Anterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 51.
Mittwoch, den 14. März
( Nachdrud verboten.)
1906
So hatte Pastor Fischer seit langen Jahren ganz Palästina durchstreift, weniger vielleicht aus religiösem Eifer, als seiner mußte".
Die Eroberung von Jerufalem. reichen Nachkommenſchaft wegen und weil man doch leben
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Roman von Myriam Harry . Autorisierte Uebersetzung aus dem Französischen von Alfred enter
Er? Ja, er war ein Renegat, ein Keter, da er eine Diakonissin geheiratet hatte, sagten die Katholiken. Und ihr Haß wurde noch giftiger infolge der Enttäuschung ihrer auf ihn gesezten Hoffnungen und des Aergers über seinen Uebertritt in's feindliche Lager. Sie verschlossen ihre Türen vor ihm. Seit er aufgehört hatte, römischer Katholik zu sein, war er für sie auch kein Franzose mehr.
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Er ist ein Befehrter, vielleicht gar ein Auserwählter," versicherten die Protestanten. Außerdem ist er tüchtiger Gelehrter, der unserem Glauben nützlich sein und unsere Sache zu Ehren bringen fann."
Und sie öffneten ihm Tür und Tor. ,, Ein Ungläubiger mehr in unserer Stadt!" meinten die Türken, die ihn die Mauern ihrer Moscheen umkreisen sahen. Und sie rafften einen Zipfel ihres Aermels auf und preßten ihn auf ihren Mund, um nicht mit Elias die gleiche Luft einzuatmen.
Aber noch in einer anderen Welt hatte Jamains Ankunft Aufruhr und Bestürzung hervorgerufen.
Das war die Welt der Bettler.
Besonders die Aussätigen, diese außerhalb der Mauern und außerhalb des Lebens stehenden Krüppel, die man vor das Zionstor verwiesen hatte, und die so zu sagen seine Nachbarn waren, widmeten ihm großes Interesse.
,, Er ist ein Heiliger," versicherten fie. Seht Ihr denn nicht, daß er stehen bleibt, um sich mit uns zu unterhalten, und daß er durch unsere Berührung nicht angesteckt wird?" ,, Nein," rief von der anderen Grabenseite her das Oberhaupt der Blinden , während er mit seinem Stabe auf die Straße klovfte. Er ist ein Zauberer. Ich bin ihm eines Tages im Finstern nachgetappt. Und da hörte ich, wie er die Steine untersuchte. Der sucht in der Erde nach Schäßen." ,, Vielleicht sucht er nach Schäßen, um uns damit ein Geschenk zu machen," meinte ein junges, noch im ersten Strantheitsstadium stehendes Mädchen aus der Leprafolonie. Seht mal, diesen Spiegel hat er mir geschenkt, damit ich mich, solange ich noch schön bin, darin nach Belieben betrachten fann."
Wer weiß? Gott ist barmherzig," sagte eine Weltere, die schon ganz entstellt war.
Und Gott ist barmherzig!" wiederholten im Chor alle diese Siechen und Aussätigen.
Während dann die Blinden wieder zur Stadt zurückfehrten, um zu betteln, humpelten die Aussäßigen zu den Schutthaufen, um dort hervorzuscharren, was die Hunde ihnen vielleicht noch übrig gelassen hatten.
3.
Ihren ersten Besuch machten die Jamains dem Pastor Fischer in Bethlehem , der sie in der kleinen Hospitalfapelle getraut hatte. Er war Cäciliens Bate und ein Jugendfreund ihres Vaters.
In Wirklichkeit war er gar nicht Pastor und hatte auch nicht die Ordination erhalten. Aber er ließ sich so titulieren, und es schmeichelte ihm ebenso wie einem Tierarzte, wenn man ihn mit„ Herr Doktor" anredet.
Eigentlich war er im großen und ganzen ReligionsMakler und machte Propaganda für Rechnung mehrerer protestantischer Seften, die zu arm waren, sich einen eigenen Repräsentanten zu halten, und nun zur Besoldung eines gemeinsamen Predigers zusammenschlossen, wobei sich ihr Beitrag nach der Zahl der befehrten Seelen richtete. Und wenn ihr Bekenntnis auch verschieden war, so hatten sie doch ein gemeinsames Ziel: dem Katholizismus Konkurrenz zu machen. Und sobald im Heiligen Lande irgendwo eine griechische Kirche oder eine katholische Schule eröffnet wurde, setzte sich flink ein protestantischer Missionar mit einem Vorrat von Bibeln und Taufprämien in ihrer Nachbarschaft fest.
