Anterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 57.
Donnerstag, den 22. März.
( Nachdruck verboten.)
Die Eroberung von Jerufalem.
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Roman von Myriam Harry . Autorisierte Uebersetzung aus dem Französischen bon Alfred peuter
,, Ach ja, vielleicht ist's der Doktor, der am meisten recht hat," antwortete Elias träumerisch, denn sicherlich ist er glücklicher
als wir."
Nein," erwiderte der Graf, seinen Helm aufsetzend und den Degen festschnallend.„ Nein, glücklich kann er nicht sein, denn er leidet nicht. Er hat seine Lebensfähigkeit abgeStumpft und eingeschläfert: er fennt weder Streit noch Zweifel, nicht unsere bange Erwartung, noch unsere glühende Hoffnung. Alle seine Einbildungen verwirklichen sich, und er regelt seine Wünsche nach Belieben mit seiner Pfeife. Ich
aber frage mich oft, ob nicht die Schönheit des Lebens gerade in seiner Traurigkeit besteht, und ob nicht unsere Größe sich gerade an der unerfüllbarkeit unserer Träume mißt. Ach, mein Freund, Sie und ich, wir beide leiden an der Häßlichkeit dieses Jahrhunderts. Aber schirmt die Schönheit, die in Euch lebt; laßt Euch nicht durch Mittelmäßigkeit befriedigen, gestattet Eurem Geiste nicht, sich durch den Verkehr mit Gemeinen selbst herabzusetzen. Ein edler Traum vermag die Welt zu beherrschen und umzuformen. Darum also, mein Freund, wollen wir den Traum, der in uns lebt, schirmen; schirmen auch die Schönheit, schirmen sogar unser Leiden."
8.
Bald aber tröstete eine bessere Hoffnung Elias über die Flüchtigkeit seines Glaubens und die Unvollkommenheit seines Glückes.
Alle seine traurigen Gedanken vergaß er jeßt, sobald die Hufe seines Pferdes auf Bions Pflaster klapperten, und am Ende des dunklen Gäßchens durch den Gewölbebogen ritt.
er
Und wenn er in dem großen, sarazenischen Hofe abstieg, dann pochte sein Herz wie an jenem Tage, da er zum ersten Male in dieses Haus tam, vor wonniger, geheimnisvoller Ungeduld.
Rasch flog er die Treppe hinauf, und seine Hände, die leicht über das Geländer streiften, trugen dessen Blütenduft mit sich fort.
Zwei in Verbindung stehende Räume bildeten die erste Etage; einer war zum gemeinschaftlichen Wohnzimmer eingerichtet, der andere zu Cäciliens Boudoir. Seit sie jetzt feltener ausging, fonnte Elias fast stets sicher sein, sie dort in lockerer, wallender Kleidung auf dem umgitterten Balkon anzutreffen. Nun stricte sie nicht mehr solche scheußlichen grauen Wollstrümpfe, sondern nähte allerhand zierliche, drollige, ganz weiße winzige Sächelchen, die Elias, zärtlich gestimmt, auf dem Kopf seiner Reitpeitsche wirbeln ließ oder vorsichtig um sein gebräuntes Handgelenk schlang. Dann schmiegte er sich an seine Frau, lehnte den Kopf an ihre Schulter und malte sich lange, glückliche Träume aus, während sie ihre zarten Batistarbeiten wieder zur Hand nahm, und winzige, schillernde Eidechsen, die auf dem Gitterwerk der Mouscharabis wie blizende Nadeln auf grünem Sanebas aussahen, lautlos dahinhuschten.
Eines Tages sagte er zu ihr:
Sollte es eine Tochter sein, so wollen wir sie zum Andenken an Baalbeck Astarte nennen und ist's ein Knabe, zur Erinnerung an Byblos Adonis; ist's Dir recht?"
Onein!" rief sie entsetzt aus, nein, nur nicht diese häßlichen, heidnischen Namen; sie machen mir Angst!"
Machen Dir auch unsere Erinnerungen Angst?" fragte er ganz leise.
Unsere Erinnerungen? Ach, Elias, immer und immer wieder fängst Du von ihnen an. Gilt Dir denn die Gegenwart nicht ebenso viel wie die Vergangenheit, daß Du unaufhörlich bei dieser verweilest? Findest Du denn hier fein Glück, daß Du stets anderswo danach suchst?"
Oh doch! Oh doch, mein Lieb, ich bin glücklich, vollfommen glücklich," beeilte sich Elias, von der Gerechtigkeit dieses Vorwurfes betroffen, ihr zu erwidern. Und in Angst vor einer neuen Verstimmung fügte er betrübt hinzu:
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1906
Wenn Du es wünschest, werde ich nie mehr mit Dir bom Libanon reden!"
