gesehen, während man den Araber nach der Taufe als voll- gültigen Christen betrachtet und behandelt. Ebenso ist's in der kirchlichen Hierarchie, welche die sozialen Rangstufen ersetzt. Es gibt nur einen Adel, den der Kirche. Ein Klostervorsteher gilt mehr als ein Fürst: der Einslutz eines Pastors hat ebenso viel Gewicht wie der eines Konsuls: der geringste Pfaffe dünkt sich einem Gelehrten bei weitem überlegen. So ist's leicht verständlich, datz keine Industrie, kein Handel sich in einer Stadt entfalten kann, die aus ihren Ruinen Münze schlägt und Wechsel auf die Schätze des Himmels ausstellt. Den Fortschritt verhöhnt, das Geld der- achtet man. Die Gegenwart gilt weniger als die Vergangen- hcit, denn diese bringt Christo näher. So macht jeder, um auf der sozialen Leiter cmvor zu steigen und an Zion etwas zu verdienen, ein wenig in Ne- ligion. Jeder sucht auch auf seine Art von der bliblischen Wissenschaft Vorteil zu ziehen und jeder will einen Bau- stein zum Wiederaufbau des erstorbenen Ruhmes von Jerusa- lem beitragen. Jedermann ist Missionar, Fanatiker, Theo- löge. Jeder hat seine eigene Auslegung, feine Schüler, sein Dogma, seine Inschrift, seine Stele, seine seltenen Münzen, vom Krämer, der euch das Gleichnis vom Senfkorn deutet, während er die Wagschale ein wenig mit dem Daumen herunterdrückt, als ob sein Wort mit Gold aufzuwiegen sei, bis zum Dragoman, der euch ein vormosaisches Pergament zu zeigen vorspiegelt und euch dann zu einem Tote-n-töte mit einer alten, pergamenthäutigen Negerin führt. Jeder Handel weitz sich mit irgend einem heiligen Worte ein unschuldiges Mäntelchcn umzuhängen: zu jeder banalsten Alltäglichkeit mutz ein biblisches Gleichnis herhalten; der schändlichste Schwindel sucht hinter einem fromnien Spruche Schutz. Der Heiligcnbildermaler erhöht den Preis seiner Leinwand, weil sich angeblich im Heiligenschein ein Gold- partikelchen aus der authentischen Krone Salonios befindet; der Friseur, der euch die Haare ausreißt, meint salbungs- voll, ohne Gottes Wille falle keins von eurem Haupte, und der Schneider sucht euch über einen verpfuschten Anzug mit dem Hinweise zu trösten, datz selbst die Kleider der Königin von Saba trotz ihrer Herrlichkeit den Lilien auf dem Felde nicht glichen. Tie fortwährende Beschäftigung mit religiösen Dingen erstreckt sich sogar bis auf die muselmanische Welt, die doch in anderen Städten des Orients so indolent geworden ist. Auch sie hat hier ihre Sekten, Bettelmönche, Pilgerschaften, ihre grünen und weißen Turbane, ihre Plebs und ihre Pa- trizier, ihre Licht- und Schattenseiten, je nachdem die einen an der Kaaba , die anderen nur in der Omar-Moschee gebetet haben. Alle Glaubensgenossenschaften verachten sich unterein- ander; aber alle lassen ihren gegenseitigen Haß gelten und achten den Fanatismus des anderen. Elias dachte, daß hier der bestgehaßte Mensch vielleicht der wäre, der weitblickend, tolerant und gerecht in allen Religionen etwas Schlechtes und etwas Gutes erkannt hätte. Also legte man sich die sehr wichtige Frage vor: Zu welcher Konfession gehören die Jamains?" Sie? Nun, sie war eine Lutherische, daran war nicht zu zweifeln, und zwar eine von der Augsburgischen Kon- fession. lFortsetzung folgt. x (Nachdruck verboten.) Ml) I�ane. In der kleinen Pension am Thuncrsee redet man immer noch von ihr, obwohl sie seit