Anterhattungsblatt des HorwärtsNr. 52.Dotmerstcig� den 15. März.1906tNachdruck verboten.)Die Sroberung von Jerusalem.Roman von Myriam Harry.131 Autorisierte Uebersetzung auS dem Französischenvon Alfred DeuterElias dachte, daß wahrscheinlich einst ein kunstfertigerPilgersinann die Knaben das Drechseln gelehrt habe, währenddie Ritter sich wohl mehr damit beschäftigt hätten, den jungenMädchen fränkische Wiegenlieder zum Einlullen des künftigenNachwuchses beizubringen.Noch immer ging es bergan.Eine Gruppe von Franziskanern stieg in raschem Schrittden Abhaiig herab. Ihre weißen Knotcnstricke schlugen wieklanglose Schwerter gegen die braunen Kutten, und ihre un-hörbaren Sandalen traten die auf den Weg gesäeten flimmern-den Splitter in den Staub. Sie marschierten wie zum An-griff eines unsichtbaren Feindes: unter ihren gesenkten Lidernschössen flammende Blitze hervor.„Haben Sie jene Blicke gesehen, Herr Jamain?" rief derPastor.„Verflixt! Die lieben Sie nicht. Wenn Ver-wünschungen tödlich wären, könnte ich Sie heute nicht mehran meinem Tische willkommen heißen. Ich begreife ihrenZorn, aber er belustigt mich nur. Nun ist die Reihe zu wütenan ihnen. Früher haben sie uns alle Lämmchen, immer kurzvor der Taufe, weggeschndppt. Es war in ihrer Nähe auchnicht die armseligste, kleinste Bekehrung zu Wege zu bringen.Aber nun haben wir unsere Vergeltung. Für Ihre Seelehätten sie hier gern fünfhundert und in Jerusalem zweitausendandere hingegeben. Als ich an jenem Tage Ihr Aufgebotvon der 5tanzel herab verlas, summte und brummte es obenbei ihnen wie in einem Wespenncste. Am folgenden Sonntagehat man Sie auf dem Geburtsstätten-Platze in' vkfigis verbrannt, nachdem man Sie für einen Renegaten erklärt hatte.Ich glaube auch, daß man Sie am„Heiligen Grabe" ex-kommuniziert hat."Erblassend blieb Elias stehen. Ihm fiel die Szene inNazarcth ein, und die Verwünschung des Lazaristenbruders.„Sie haben mich exkommuniziert? Einen Renegatennennen sie mich? Ja, haben wir denn nicht den gleichenGott? Bin ich denn kein Christ mehr?"„Im Gegenteil, mein Freund, im Gegenteil! Geradedurch Ihre Heirat sind Sie ein rechter Ehrist geworden. Ge-stehen Sie selbst, was sind jene? Was sind alle Katholiken?Doch nur Götzenanbeter, die mit Legenden abgespeist werdenund Heiligenbilder anbeten? Nicht wahr Cäcilie?"Kopfnickend stimmte sie zu. Sie wußte es nur allzu gut.Traurigen Herzens setzte Elias seinen Weg fort. DerAnstieg schien ihm endlos zu sein.Duster blickte das Kastell der Amaury auf ihn herab,und drohend hingen die befestigten Klöster über ihm.„Ach, meine Kindheitsträume! Meine Jünglingshoff-nungen I Mein Mut, mein inbrünstiger Glaube! Wie sofern seid ihr!" murmelte er.„Ein Renegat! Ja, habe ichdenn nicht meine Träume verleugnet? Ein AusgestoßenerlJa, habe ich denn nicht meine Glaubensfackel selbst aus-gelöscht?"Und schmerzlich wiederholte er:„Ein Exkommunizierter! Ein Exkommunizierter!"In dieser Stadt Palästinas, wo noch das Andenken an dieTempelritter und die fränkischen Könige lebendig war, lastetedas Wort auf ihm mit der ganzen vernichtenden Schweremittelalterlichen Schreckens.Niedergeschlagen wandte er sich nach seiner Frau um, inder Hoffnung auf ein zärtliches, ermutigendes Wort, in derErwartung eines mitfühlenden, liebevollen Blickes.Doch sie plauderte mit Herrn Fischer, für ihn hatte sieweder Zeit noch Mitleid.Und wie hätte sie sich auch über seine Gewissensnot er-regen, wie seine Aengste teilen können! Ihre Religion war jaso positiv, so vernünftig.