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Mutter, noch Verwandte hatte und daß der einzige Mann, den sie für ihren Freund hielt, ein niederträchtiger Betrüger gewesen war. Die Welt war ihr eine Berbrechergesellschaft und das Leben eine Hölle. Nach drei Tagen berfiel sie in einen vierundzwanzig­stündigen Schlaf und wenn sie daraus erwachte, war sie wieder gefund.

So erzählte mir die Pensionshalterin.

Miß Lane hatte ihr gimmer unweit dem meinigen, und als ich an einem der Tage, wo Miß Lane frank war, am Fenster faß. hörte ich plötzlich etwas sehr Sonderbares. Aus dem Fenster ihres Zimmers ertönte der Gesang frommer Psalmen. Es waren zwei Frauenstimmen, die mit näselnder Süßigkeit zufammen in Terzen ertönten. Plötzlich aber verstummte der Gesang, ich hörte ein paar Schreie, dann ein Krachen von Möbeln, und endlich flog mit ge­waltigem Lärm eine Tür ins Schloß. Als ich auf dem Gang nach­fah, was es da gäbe, lagen auf dem Boden zwei alte schwarz­getleidete Jungfrauen. Ich kannte sie. Es waren die beiden Schwestern von Ary, zwei pietistische Seelenretterinnen, die offen­bar von dem Unglück der Miß Lane gehört und sie aus den Klauen des Teufels hatten reißen wollen. Miß Lane schien aber keinen Geschmad an dieser Hülfe gefunden zu haben und hatte die beiden frommen Damen zur Tür hinausgeworfen. Da lagen fie wie zwei Häufchen Unglüd und ich half ihnen beim Aufstehen.

Am anderen Tage war die mißlungene Belehrung der Miß Lane durch die beiden frommen Damen das Tagesgespräch. Mig Lane aber hat seither niemand mehr von den Gästen des Hauses gefehen. Sie blieb noch einige Tage im Bett und reiste dann in dunkler Nacht plötzlich ab. Aber vergessen hat sie von allen, die sie fannten, noch niemand, und obwohl sie das war, was die Aerzte eine Quartalsäuferin nennen, habe ich doch auch von den ältesten Katschbasen tein eigentlich schlechtes Wort über sie gehört. Das erhabene Tragische, was von ihr ausströmte, hat selbst fleinliche Seelen mit scheuer Achtung vor ihr erfüllt. Wenn ich aber von einem Menschen unter den vielen, an denen ich im Leben vorüber­gegangen bin, fein weiteres Schicksal wissen möchte, dann ist es das der Miz Lane mit ihren unendlich schönen, dunklen Augen und ihrem Geficht voll unglücklichem, gigantischem Trok. Anton Fendrich .

Kleines feuilleton.

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er. Ein Geschäft. Schon bald der Fünfzehnte," sagte Frau Maywald mit einem Seufzer, indem sie ein neues Blatt vom Ab­reißfalender löste, na ich sage, wir behalten den Keller noch ein Bierteljahr leer, jetzt kommt doch kein Mieter mehr zum Erften." " Wahrscheinlich nicht!" Ihr Mann, der noch am Frühstücstisch faß, brummelte vor sich hin.

Frau Maywald ging mit dem Staubtuch nach dem Schreibtisch hinüber und fegte dort ihre Morgenarbeit fort.' s ist doch wirklich zu gemein, nun schon' s dritte Vierteljahr der Mietsausfall. Na, und zum Juli kommt doch auch keiner nach' m Geschäftsteller. Da ziehn nicht mal die Schuster."

Wenigstens teine gescheiten; was da kommt, nimmt man noch nicht einmal."

Also wollen wir uns nun darauf gefaßt machen, daß er bis Oftober leer bleibt." Frau Mahwald feufzte wieder und setzte die Nippesfigur, die sie eben abgerieben, etwas hörbar" auf den Schreibtisch zurüd.

