Itnterhaltungsblatt des Horwärts Nr. 50. Dienstag, den 13 März� l906 lNachdruck verboten.) Oie Eroberung von Jerusalem . Roman Von Myriam Harry . 11] Autorisierte Uebersetzuna aus dem Französischen Von Alfreo Deuter Von Tagesanbruch bis zur Abenddämmerung herrschen um die gelben Mais-, die roten Saffran». und die grünen Hennapyramiden, um die Körbe mit Myrrhen und die Säcke mit Balsamminze, um die Esel von Hebron . die Gazellen von Jericho , die Rosse von Jemen und die Hammel von Damaskus Geschrei und Geheul. Burnus- flattern und Lumpentanzen. Todesdrohungen und Schwüre ewiger Freundschaft. Und zwischen Luntenflinten. Pulver- hörnern und Feuersteinen, zwischen Bernsteinschnüren, sil- bernen Armbändern und Achatamuletten, zwischen alledem rohen, rührend einfachen Kram dieser großen Wüstenkinder werden innerhalb weniger Stunden die ganze kindische Be- gehrlichkeit, der ganze urwüchsige Haß und die Streitsucht frei, die sich in Monaten der Enthaltsamkeit und Kaltblütig- keit, in der einschläfernden Einsamkeit und bei dem besänf- tigenden Sternenlicht aufgesammelt haben. Dann gehört die Stadt nicht mehr ihren Bewohnern. sondern den Nomaden. Vom Jaffatore bis zum St. Stepl)anstore sieht man nur noch Kamele, die sich unter den dunklen Gewölbarkaden bewegen: nur edle Pferde mit beben- den Nüstern, die stolz das ungewohnte Steinpflaster stampfen: nur Männer mit scharfem Adlerprofil und Frauen mit sanftem Götterantlitz, die beim Gehen die dreifache Schleppe des Mantels und der beiden Aermel hinter sich henoehen lassen. Und über Jerusalem streift, wenigstens für einige Tage. mit dem Duft der aromatischen Landesprodukte ein Glut- hauch von freier Liebe und Irrglauben. Dann versinkt der Zionshügel wieder in seine andächtige Stille. Diesen hochgelegenen, stillen Stadtteil liebte Elias Jamain besonders, und da derselbe in der Nähe seines Hotels lag, so ging er oft hin, um dort zu träumen. Als er eines Tages aufs Gcradcwohl umherstreifte, bemerkte er am Ende eines geheimnisvollen, düsteren Gäß- chens eine halboffenstehende Pforte, die gewöhnlich ge­schlossen war. Neugierig trat er ein und befand sich nun in einem weiten, leeren Hofe, der lvie ein Gefängnishof auf allen Seiten von Mauern eingeschlossen war. An großen Eisenringen befestigte Spannstricke und Ketten hingen überall umher. Strohhalme und kleine Häuf- chen Stalldünger bedeckten den Boden. Winzige, aber üppig wuchernde Pflanzen lockerten den Mörtel der Mauern und hoch oben auf dem First blühten die gelben Glöckchen des Z)sop zwischen den eingemauerten Flaschenscherben. Eine herzergreifende, poetische Melancholie ging von diesem großen, verfallenen, von traurigem Reiz verklärten Hofe aus. Elias setzte sich auf einen der grauen Prellsteine, um sie recht innig zu genießen. Aber plötzlich wieherte in der Oeffnung eines Stallganges ein Hengst.. Hier wohnen Leute." dachte Elias enttäuscht. Er wandte sich einer Pforte zu, die er soeben in der Rückwand entdeckt hatte. Sie war niedrig, sehr fest und mit einem schweren Türklopfer versehen. Mit Händen und Füßen stieß er dagegen: sie gab nach. und bewundernd blieb er einen Augenblick auf der Schwelle einer Wohnung stehen, wie nur die sie zu schaffen wissen, welche die Wollust des Geheimnisses und die Unbeständigkeit der Frau kennen gelernt haben. In einem mit Fliesen von rosa Marmor gepflasterten Jnnenhofe kreuzten sich gewölbte Gänge: Festons liefen an den Wänden entlang, geschlossene Balkons chingen darüber, und offene Treppen führten von allen Seiten'herab. In der