Anterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 49.
Sonnabend, den 10. März
( Nachdrud verboten.)
1906
wider, und eine Frauenprozession, die einen unsichtbaren Abhang herabgekommen war, erschien nun im Tale und stieg
Die Eroberung von Jerufalem. danach einen Fußpfad der gegenüberliegenden Anhöhe empor.
10]
Autorisierte Ueberseßung aus dem Französischen von Alfred euter
An solchen Tagen fand ihr Gatte Cäcilie wieder in frostiger, seinen Liebkosungen gegenüber fast feindseliger Stimmung. Es lag gleichsam wie ein Schleier bor ihrem Gesicht, das kleine Testament war wieder an seinen alten Platz zurückgekehrt.
Sie stieß ihn mit den Worten zurück:
Mein lieber Elias, ich fürchte, ja ich fürchte sehr, daß Deine Liebe nicht die wahre ist. Wir sind ausgezogen, um gemeinsam Christum zu suchen, aber ich glaube, daß wir uns fäglich mehr von ihm entfernen."
Und da sie wirklich so niedergeschlagen zu sein schien, daß er nicht den Mut zu weiteren Zärtlichkeiten fand, so zog er sie in seiner Furcht rasch weiter der Natur und Einsamkeit entgegen.
In Trauerkleidung schritten sie hintereinander, und ihre grauen Kreppichleier wehten wogend zwischen den Zypressen, die am Wege standen.
Sie sangen eine alte syrische Litanei, eine klagende, ergreifende Trauermelodie. Die angezündeten Kerzen, die sie in den gefalteten Händen trugen, warfen goldene Richter auf ihre dunkle Kleidung, Ministranten, die sie begleiteten, streuten Blumen und verbrannten Weihrauch und Myrrhen. Ein Pope mit schwarzer Mitra und langen, eingeölten Haaren schwenkte ein Kreuz.
„ Herr, erbarme Dich! Erbarme Dich, o Herr!" Und die Witwen antworteten: „ Erbarmen! Erbarmen!"
Langsam stiegen sie zu einem Tempel empor, wo in einer lichten Grotte der Jesus, den sie beweinten, ihrer Legende gemäß ein zweites Mal auf Marias Knien verschieden sein sollte.
Alle Hügel des Libanon rund umher hallten von ihren Klagen wieder.
Denn auch auf sie übte, troß ihres positiven Glaubens, Und während Cäcilie die Enden ihrer gelösten Flechten der Zauber der Landschaft seine magische Wirkung aus. In im Wasser des heiligen Quells schwimmen ließ, dachte Elias diesem Lande, wo alles die Harmonie der Farben, die an die Mädchen von Byblos, die einst auch so, einmal im klassische Schönheit der Menschen, der Duft der Blumen Jahre, zur selben Höhe emporstiegen, um dort in derselben berauschend zu den Sinnen spricht, fühlte die kleine Diakonissin blumigen Grotte den Tod eines anderen Gottes zu beweinen, ihre Gewissensbisse und geheimen Befürchtungen dahin den Tod des Adonis, der in den Armen seiner Mutter Venus schwinden, wie der Schnee des Sannin vor dem Lenzeshauch. seinen Geist aushauchte. Schon vier Monate waren seit ihrer Vermählung verflossen. Cäcilie hatte nun ganz rosige Wangen und einen heiteren, regen Geist. Eine gesunde, schöne Lebenskraft strömte von ihr aus. Sie interessierte sich für Tiere und Blumen, zog ein kleines Gazellchen mit der Saugflasche auf, wand Girlanden von rosigen Oleanderblüten, badete in den Quellen und streckte sich danach im Grase aus. Und wenn
sie morgens an den Abhängen spazieren ging, schüttelte sie schelmisch die noch vom Morgentau glitzernden Bäume, daß die Perlen auf Elias herabregneten.
Sie fing auch an, arabisch zu lernen und nun nahmen sie an den ländlichen Festen teil, aßen duftendes Gebäck, rauchten Nargileh und amüsierten sich, wenn man sie von den hohen Mouscharabis herab mit Rosenwasser begoß.
Und als eines Tages bei einem Besuch die syrischen Frauen sich den elementarsten Höflichkeitsgeboten Folge leistend- mit sehr bezeichnender landesüblicher Gebärde nach der Anzahl ihrer Kinder erkundigten, hob sie schelmisch alle zehn Finger hoch und erklärte fühn:
,, Und lauter Knaben!"