Jahren nicht mehr gekommen ist, und nie- mand weiß, wo sie sich jetzt aufhält. Sie gehörte zu den Personen, die man nicht vergessen kann, und die immer wiederkehren und aus der Vergangenheit auftauchen, wie ein stiller Gast. Es war ein sonniger Oktobertag, als ich sie zum erstenmal sah. Von den Platanen auf der Terrasse der Pension sielen langsam die gelben Blätter. Der Garten unterhalb der Terrasse leuchtete in der Hcrbstpracht der letzten roten Blumen und über dem See lag ein blaugrüner Flimmer, in dem die kleinen Wellen wie silberne Spiegcllichtcr zuckten. Unendlich ft)öi> und gross lagen die Alpen da in ihrer weissen Keuschheit, und ein herber Dust von Erde und welkenden Pflanzen erfüllte die klare Luft. Gedankenlos auf einer Bank sitzend, liess ich den Herbstzauber ruhig auf mich wirken. Da hörte ich auf der steinernen Treppe, die vom Garten zur Terrasse herausführte, flinke Schritte. Eine ungewöhnlich grosse junge Dame tauchte vor mir so gewisscrmatzcn aus der Versenkung auf. Zuerst sah ich nur den großen Hut aus Panama , dann ein überwältigend schönes Gesicht mit grossen dunklen Augen, einer scharfgeschnittenen Nase und einem energischen Mund. Es lag fast etwas Uebermcnschliches auf diesem Gesicht, etwas von unbeug» samem Stolz und schweren Lasten, von ungestillter Sehnsucht und einem unbezähmbaren Willen. Der Körper patzte zu dem Geficht. Ohne riesenhaft zu wirken, war er doch ungemein stark gebaut und von edlen Proportionen. Sie trug einen einfachen Anzug, der in seinem Schnitt einen Stich ins Künstlerische hatte. In der rechten Hand hielt sie einen ziemlich starken Bergstock, so wie ihn gewöhnlich nur Männer tragen. Beim Abendessen wollte ich die anderen Gäste nach ihr fragen. Aber das war nicht nötig. Man sprach von ihr auch ohne mich. Wo ist Miss Lane," fragte alles;Wohin ist sie heut spazieren gegangen?"Ist sie gut aufgelegt?" So gingen die Fragen durcheinander. Sie erschien aber nicht zum Abendessen, und das Gespräch über ihre Person nahm fast die ganze Unterhaltung des Abends ein. Niemand wußte, wer sie eigentlich war, und was sie für Ansichten hatte. Aber jedermann fühlte sich zu ihr hingezogen, und ohne es zu wollen, übte sie auf die ganze Gesellschaft einen grossen Einfluss aus. Das sah ich erst so recht, als sie am anderen Tage zum Mittagessen erschien. In ihrer Gegenwart verstummte das fade Gerede, und der alberne Klatsch, wie er sonst immer an Hoteltischen üblich ist. Obwohl sie fast kein Wort sprach und nur bisweilen einmal eine feine, tiefe Bemerkung fallen liess, waren alle Tafelgäste fichtlich bemüht, möglichst interessante Unterhal- tungen zu führen. Datz dieses Bemühen bisweilen nicht von dem gewünschten Erfolg begleitet war. konnte man an den Mund- winkeln der Miss Lane sehen, in denen ein fast unbemerkbareS ver- ächtlicheS Lächeln zuckte. Wenn sie aber einmal mit ihrer dunkel klingenden und von einem feinen Schleier umwobenen Stimme zu reden anfing, dann lvar alles still, und aller Augen waren auf sie gerichtet. Gewöhnlich erzählte sie nur von einem neuen Spaziergang, den sie entdeckt hatte, von einer Grotte, die noch nie- mand kannte, oder einer Berghöhe, auf der noch keiner gewesen war. Sie schilderte diese Spaziergänge mit wenigen Worten, aber mit künstlerisch so vollendetem Gestaltungsvermögen, daß man gleich Mutzte: Hier ist ein