Na, eigentlich kann man es feinem verdenken, wenn er in die Bude nich rein will, sie sieht ja auch zu doll aus." Ihre Stimme flang scharf. Ach, das soll wohl mir gelten?" Der Mann schien die Schärfe zu verstehen. Na, Du mußt doch zujeben, Dakar , wenn De was hättest machen lassen.

" Ich gebe jar nischt zu!" Er fiel ihr grob ins Wort. Die Bude is noch lange frisch für das Boll, was reinziehen soll. Was foll denn reinziehen?' n Flickschuster, der braucht am Ende' n Salon."

Aber er sieht so, daß' s naß is. Wenn Du die Stube hätt'st neu tap'ziern laffen, hätt's niemand gesehen. Wenn natürlich die Tapete von den Wänden herunterbaumelt..."

Ach was, laß mich in Ruh!"

Nu, mir foll's ja recht sein, mein Geld lost's ja nich', is ja Deines. Jetzt steht er' n halbes Jahr leer, und nu noch mal' n halbes, macht' n Mietausfall von vierhundertundfünfzig Mart." Ja, ja, ja 1" Er blätterte die Zeitungen heftig um und fagte nichts weiter. Dann warf er das Blatt plöglich beiseite und schlug mit der Fauft auf den Tisch:" Zum Donnerwetter, was foll man denn machen!" Ewig der Aerger um den Keller! Hat man' nmal vermietet, dann kommt die Bande schon nach sechs Wochen:' s is naß und Jott weeß was, und man muß froh sein, wenn se jut­willig rausjehen und einen nich noch de Polizei auf'n Hals holen; und find se rausjezogen, steht die Bude leer."

Frau Maywald antwortete nicht, fie polierte angelegentlich am Spiegel herum.

Ihr Mann Initterte die Zeitung zusammen: Giebste wohl, schimpfen fannste, aber wenn man Dich um Rat frägt, weißte nichts, und nu sagste, neu tapezieren lassen, als ob's was nutzt! Nach drei Wochen sigt doch der Schimmel wieder drauf, und wenn man auch

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in de Zwischenzeit vermietet hätte, ginge der alte Merger doc wieder los. Am beften, man macht die Bude zu und stellt seine leeren Weinflaschen rein, nicht mal für de vollen is fe zu ge brauchen." Na, da wärst Du schön dumm!" sagte die Frau. Weißt Du vielleicht was anderes?"

" Ja, ganz gewiß. Sep' Dir' n Portier rein."

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Du bist wohl nich gescheit, in' n teueren Geschäftsteller!"

Der aber bis jetzt bloß erft Dir teuer geworden is." Sie lachte spöttisch. Nein, hör mal zu, ich hab mir das schon lange überlegt. Wir geben der Frau, die de Treppen scheuert und' s Gas anbrennt, jezt dreißig Mark's Monat."

Und der Keller loft't fiebenanddreißigfufzig, det nennst Du wohl sparen?"

Wenn Du fiebenunddreißig kriegen fönntest, würde ich Dir meinen Borschlag nich machen, Du friegst sie aber nich, det is eben die Sache. Wenn De Dir' n Portier reinfest, tannste ihm fürs Ge schäft zehn Mark Miete anrechnen und gibst die Wohnung frei; bringt Dir der Keller vierzig Mart.

Ach und Du denkst dadrauf wird einer reinfallen?" Er lachte auf.

Sie warf das Staubtuch beiseite und trat an den Tisch: Ach und Du denkst, da triegste feinen? Mit Vergnügen fag' ich Dir. Irgend' n Schneider oder' n Schuster oder einen der sonst was zu Hause macht, und wo de Frau mitverdienen muß, Leute, denen recht schlecht geht, die kommen gern, die sind froh, wenn se' n Unterschlupf haben." Du redeft grade, als ob Du schon einen hättest."

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mir" die Leute empfohlen. Der Mann is' n Invalide und macht " Habe ich auch! Na, was fagften nun? Unser Schlächter hat & lidarbeiten und de Frau geht auf Aufwartung. Jetzt wohnen se auf'm Hof vier Treppen, die wärn'n heilfroh, wenn se vorn wohnen fönnten, wo der Mann Bestellungen von der Straße herkriegen tann. Nach die Nässe fragen die gar nich, dazu jeht's ihnen viel zu schlecht.