„Hier, bitte, hierher!" rief der Pfarrer mit den Armenfuchtelnd.Elias wandte sich um. Er schüttelte auf dem„Salaam"einer Strohdecke den Staub von seinen Füßen, während einauf die Giebelwand gemaltes blaues, von gelben Strahlenumgebenes Jehova-Auge ihn starr anblickte.Bibelverse liefen als Fries an den Wänden des Vor»raumes entlang, schmückten die Gesimse und krönten dieTüren.Auf den obersten Treppenstufen verschwand ein roterUnterrock.„Das ist die Frau Pastorin, die sich nun noch rasch inStaat wirft," scherzte Herr Fischer schmunzelnd.„Aber wasist mit Ihnen, Herr Jamair, Sie sind ja blaß wie der Todund feucht wie ein Auferstandener. Bei der Hitze haben Siewohl Fieber bekommen? Zum Glück habe ich eine Apotheke.Bitte, treten Sie hier ein... ein wenig Chinin, dann istbald wieder alles in Ordnung."Während der Pastor unter seinen Glasgefäßen herumkramte, iah Elias sich im niedrigen, behaglich eingerichtetenund kühl-frischen Gemach um.Mit Vogelleim überstrichene und an.Schnüren befestigteBlumentöpfe hingen von der Decke herab. Ueber die Sesselund das Ripssofa waren gehäkelte Schutzdecken gebreitet; eineebensolche Hülle bedeckte sogar eine Christusbüste aus Gips, sodaß es aussah, als schlununere das Haupt unter einer Nacht-mütze. Honiggläser und dickbäuchige Flaschen füllten dieuntersten Fächer eines Bücherschrankes voll schwarzer, mitGoldkreuzen versehener Bücher. Auf dem Deckel einer Näh-Maschine ruhte ein sehr großes, aufgeschlagenes, mit Lese-zeichen gespicktes Testament.„Hier ist das Chinin! Trinken Sie einen Schluck Wassernach! Der neue Apotheker in Jerusalem verkauft es jetzt wohlschon in Gelatinekapseln. Aber ich bin noch nach der altenMode. Da weiß man wenigstens, was man einnimmt. Aller-dings schmeckt solch ein Pulver bitterer!"„Keineswegs! Dieses ist gar nicht bitter, hat vielmehreinen sonderbaren, faden, süßlichen Nachgeschmack. Chininkann es also nicht sein."„Schlucken Sie's nicht runter! Schlucken Sie's nichtrunter! Mein Gott, Cäcilie, sieh doch mal nach, was aufder Etikette steht, ich habe meine Brille nicht bei derHand...."„Arsenik," sagte Elias ganz ruhig, als er das Glasgefäßdem Pastor aus der zitternden Hand nahm.„Spuck aus! Spuck rasch aus!" rief Cäcilie, ihm denLöffel fortreißend, an dem er kaum geleckt hatte.Kopflos rannte Herr Fischer im Zimmer umher.„Ein Brechmittel! Ein Brechmittel! Lieber Gott, einBrechmittel! Amalie! Amalie!"»Elias hatte sich jedoch bereits aus dem Fenster gebeugtund das Nötige kurzerhand besorgt.„Beruhigen Sie sich doch! Die Sache ist nicht schlimm!"„Ach, mein Gott, mein Gott! Schon beim Gedankendaran wird mir ganz schwach. Wie hätten die dort drübengejubelt! Einen Menschen umzubringen, das wäre so was!"„Es wäre immer nur ein Renegat weniger gewesen!"schloß Elias mit trübem Lächeln.Bald war der Zwischenfall vergessen und man setzte sichzu Tisch. Nun kam auch die Pastorin zum Vorschein. EineFrau von gewaltigen, dicken, schlaffen Körperformen undeinem kleinen, mit Sommersprossen übersäeten Kopf, auf demeine Haube mit zitronengelben Bändern saß.Sie trug selbst auf und setzte die Schüsseln auf den Tisch,als ob sie ihr aus den Fingern glitten. Und wenn sie dieTeller wieder forttrug, sab man durch den Schlitz ihresschwarzen Seidenkleides, wahrscheinlich ihre Hochzeitsrobe,einen roten Unterrock, dessen Maschen sich in die Breite ver-zogen.Während der Mahlzeit blieb sie stumm, schlug ihre weiß-lichen Augenlider mit mädchenhafter Schüchternheit nieder undsteckte die Serviette unter dem Kinn fest, um zu Verdecken, daßdie obersten Knöpfe ihrer vic! zu engen Taille nicht zugeknöpftlvaren. Nur wenn der Pastor am Schluß eines Satzes ein„Nicht wahr, Amalie?" einstreute, reckte sie ihr Doppelkinn,daß es sich wie der Sack eines Pelikans dehnte, und unter ihrengeröteten Lidern hervor glitt ein zärtlicher Blick zu ihremjMann hinüber.