Und da er im Grunde ein gutmütiger Mensch war und manchmal die Augen zudrückte" wenn man sich sonst nur die Stirn mit Taufwasser besprengen ließ, so war er allen Verfolgungen entronnen und hatte sogar mit seinen Rivalen leidliche Nachbarschaft gehalten.
Er war übrigens nicht nur Taufprediger, sondern nebenbei noch Apotheker, nach seinem Lieblingsspruch:" Der Arzt der Seele soll auch gleichzeitig der Arzt des Leibes sein." Nie begab er sich ohne ein kleines, in ein Wachstuch gehülltes Kästchen, das er pomphaft seine Apotheke nannte, auf die Reise. Die„ Apotheke" enthielt etwas Arsenik, Chinin, Magnesia, englisches Heftpflaster und Eisenpräparate, Heilmittel, mit denen der Pastor alle Krankheiten furieren zu können behauptete. Aber die Araber machten nie die Probe damit, sondern zogen es vor, die Pulver als Fefische unter der Türschwelle zu bergraben und die Papierhülsen als Amulette zu ver schlucken.
Auch die Europäer nahmen nicht mehr seine Arzneien, seit sich mehrere Aerzte in Jerusalem niedergelassen hatten. Daher wurde der Pastor, um seine freie Zeit auszufüllen und sein Einkommen zu vermehren denn die Einwohner von Bethlehem , die sich rühmen, Nachkommen der Kreuzfahrer zu sein, verhalten sich dem lutherischen Statechismus gegenüber sehr zurückhaltend nebenbei Winzer und Bienenzüchter. Hat ejus nicht auf der Hochzeit zu Cana Wasser in Wein verwandelt? Und nährte sich Johannes der Täufer nicht von Honig?
,, Weißt Du, er steht bei meinem Vater in hoher Achtung. Er ist einer der Hauptpfeiler unserer Mission im Heiligen Lande", sagte Cäcilie, die Zügel nachlässig hängen lassend. Sie hatte ihren gelben Reisemantel angezogen und einen ecrüfarbigen Sonnenschirm mit rosa Futter aufgespannt, der ihr feines Gesicht mit rosigem Schein übergoß.
Und wie ist Frau Fischer? Bei unserer Hochzeit haben wir sie nicht gesehen," fragte Elias, sein Pferd neben das seiner Frau lentend.
,, Sie ist eine frühere Straßburger Diakonissin. Vielleicht wird sie feinen sehr vornehmen Eindruck auf Dich machen. Sie ist aber eine ganz treffliche Frau. Sie hat meine verstorbene Mutter gekannt, und ihre Kinder sind bei meinem Vater in Bension. Das bringt sein Budget etwas ins Gleichgewicht; wir sind ihnen also gewissermaßen zu Dank verpflichtet. Sei also, bitte, schon meinetwegen zu ihnen liebenswürdig, Elias; ich rechne sie ein wenig zu meiner Familie."
" Ja, ja, Liebste, sei ganz beruhigt. Ich werde mir Mühe geben, Dir feine Schande zu machen. Aber vor ein paar Wochen sagtest Du mir noch, Du hättest keine andere Familie als mich!" „ Sieh, dort kommt uns gerade Pastor Fischer ent.
gegen." In der von Cäcilie mit dem Sonnenschirm bezeichneten Richtung erblickte Elias auf einem grauen Esel ein paar gelbliche Leinwandhosen, einen grünlich verschossenen Alpakarock und über diesem einen Kopf, bon dem man nur zwischen einer graumelierten Bartkrause und dem zerknitterten Rande eines alten Strohhutes einen breiten, jovialen Mund sah, der nun, um ihnen etwas zuzurufen, sich weit öffnete.
Bald stiegen alle ab.
Pastor Fischer nahm erst Cäcilie in seine Arme, dann legte er sie Herrn Jamain vertraulich auf die Schultern und gab ihm rechts und links einen schmaßenden Bruderkuß.
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,, Ach, Kinder! Wie freue ich mich! Wie freue ich mich! Nun seid Ihr ja wieder da, und wie man sehen kann, in bester Gesundheit. In Jerusalem war man bereits besorgt um Euch. Sie fehren nicht mehr zurück, unterwegs ist ihnen ein Unglück zugestoßen", hieß es.„ Zaßt doch", beruhigte ich sie; unsere jungen Leut hen sind glücklich, das ist das ganze! Und sie haben recht, so eine Hochzeitsreise dauert ja doch nicht das ganze Leben." Aber abends sagte ich zu meiner Amalie: „ Nein, hättest Du wohl so etwas von dieser kleinen Schwester Cäcilie geglaubt? Schreibt nicht einmal an uns! Sie muß doch von ihren Missionspflichten sehr in Anspruch genommen