Mitte streute ein Granatbaum seine roten Blütenblätter auf das Geländer einer Clsterne und über einer weißen, wie ein Tüllvorhang durchbrochenen Seitenwand rankten sich die Arabesken kletternder Jasmin- sträucher. und woben goldene Sterne in den weißen Unter- grund. Auch hier hätte alles ohne den Duft der von oben schwer herabhängenden Benzoö- und Baldrianblüten den Eindruck des Verfalles gemacht. Elias schritt die steilen Stufen hinauf, die zum Dach des Hauses führten und mit ihm'stieg ein ganzer Garten wohl- gepflegter Blumen empor, die sich an der Rampe hinauf- schlängelten. Auf einer Terrasse dampften zwischen Geranium - un8 Minzetöpfen mehrere Räucherpfannen. Die Tür eines Zimmers stand weit offen: zwei fahle. von der Sonne beschienene Füße ragten daraus hervor. Es waren die Füße eines Toten, der auf einer Tragbahre lag. Sein Haupt ruhte im Innern des Raumes, wc andere Räucherfläschchen um seinen grünen Turban verschwommene Leuhenschleier woben. Kein Mensch sonst ringsum. Man hörte nur Wasser- tropfen irgendwo wie Tränen in ein Becken rieseln, und vom Stallhofe drang das klagende Wiehern des Hengstes empor. Vor dem Leichnam stehend, den Korkhelm in der Hand, dachte Elias an den schönen Brauch der Orientalen, ihre Toten in dasHohe Zimmer" Sn tragen, damit sie noch zum letzten Male ihre Vaterstadt überblicken und ihre Augen mit dem Sonnenlichte füllen können, ehe man sie für immer in die Dunkelheit versenkt. Und als Elias das friedvolle Gesicht des Entschlafenen betrachtete, dachte er: Könntest Du doch auch eines Tages so sterben, in Duft und Schweigen." Da zog ihn jemand sacht am Aermel. Er wandte sich um und sah hinter sich in einer Ecke einen Neger hocken, der. den Finger auf die Lippen drückend, flüsterte: Herr, belausche nicht das Geheimnis eines Toten, laß seine Seele in Frieden aus den Mauern seines Hauses da- vonsließen." Frieden sei mit ihm und mit Dirl" antwortete Elias verwirrt. Und er stieg die blütenumwundene Treppe hinab. Der Neger folgte ihm. ..War er Dein Herr?" fragte ihn der Gelehrte im Hofe. Ja, und ein Vater! Er hat mich freigelassen, was aber soll ich nun. da er tot ist, mit meiner Freiheit anfangen?" Du suchst einen Herrn und ich einen Diener. Wie nennst Du Dich?" Assir, zu dienen." Und Elias erfuhr von Assir, daß dieses Haus einem Agha von vornehmer Geburt, einem Abkömmling der Sarazenen, dem letzten seines Stammes, gehört hatte. All sein Hab und Gut war nun der türkischen Negierung zugefallen, und schon am Morgen hatte der Pascha die Frauen und Sklaven ab- geholk. Das Haus stand zum Verkauf, und Elias erwarb es für ein paar tausend Piaster, uni darin sein junges Glück zu bergen. 2. Eine schwierige Frage beschäftigte die ganze Jerusalemer Gesellschaft. Zu welcher Konfession gehörten Herr und Frau Jamain eigentlich? Denn kümmerte man sich in anderen Städten um die soziale Stellung, um den Rang oder die Nationalität der Einwohner, so kommt in derHeiligen Stadt" nur eins in Frage: Die Konsession. In Jerusalem gehört man keinen! Lande zu, sondern einem Glauben: inan schließt sich keiner Gesellschaftsklasse an, sondern einem Kult. Demnach sind also alle Jerusalemer genau ihrer Re- ligionszugehörigkcit nach eingeteilt. Sie nennen sich nicht Franzosen, Deutsche, Russen: sie sind römische, lutherische, orthodoxe Christen. Ein Spanier könnte ebensowenig Pro- testant sein, wie ein Engländer Katholik. Jude bleibt immer Jude, denn selbst wenn er sich auch katholisch, griechisch oder reformiert taufen läßt, wird er doch nur als Proselyt an-