" Bismillah ! Bismillah! Welch gesegneter Busen!" Und die Frauen erschöpften sich in hochachtungsvollen Verneigungen vor ihr und in Veglückwünschungen ihres
Mannes.
Bei der Rückkehr flüsterte Elias ihr aber lustig ins Ohr: ,, Kleiner Prahlhans! Wie wäre es nun, wenn ich Dich beim Wort nähme? Zehn Jungens! Himmlische Güte, was sollten wir wohl damit anfangen? Da wären mir Mädel schon lieber, weil sie doch wahrscheinlich nach Dir ähneln Und wir könnten sie wenigstens als Diakonissen unterbringen. Aber ich fürchte, sie würden nur unechte Diakonissen werden, ebenso reizende unechte Diakonissen wie Du, meine schöne Blume vom Libanon."
würden.
12.
Es war ihr letter Tag auf Syriens Boden.
Sie befanden sich in Djebail, dem alten Byblos , und lagen auf einer blumigen Wiese ausgestreckt neben einem heiligen Quell, wo einst phönizische Mädchen dem Gotte Pan ihre Opfergaben gestreut haben mochten.
In der Ferne senkten sich die roten Klippen von Beirut ins Meer; etwas näher schliefen in einer kleinen ruhigen Bucht auf der Seite liegende Fischerboote im glitzernden Sande.
Hinter ihnen im Gebirge feierten die Maroniten ein religiöses Fest. Die Synambren*) hallten im Zedernwalde
*) Holzplatten, die mit Hämmern zum Tönen gebracht werden.
,, Nichts anderes ist's, als die ewige Geschichte des Menschengeschlechts, die Geschichte unserer Freuden und Leiden," sagte er zu Cäcilie, die ihm gar nicht zuhörte.
Später versant alles auf den Zedernbergen in Stille, und die Maroniten zogen sich hinter die Wälle ihrer befestigten Dörfer zurück.
der zertretenen Blüten in der Luft. Die von der Flut wieder Schwer und schwül wogte der Duft des Weihrauchs und flott gemachten Fischerbarken ächzten im Verein mit der Brandung, die an ihren Ankerketten rüttelte.
Die Sonne fant ins Meer. Wie ein Riese breitete die Dunkelheit ihren Mantel über die ruhige Bucht.
Elias wurde traurig bei dem Gedanken an ihre Abreise, die auf den nächsten Morgen festgesetzt war.
Er dachte an Jerusalem und er sah es vor sich, grämlich, wild, hart, Erde und Himmel betrübend, die unfruchtbare Hauptstadt eines verfluchten Reiches, wo die Gärten nur Friedhöfe, die Flüsse nur ausgetrodnete Rinnen und die Berge nur kahle, vor Hitze gleißende Kuppen sind.
Wie würde man sich nach dem Abschied von dieser entzückenden Gegend wieder an ein Land gewöhnen, in dem kein Wasser, kein Grün, keine Freude ist?
Freilich, nichts zwang sie, dorthin zurückzukehren. Warum sollten sie nicht direkt nach Frankreich reisen?
,, Wie wäre es, Cäcilie, wenn wir den nächsten Dampfer nach Europa nähmen?"
,, Welche Torheit, Elias! Du weißt doch, daß unsere Rückfehr nach Jerusalem eine abgemachte Sache ist. Erstens haben wir uns von unseren Freunden gar nicht verabschiedet und dann mußt Du doch auch Deine archäologischen Forschungen wieder aufnehmen. Wie mein Vater mir im letzten Briefe schrieb, freute er sich sehr darüber, da Du so Deine Wissen schaft in den Dienst unserer guten Sache stellen und dadurch fast ein Werk des Evangeliums vollbringen könntest."
Schließlich brauche ich ja nicht ewig dort zu bleiben, dachte Elias bei sich, doch tröstete ihn dieser Gedanke nicht; und der sich immer dichter auf ihn herabsenkende Schatten erschien ihm wie ein riesiger Schicksalsfittich, der sich über ihm entfaltete, während in seinen Ohren noch das Erbarme Dich" der in Trauer gekleideten syrischen Frauen nachklang. Ein Angstgefühl bedrückte ihm das Herz. Er umschlang seine Frau:
,, Ach Herzlieb, ich habe Furcht. Mir bangt vor der Zukunft. Ich glaube, die Tage unseres Glückes sind vor über. Ach Liebste, Liebste, wie gern möchte ich hier mit Dir sterben, hier am heiligen Quell unter duftenden Blüten."