setzte. Der wird Dich nicht vergessen, sondern Dir ein seidenes Kleid für den ersten Kirchgang schenken und einen Dukaten als Halsschmuck für Deinen Sohn.. Vierzehn Tage später kehrte der Maler abermals zurück. Diesmal hatte man sie am jenseitigen User des Roten Meeres überfallen. Zum Beweise der Wahrheit seines Berichtes brachte er, in einen Zipfel seines Hemdes eingeknotet, ein Klümpchen Erde von Moab mit. Inzwischen hatte Elias jedoch seine völlig unversehrten Waren bei einer öffentlichen Versteigerung im Bazar entdeckt und drohte Slamin mit dem türkischen Pascha, wenn es ihm nochmals einfallen sollte, ausgeplündert heimzukehren. Trotz- dein mußte er sich dazu verstehen, eine dritte Karawane aus- zurüsten, und nun zog Slamin wirklich los. nachdem er seinem Herrn noch anempfohlen hatte, doch auf seine»viel hübsche" Frau acht zu geben. Später meldete diesem eine halb griechisch, halb arabisch abgefaßte Botschaft, die ein Beduine in seinem Kopfputz ver- steckt überbrachte, die Ankunft des Syrers bei dem Stamme, der das Idol besaß, gleichzeitig aber auch seine Gefangenhal- tung als Geisel. Zur Auslösung wären fünfhundert Talaris nötig. Elias gab dem Boten zweihundert mit. Und abermals verflossen Monate ohne jede Nachricht. Er fing schon an, ernstlich um die Sicherheit der Karawane und den Erfolg ihrer Mission besorgt zu sein. Um seine Ungeduld zu beschwichtigen, beschäftigte er sich mit semitischer Inschriftenkunde, zog die Landkarten zu Rate und studierte die wenigen Bücher durch, die über Arabien , über dieses so große und stille, so unbekannte und spurenreiche Arabien, geschrieben sind. Wie Aegypten , so hatte auch dieses Land zahlreiche For- scher angelockt: viele waren jedoch zurückgekehrt, ohne etwas gefunden zu haben: andere waren überhaupt nicht wiederge- kommen, waren verschollen, man wußte nicht wo, nicht wie, von den Strapazen, von Sonne und Durst hingerafft oder von den Beduinen uberfallen und ermordet. „Und ich"— so erzählte ihm eines Tages Bohemund bei einem gemeinsamen Ritt—„habe einen armen Teufel von Gelehrten gekannt, der Jahre hindurch bei den Beduinen lebte, sich bald als Arzt, bald als Fakir(Derwisch) ausgab und so- gar glücklich bis Mekka vordrang. Er hatte, so behauptete er wenigstens, alle Inschriften Arabiens aus Papierschnitzeln niedergeschrieben und diese in seine Kleider eingenäht. Er befand sich bereits auf der Rückreise hierher, als er auf dem jenseitigen Jordanufer überfallen und ausgeplündert wurde. Nicht einmal das Hemd, das gerade die Früchte seiner langen Forschungen barg, ließ man ihm. Darüber ist er verrückt geworden, verrückt vor Verzweiflung. Ich nahm ihn bei mir auf: nachher wollte er die Terrasse meiner Burg, von wo aus er Jdumäa sehen konnte, nicht mehr verlassen. Eines Tages verließ er sie aber doch: allerdings nur, um sich in den Burg- graben zu stürzen. Auf meinem Friedhof liegt er begraben, dort können Sie noch sein Grabmal sehen." „Hat er nie das Idol von Moab erwähnt?" „Nein, niemals: er erinnerte sich an nichts mehr!" „Und vielleicht war es gerade dieses, das ihn verrückt ge- macht hat," sagte der Gelehrte seufzend. Manchmal aber, wenn Elias über seinen Tisch gebeugt, in alten Schwarten herumblätterte, drang aus der Tiefe des Hauses ein Lachen, hell wie das Zwitschern eines Vögelchens, zu ihm empor. Tann fiel im auf, daß Würmer an seinen Pergamenten nagten, daß sein Tisch mit Staub und Asche bedeckt war. daß sein Zimmer nach Tod und Salpeter roch. Tann stand er auf und beugte sich über die Brüstung der Terrasse, auf der Ros- marin und Minze sproßten. Dort unten saß die bethlehe- mitische Amme und summte ein altes fränkisches Lied, wäh- rend sie eine an den Aesten des Granatbaumes befestigte Hängematte schaukelte. Und zwei winzige, nackte, rosige Fütz- chcn tauchten aus den grünen Blättern auf und verschwanden wieder, ein spielerisches Händchen griff im Fluge nach der Nase der Amme und ein lustiges Stimmchen zwitscherte: „Jamma! Jamma!"(Amme.) Sonnenlicht überrieselte die Treppen, Eidechsen ver- folgten einander, blitzschnell durch die Gitteröffnungen der Mouscharabis schlüpfend, und die gelblichen Blütensterne des Jasmin hauchten einen betäubenden Dust aus. Da sagte er sich: „Hier ist das wahre Leben, hier auf diesem Hofe, das Keben mit seinen Hoffnungen, seiner Poesie und seinen Ge- Heimnissen. Warum anderswo danach suchen? Ganz Arabien samt seinen Idolen könnte mich nicht mehr lehren!" Und er stieg hinab, um seine Tochter im sarazenischen Hofe herumzutragen. Hellauf lachte sie, wenn Elias die Ringe der Spannketten gegen �die Mauer warf, daß sie klirrten. Auch machte es ihr vielen Spaß, in den dunklen Pferdestall zu blicken, und wenn der arabische Hengst schnaubend wieherte, versteckte sie ihr Köpfchen an Papas Schultern und trommelte mit den rosigen Hacken ihrer nackten Füßchen vor Vergnügen auf seinem Leibe. Tann sagte wohl die Bethlehemitm, die von hinten heran- getreten war: „Sidi, Du hast nichts verloren; das ist ein richtiger Junge I Bismillahl" lgortsetzung folgt.)