Anterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 46.
Mittwoch, den 7. März.
( Nachdrud verboten.)
1906
traf, ihre eheliche Intimität, Elias wachsende Zärtlichkeit, berührten sie wie etwas Unreines.
Er ahnte alles, was in dieser jungfräulichen Seele vor
Die Eroberung von Jerufalem. ging, und so sehr er ſelbſt auch darunter litt, bemühte er fich
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Roman von Myriam Harry . Autorisierte Uebersetzung aus dem Französischen von Alfred Beuter
Er füßte ihre Füße, Knie und Hände, Doch sie wiederholte, das Gesicht in die Hände vergraben, immerfort:
„ Sier! Sier! An dieser Stelle fonntest Du solche Ge Sanken haben, hier! Und nach der Erscheinung auf dem See! Vielleicht beobachtete er uns! Mir schien es, als ob ich zum Himmel emporstiege, und Du dachtest an das, an so etwas! O, Elias, fühlst Du denn gar nicht so wie ich? Bist Du denn fein Christ?"
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doch, ihre Gewissensbedenken zu achten, und zwar bis zu dem Grade, daß er sie teilte. Aber seine Andacht schien geschwunden zu sein. Er fühlte nicht mehr jene erhabenen Seelenregungen, die ihn während ihrer Brautzeit im Hospital, nicht mehr jene süßen Wallungen, die ihn in der ersten Flitterwoche auf der Reise durch das kahle Judäa wie auf Schwingen emporgehoben hatten.
Und während jetzt allein die Vergangenheit und die Legende auf Cäcilie wirkten, hatte Elias sonderbarerweise mur Sinn für den Reiz der Natur und die Süßigkeit der gegenwärtigen Stunde.
Sie suchte nur nach Spuren Jesu und seiner Apostel; er verfolgte im Geiste ausschließlich Liebesvisionen.
und er fing an, für seinen Glauben zu fürchten, bildete sich ein, daß er ihm von neuem entschwände, ja sogar, daß er nach seiner tödlichen Enttäuschung auf Golgatha gar nicht wiedergekehrt, und daß seine ganze Hoffnung nur eine frankhafte Illusion gewesen sei.
Ich war vor Liebe toll. Du weißt ja gar nicht, wie ich Dich liebe, kannst es als junges Mädchen auch nicht wissen Ja, es gibt Dinge, die Du noch nicht begreifen fannst, Dinge, die stärker sind als der Glaube und ungestümer als unser Wille. Ich liebe Dich sage nicht nein- ich leide, aber sollte ich darüber auch zugrunde gehen, ich schwöre Dir, daß Solche Grübeleien stürzten ihn in tiefe Betrübnis. Wie es das letzte Mal war, wofern Du es nicht anders willst... einst sah er sich auch jetzt wieder einsam auf dem Leidenswege Nein, nein! Du hast recht, sprechen wir nicht mehr davon. des Lebens, einsamer noch als früher, da ein geliebtes Weib, besonders hier... hier.. Wir werden lieber das Evan- statt in ihm aufzugehen, neben ihm in stets gleichem Abstande gelium lesen... was Du willst lesen wir... nur sei nicht einherschritt. mehr betrübt, meine Blume von Zion, weine nicht mehr, sondern sage, daß Du mir verzeihst!"
Und nun weinte er selbst, ebenso sehr des Kummers wegen, den er ihr verursacht hatte, als aus Betrübnis über die Burückweisung seiner eigenen Liebesglut.
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Später waren sie heimgekehrt, und sie war dann in ihrem Kleinen eisernen Feldbett zwischen Elias und ihrer Bibel eingeschlafen. Elias aber konnte sich noch immer nicht beruhigen. Auf den Ellbogen gestützt, betrachtete er sie beim Schein der Ampel, die an der Decke leise schwankte. Noch perlten einige Tränchen an ihren blonden Wimpern; ihre Hände waren wie beim Gebet gefaltet, und ihre schmalen roten Lippen zuckten noch ein wenig. Sie sah aus wie eine reizende, ob einer Täuschung betrübte Heilige. Aber mun fiel ihm auch ihre edige, derbe Stirnform auf, die auf einen Starrkopf schließen ließ, und traurig dachte er:
Mein Gott ! Wird sie mich wohl je so lieben, wie ich sie liebe? Wird sich je die Glut unseres Blutes unserer Seelenertase beimischen? Vielleicht ist sie für mich zu religiös, von allzu trockener Frömmigkeit.
Und er fühlte in sich so etwas wie Feindseligkeit auf steigen gegen dieses kleine, schwarze, einfache Büchelchen, ohne das sie sich nie zu Bette legte.