Besänftigt strich sie ihm über die Stirn.
Höre, Schatz, Du mußt mir meine Worte nicht verargen, denn mir kommen alle jene Sachen so fernliegend und auch so kindisch vor. Während ich hier nähe, denke ich an anderes, was vielleicht noch ferner liegt, mich jetzt aber viel näher und auch ernster berührt. Ich denke an meine Eltern, an die Kleinen zu Hause, an das Dorf, an's Seminar und ich weiß nicht, zu Zeiten rührt mich das alles so, daß ich weinen muß. Sieh, da sind die Tränen schon wieder."
Troßdem jedes ihrer Worte das Herz ihres Mannes auf's tiefste berührte, suchte dieser sie doch zu trösten und ent schuldigte sie sogar vor sich selbst:
„ Das ist doch ganz natürlich, Liebling; die Mutterschaft lenkt stets zur Kindheit zurück."
Abends stiegen sie oft zum obersten Gemach empor. all lagen Trauerstelen, Knochen, getrocknete Pflanzen und Dort hatte er sich sein Arbeitszimmer eingerichtet. UeberPergamentfeßen umber. Alles roch nach Tod und Salpeter. Aber am Geländer der Terrasse wuchsen duftende Geranien, Bafilifakraut und Rosmarin.
Hier breitete man dann Antiochiateppiche aus und schichtete Damaszenerkissen auf. Assir trug nach Türkenart die Platte auf dem Kopfe herbei und man genoß ein paar Bissen; schließlich streckte Elias fich an der Seite seiner Frau lang aus und rauchte sein Nargileh, dessen Wasserfüllung mit Rosen parfümiert war.
Von hier aus sahen sie bei flarem Himmel Jerusalem zu ihren Füßen liegen. Zwei tiefe Täler zeichneten in seine bier Hügel ein schwarzes Kreuz, ein weißer Steinring rahmte
es ein.
Im Osten schien die sich auf einem ungeheuren Hofe wie auf einer mächtigen Silberplatte erbebende blaue OmarMoschee bis zu den Sternen emporzureichen. Rund umher ließen vereinzelte Zypressen ihr dunkles Laub wie trauernd und tränenschwer herabhängen.
Zur Rechten glißerten die Triangeln( Jehovahsaugen) der Synagogen; zur Linken glänzten goldene Kreuze, und etwas näher, fast dicht zu ihren Füßen, sahen sie in der Senkung des Golgathahügels den breiten, unförmig ge wölbten Dom der Grabeskirche .
Hinter ihnen ragte die Davidsburg empor, und etwas tiefer neigte sich ein verwittertes Karawanenserai wie durstig zu einem ausgetrockneten Teich hinab.
In diesem Becken soll Bethsabeh gebadet haben, als David sie von seiner Burg aus belauschte.
Der Rest der Stadt setzte sich zusammen aus Kuppeln, weiß wie frischgefallener Schnee, aus Treppen, steil wie Ras. faden, aus Minarets, schlank wie Lanzen, aus verfallenen Ruinen, grauen Klostermauern und lichten Pläßen, wo Saftusbecken ihre phantastischen Spizenmuster ausbreiteten.
Alle Straßen lagen schweigend, alle Häuser dunkel da. Doch um Cäcilie und ihren Gatten fing es an, sich zu beleben.
Jerusalem verließ seine niedrigen, düsteren Gemächer und stieg zu den hellen, hohen Plattformen empor.
Weiße Gewänder glitten langsam schleppend über die Stufen, Schatten streckten sich auf den Dächern aus, eine leichte Brise wehte und trug den Duft der hängenden Gärten von Terrasse zu Terrasse.
Manchmal fam Leben in ein Musselingewand, der Zipfel eines Schleiers wehte, ein Seufzer rang sich empor, zwei ge spenstische Gestalten umschlangen sich, Geschmeide klirrten, auf der Straße fing ein Hund an zu bellen.
Dann versant alles wieder in Unbeweglichkeit und Schweigen.
Elias sog heftiger, erregter an seinem Bernstein. mundstück.
Der Schlauch seines Nargelih schwankte wie eine hüpfende Schlange. Gluckernd hoben und senkten sich die Rosen im Wasser der Karaffe. Vom Rauche schimmerte der Hals des Gefäßes opalartig, die Kohle auf dem angefeuchteten Tabak geriet wieder in's Glühen.
Auf der gegenüberstehenden Mauer breitete eine Dattel. palme ihre ruhigen Zweige aus. Es war die einzige Dattel