynifer und in Erinnerung an längst vergangene Stadien feines Entwickelungsganges zuzeiten empfänglich für das Erhabene eines dem Höchsten zugewandten Jdeenfluges. Das verhaltene Brummen, mit dem er, aus dem Schlaf erwachend, die ersten Szenen begleitete, flang wie das Schnurren eines großen fatten Tieres, deffen wilde Kraft zu reizen gefährlich wäre. Und auch die anderen, der gutmütig- phlegmatische, bedächtig sein Ungeziefer verspeisende Bubnow Luschtis, Adeichen 3 toller, berauschter Schuster, Leonidows melancholisc cr, breitschultriger Pepel hatten in ihrer stroßenden Natürlichkeit einen Unterton des Animalischen, je nach ber Rolle verschieden abgetönt. Einer der stärksten Eindrüde wav es, wie Pepel, aufgestachelt von der Frau des Herbergswirtes, ein übermächtiger, von den Wallungen des Bornes geschüttelter Koloß, finster blidend auf den boshaften, scheu zurüdweichenden Zwerg zuschritt, wie er gleich einem Raubtier fich erhob, sein Opfer schüttelte, es niederwarf und, aufgescheucht durch Luka, es noch einmal fahren ließ. Mit feinster Individualisierung führte Ratsch alot, von Frau Tschechow  - nipper als Nastja trefflich unterstützt, die Rolle des Barons durch. Ganz neue und