Das Licht der Ampel war ausgebrannt, aber durch die Beltwand schimmerte von außen herein der Schein des Wachtfeuers, und man vernahm die Stimme des arabischen Erzählers heiß und schmachtend, als ob sie die Stimme der Nacht selbst wäre. Manchmal fachte ein Windstoß die Flamme höher an und trug dann alle Düfte Galiläas in das Zelt.
Erschlafft stand Elias auf und ging, die Nachbarschaft feiner Frau mit den kühlen Sinnen fliehend, hinaus, um sich neben die Wächter unter freiem Himmel auszustrecken.
Vor ihm ragte Tiberias empor, schwarz hob es sich, einem auf den heiligen Zauber feines Sees eifersüchtigen Wächter ähnlich, vom klaren Himmel ab.
8.
Und voller Seelenpein, den Kopf in Cäciliens Knien vergraben, die in irgend einem Andachtsbuche las, flehte er:
,, Du, die Du gläubig bist, fomm mir zu Hülfe, bekämpfe meine Ungläubigkeit, gib mir ein wenig von Deiner Sicherheit und Deinem Frieden."
Doch statt ihm die erhofften Liebesbezeugungen zu spenden, ftatt einer beschwichtigenden Umarmung, statt der bezaubernden Stüsse ihres Mundes, las sie ihm Bibelverse vor oder empfahl ihn in Gottes Hand.
Manchmal aber, besonders in jenen galiläischen Mittagsstunden, wenn das Sonnenlicht wie eine Purpurwelle über die im Glaste zitternden Berge und die regungslosen Seen dahinfloß, und Cäcilie in einer alten Fischerbarke im Schatten des Segels saß und für ihre kleinen Schwestern zu Hause grauwollene Strümpfe strickte, dann dachte auch Elias, der ihr zu Füßen ausgestreckt lag und das Knäuel abwickelte, an ein heiliges, andächtig frommes Leben, farblos wie ein Meßbuch. bild und eintönig wie ein Psalm.
Und wenn er seine Frau so gelassen, so blond und kühl dasiten sah, verglich er sie unwillkürlich mit diesem grünen und doch unfruchtbaren Galiläa.
Manchmal sagte er zu ihr:
,, Lies mir etwas vor."
Dann ließ sie das Strickzeug in den Schoß finken, um ihm zur Anerkennung mit ihrer fleinen, fühlen Hand liebkosend über die Stirn zu streichen, und zog darauf das kleine schwarze Buch, das sie niemals verließ, aus der Tasche.
Oft hörte er gar nicht auf den Sinn der Worte, aber er liebte den wohlflingenden Rhythmus der Verse und ganz be sonders die Stimme seiner Frau, die wieder sanft und melodisch geworden war, genau so wie er sie zum ersten Male im Hospital gehört, als er so gerne ihrem Klange gelauscht hatte. Sie erinnerte ihn auch ein wenig an die Stimme seiner Mutter. Und während sie las, sah er seine Kindheit, das kleine Haus, den kleinen Garten und Großonfels Andenken vor sich erstehen. Die vergilbten altfränkischen Bilder der alten Bibel famen Es stellte ihm dann wieder ins Gedächtnis, besonders eins. das Paradies vor und ähnelte ganz außerordentlich dieser so grünen und doch so öden Gegend, diesem melancholischen, puritanischen Eden, das nur für ganz vorwurfsfreie Genüsse und brüderliche Liebkosungen geschaffen zu sein schien. Die Beduinen, die düster und verstohlen hinter dem Schilf vorbei. schlichen, kamen ihm wie jene armen Teufel vor, die man aus Selbst ihre Bewegungen wurden schüchtern und zögernd, dem Bezirk der Engel verjagt hatte, und der schneebedeckte als ob sie ein erhabenes, unsichtbares Wesen damit zu be- Gipfel des Hermonberges wie das weiße Haupt des über den lästigen fürchtete; aber alles, was das materielle Dasein be- Wolfen ruhenden Jehovah.
Von jenem Abende ab wurde Cäcilie noch schweigsamer und wie in dauernde Andacht versenkt, in der Elias zeitweise eine leise Beimischung von Vorwurf herauszufinden glaubte. Statt daß ihre Augen denen ihres Mannes standhielten, irrten fie immer wie auf der Suche nach einer verlorenen Vision umher, oder sie selbst schien mit halb geschlossenen Augen einen inneren Traum weiterzuträumen, der lieblicher war als die Wirklichkeit.