! (Nachdruck verdaten) Lwt�eugen der ruMleben Literatur. „Der Dichtung Flamm' ist allezeit ein Fluch", hat einst Ferdi- nand Freiligrath gesungen. Kaum eine andere Sentenz wurde so vielfach mißverstanden, jedoch niemals sozial gedeutet, wie diese. Der sie prägte, ist nämlich in keiner Phase seiner Entwickelung so schwer vom„Weltschmerz"— der philosophischen Modekrankheit jener Tage I— befallen geweien, das; er der irrigen Auffasiung: als ge- reiche die dichterische Begabung deren jeweiligem Träger schon an und für sich zum Unsegen, Raum geben mochte oder gegeben hätte. Sondern Freiligrath, dem ja bewußt war, datz jeder echte Poel auch „von selbst em Mann des Forlschritts" sei, erschien gerade der diesem angeborene freiheitliche WesenStrieb als Urquelle für alles irdische Dichterleid. Hieraus entspringen alle Konflikte und Kämpfe mit der menschlichen Gesellschaft wie mit der staatlichen„Ordnung". Die Geschichte der deutschen Literatur stellt genug Beweise dafür; die deS nissischen Schrifttums aber noch weit inehr. Es existiert kein Staat, in welchem die Schrift- steller auch nur annähernd so grausam verfolgt wurden als im Zarenreiche. Um diese Behauptung zu erhärten, wird eS doch notwendig sein, auf das Zeitalter der Kaiserin Katharina II. zurück- zugreiten, Kraft ihres Einflnsies begann damals eine neue Aera in der russischen Literatur. Im Schrifttum jener Tage begegnet man zum erstenmal verschiedenen Themen, die auf direkter Beobachtung des russischen Lebens beruhten. Und ebenso begegnet man in Derschawin und Bon Wizin! zwei bedeutenden Dichtern, in Nowikoff dem ersten Philosophen nnd in Radistscheff einem politischen Schriftsteller. Uber noch ein anderes weit wichtigeres Merkmal hat jene Epoche aufzuweisen: Die Freimaurerbewegung, die teils maurerisch, teils christlich-myftizistisch war. Beide Gesellschaften rekrutierten sich aus den besseren Geistern der Nation. Ihre Be- strebungen waren auf Verbreitung der Bildung unter den Massen gerichtet. In beiden hat man die erste Manisestation politischen Denkens zu erblicken. Die fteimauerische„Gesellschaft der Freunde " fand m Nikolai Nowikoff, der nicht nur ein hochgebildeter Mann, sondern auch ein großer Organisator war, einen wahren Apostel. Nowikoff hatte keinen Gefallen an der oberflächlichen Satire, welche Katharina bevorzugte und sogar in mehreren Komödien persönlich festlegte. Er wollte bis zur Wurzel alles Uebels jener Zeit gehen, nämlich zur Leibeigenschast im allgemeinen. Zunächst gründete er«me Zeitung, die aber bald von Katharina unterdrückt ivnrde. Dann eröffnete er in Moskau eine großartige Druckerei und Bucbhandlung zum Zweck der Herstellung und Verbreitung von Büchern ethischen Charakters. Mit dieser Anstalt war ein Hospital für die Arbeiter verbunden sowie eine Apotheke, die allen Armen Moskaus die Medikamente kostenlos verabfolgte. 1787 organi- sierte Nowikoff während der Hungersnot Unterstützungsstationen für die hungernde Landbevölkerung. Sein Einfluß wuchs gewaltig, Ivos zur Folge hatte, daß Kirche wie Regierung seine Bestrebungen mit Argwohn verfolgten. Es dauerte denn auch nicht lange, da wnrde Noloikoff der politischen Verschwörung beschuldigt und verhastet. Katharina ließ ihn 1792 zum Tode verurteilen,„begnadigte" ihn jedoch zu 16 Jahren Geheimzelle auf der fürchterlichen Festung Schlüsselburg . Paul l,, Katharinas Nachfolger auf dem Throne. befreite ihn zwar im Jahre 1796; jedoch verließ Nowikoff das GefängmS als«in an Leib und Seele gebrochener Mann. Wie die Freimaurer wurden auch die christlichen Mystiker drangsaliert. Eines ihrer einflußreichsten Mitglieder, der Schrift- steller L a b z i n, endete l82'> sein Leben in der Verbannung. Den bereits genannten R a d i st s ch e f f traf est» noch traurigeres Geschick. Er hatte fich die Bekänipsung der Leibeigenschaft, die schlechte Organisation der Administrative, die Käuftichkeit der Gerichte usw, zur Aufgabe gemacht. Seine durch Taffachen belegtet» Anklagen faßte er in einem Buche:„Reise von St. Petersburg nach Moskau " zusammen, Katharina befahl dessen sofortige Beschlagnahme und Vernichtung. Sie bezeichnete den Autor als einen Revolutionär: „schlimmer als Pugcitschoff"— der ehemals kosakische Thronprätendcnt,
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23 (29.3.1906) 62
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