grosses, dichterisches Talent. Gewöhnlich unterbrach sie sich aber bei solchen Schilderungen ganz plötzlich, als ob sie bereute, sich gehen gelassen zu haben, stand auf und verliess, nicht besonders höflich grüssend, den Tisch, nachdem sie ihren Stuhl recht geräuschvoll an den Platz zurückgestellt hatte. Während meines Aufenthalts in der kleinen Pension suchte ich mich ihr zu nähern, um das Geheimnis ihres Lebens zu erfahren und ihr, wenn es möglich war, etwas behülflich zu sein. Aber sie wich mir aus. Ich vernahm, dass es anderen. Männern und Frauen, die den gleichen Versuch der Annäherung gemacht hatten. nock, schlimmer ergangen war als mir. Besonders einen jungen Landsmann, einen sympathischen, ernsten Gelehrten von einer eng- fischen Universität, einen Mr. Roger, hat sie. wie man sich erzählte. mit einer solchen Lauge grimmigen Spotts übergössen, dass er am nächsten Tage abreiste. Sie war offenbar eine einsame, grosse Natur, die mit irgend einer erdrückenden Last des Lebens rang. Ihr Verstand, ihre Willensstärke und ihre Scbönheit schienen ein- ander wechselseitig zu erhöhen. Und obwohl sie sich nicht die ge- ringste Mühe gab, hatte sie ihre Umgebung doch vollständig im Bann. Es ging von ihr die geheime Gewalt geistiger Ueber- lcgenhcit aus und die Trauer eines grossen Schicksals, für welches sie ein Verständnis von den Menschen ihrer Umgebung nicht er- warten konnte. Deshalb blieb sie wohl einsam. Stundenlang konnte sie auf einem Stein drunten am See, oder unter einer Tanne droben in den Bergen sitzen und ins Weite schauen. Viel- leicht hatte nicht nur das Unglück, sondern auch der Wahnsinn sie berührt. Aber auf keinen Fall konnte man davon in ihrem Bc- nehmen etwas merken. Ihre Anworten waren stets kurz und klar und oft von einem überlegenen Humor. In ihren Augen spiegelte sich neben einer tiefen Trauer eine grosszügige Liebenswürdigkeit. Nur bisweilen veränderten sich diese grossen dunklen Augen. Dann blickte sie bös, und es sah wie ein Dämon aus ihnen. Die Zimmer- mädchcn wichen ihr dann auS und hatten Angst vor ihr. obwohl sie keinem etwas zu leid tat. Eines Tages kam sie nicht zum Frühstück, und nicht zum Mittagessen und nicht zum Abendessen. Die Pensionhalterin, eine gutmütige, etwas geschwätzige Frau verriet mir, Miss Laue sei wieder krank.Wieder" sagte sie und um ihre Augen spielte ein viel- bedeutendes Zwinkern. Es kostete mir nicht viel Mühe, zu erfahren, an was diese junge Engländerin von kaum 23 Jahren krank war. Erst schien es mir unglaublich, aber schliesslich sah ich wobl ein, dass eS so war. Sie wohnte nun schon seit eineinhalb Jahren Sommer und Winter in dieser Pension, und die Besitzerin des Hauses mutzte sie wohl kennen. Die Sache war so: Alle drei bis vier Wochen fing es bei ihr an. Sic wurde in ihren Bemerkungen immer bitterer und boshafter und schlich- lich direkt grob. Eines schöne» Morgens stand sie nicht auf und lieh sich anstatt des Frühstücks ein Glas Wermut kommen. Tann bestellte sie eine Flasche Wein, gegen Mittag noch eine und am Nachmittag fing sie mit dem Ebampagncr an. So trank sie, im Bett liegend, bis zur Bcwusstlosigkeit. Sie bekam Krämpfe, Ohn- machten, weinte und schrie stundenlang und alles, was man dann von ihr hären konnte, liess darauf schlicssen, dass sie sehr reich war, aber keinen Menschen in der ganzen Welt, weder Vater noch