" Ausgezeichnet, aber wirklich ausgezeichnet!" Der Mann, der ihr erst gleichgültig, dann immer aufmertsamer und zuletzt mit einem bewundernden Kopfschütteln zugehört, rieb sich die Hände: Hete, Du bist ja ein Prachtweib, bringt uns die Frau das alte Giftloch unter!"

Na, es is noch nich weg," fie lachte, die Sache hat noch ' n Hafen: se haben nämlich zwei Kinder, und Du nimmst doch keine."

Das Letzte kam etwas ängstlich heraus, allein der Mann rief: " Laß' n doch' ne halbe Mandel haben, des is doch in diesem Fall ganz was anderes! Ich bin ja froh, daß wir die Bude los find und haben dabei noch' n Geschäft gemacht."

" Jawohl," sagte Frau Maywald und warf sich in die Bruft, und wer hat's gewacht? Jch!"-

Theater.

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Aleines Theater. Antigone. Von Sophokles . Deutsch von Vollmöller. Der sensationelle Erfolg, den Hoffmannsthal mit seiner die Struktur der dramatischen Handlung, wie in der Hauptsache auch, die Szenenfolge unverändert dem Original entnehmenden Umdichtung der Sophokleischer Elektra" auf der Reinhardt- Bühne errang, mag wohl den Anstoß zu den neuen Aufführungsversuchen der beiden berühmtesten Sophotles Tragödien: des König Oedipus " unter Lindaus vorjähriger Direktion und jetzt der Antigone " im Kleinen Theater gegeben haben. Grundverschieden in ihrer dramatischen Technit, wie in der Art ihrer Tragit, bezeichnen diese so ungleichartigen Schöpfungen den Gipfelpunkt der Sophokleischen Kunst. So aber stellen fie auch die höchsten Anforderungen an die schauspielerische Wiedergabe. Jm König Oedipus" hat die Entwickelung eine Form, zu der die­jenige der bedeutendsten modernen, der Ibsenschen Dramatik in einem auffälligen und außerordentlich interessanten Parallelismus steht. Wie der Norweger in den Gespenstern", in Rosmersholm" und auch in anderen Stüden viele seiner tiefsten Wirkungen erzielt, indem er das Abgeschiedene, das Vergangene, aus dunklen Grüften wieder aufsteigen und im Gegenwärtigen lebendig werden läßt indem er die Handlung zu einer stufenweis fortschreitenden Ent hüllung des einst Geschehenen macht und sie dadurch der Katastrophe entgegentreibt, vollzieht sich hier in der Tragödie des Sophokles das Schicksal des Helden gleichfalls als ein erschütterndes und zer­malmendes Sich- Offenbaren des Vergangenen. Genial ist der Plan durchgeführt, Glicd greift in Glied, man sieht, wie Stück um Stüd der Schleier von dem Medusenhaupt der Wahrheit fällt, jeder Schritt des Königs ihn dem gähnenden Abgrund näher bringt. Das Gefühl einer blindwaltenden Notwendigkeit wird wach. Keine tragische Schuld versöhnt" mit Oedipus' Leiden. Unwissentlich hat er gefrebelt; was er vollbrachte, war von dem Walten des Schickfals unabwendbar voraus der Götter, fagt der griechische Dichter bestimmt, vorausbestimmt, daß sich das Schreckliche ihm später offen­baren mußte. Es ist ein mythologischer Determinismus, ähnlich düster und schwer in seiner Stimmung, wie der auf der Vererbungs­lehre ruhende Determinismus, der aus den Ibsenschen Ge­spenstern", dem Untergange Oswalds, uns entgegen weht. Antigone " dagegen erscheint in jedem Zuge als das typische Drama der frei gewählten Tat. Kein Orakelspruch, fein Zwang, den das Bergangene ausübt, einzig ihre innere Ueberzeugung treibt die

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