Zlnterhaltungsblatt des vorwärts Nr. 66. Mittwoch, den 4. April. 1S06 kNachdnick verboten.) OLe Eroberung von Jerusalem . Roman von Myriam Harry . 271 Autorisierte Uebersetzung aus dem Französischen von Alfred Henker Oft galoppierte abends, wenn die Hitze sich gelegt hatte, und das letzte Abendrot sich über Judäa ausbreitete, Elias in seinem Burnus, seine kleine Tochter vor sich im Sattel, mit verhängten Zügeln durch die Bethlehemebene und das Tere- bintental. Bei der Schnelligkeit des Rittes flatterten Zionas lose, blonde Locken. Ihr kleines Herz pochte zum Zerspringen: ihr schwindelte: sie bis die Zähne zusammen und krampfte ihre Händchen ein. Aber sie wäre lieber gestorben, als daß sie gc- weint hätte, und reichlich fühlte sie sich für all ihre Angst belohnt, wenn ihr Vater sie nachher küßte und zu ihr sagte: Du bist ein kleines, tapferes Ding. Paß auf, wie schön das Leben für den ist, der es zu leben wagt!" Manchmal ritt er mit ihr bis zum Felde des Booz, von wo aus man in der Abenddämmerung Jdumäas Berge wie unzählbare Weihrauchfässer gen Himmel dampfen sieht. Dann nahm er sie wohl auf seine Arme und hob sie hoch empor: Schau dort hin, Ziona, schau hinüber? Dort liegt das Land, das Dein Vater erobert hat. Dein Vater ist der König von Moab und Du bist die kleine Sultanin der Beduinen." Dabei ergriff ihn dann ein solches Bangen, daß es ihm bei der Rückkehr nach Jerusalem vorkam, als ginge es in den Kerker, 2. Dieser Winter verlief zum Teil äußerst stürmisch. Ein Wirbelsturm von tollem Fanatismus wütete durch Palästina. Im Libanon schnitten Drusen und Maroniten sich gegen- seitig die Hülse ab. In Damaskus bedrohten die Musel- männer sämtliche Christen: in Gaza hatten die Katholiken eine Synagoge in Brand gesteckt, und die Bewohner des Ghetto in die Brunnen geworfen. Nach allen Richtungen durchzogen fromme Prozessionen das gelobte Land. Züge mit weißen Mänteln und blauen Standarten stießen auf Karawanen mit grünen Turbanen und grünen Fahnen, die nach Mekka zogen. Und täglich strömten Scharen halbverhungerter, aus Rußland vertriebener Juden herbei, ins Land ihrer Väter, wo andere Verfolger ihrer bereits harrten. Mit einem Samowar auf dem Rücken knieten sie im Angesichte Zions nieder. Hatten sie ihr Gebet verrichtet, so suchten sie sich rasch häuslich einzurichten. Mehr als zwanzigtausend Pilger aller Konfessionen wohnten in Jerusalem oder lagerten außerhalb der Wälle. Natürlich brachen auch an allen vier Ecken der Stadt schismatische Streitigkeiten aus. Auf den Straßen betete man, in den Kirchen schlug man sich. Weihrauchfäsicr flogen wie Schleudern durch die Luft, Fahnenstangen wurden wie Hellebarden geschwungen. Vier Franziskaner fanden in der Nähe desHeiligen Feuers" den Tod. Ein Bischof vergiftete sich, indem er den Inhalt der Kapsel seines Amethystringes herunterschluckte: ein armer, achtzigjähriger Patriarch wurde nachts aus dem Bett gerissen und gefesselt auf dem Rücken eines Maultiers nach irgend einer Klostersestung gebracht, um hier in der Klausur das Ende seiner Tage abzuwarten. Sogar die Protestanten wurden von religiöser Anarchie ergriffen. Neue Sekten warfen alte Streitfragen auf und stifteten dadurch Händel . Die Anglikaner trennten sich von den Re- formierten. Die Lutheraner erbauten auf ihre Kosten eine Kapelle und beriefen einen eigenen Prediger, einen Doktor der Theologie und Professor der Unduldsamkeit. Herrn Fischer wurde das Predigeramt entzogen, doch ließ man ihm sein Waisenhaus, seine Weingärten und seine Apotheke. Als gutmütiger Kerl und von Respekt fürdie Herren von der Fakultät" durchtränkt, dankte er ab und beugte bereitwillig seinen alten Nacken vor diesem jungen, dürren, schmächtigen, rothaarigen Menschen, der die Sonne und das ganze Leben durch seine ranchgeschwärzte Brille betrachtete. Pastor Zorn führte sich bei Frau Jamain mit einem Kranze von Schwarzwaldbretzeln und einem welken, besonders. für sie im Garten des Pfarrhauses gepflückten Strauße ein, Der Anblick des vertrockneten Gebäcks und der verwelkten Blumen rührte Cäcilie fast bis zu Tränen. Auf dem vergitterten Balkon unterhielten sie sich von ihren gemeinsamen Bekannten und fanden dabei, daß ihre Sympathien einander sehr ähnelten. Jedes Wort, das der Pastor sprach, ließ vor Cäciliens Augen ein vertrautes Bild emporsteigen, wehte ihr einen Hauch von Heimatluft zu. Der Pastor war der Vetter eines ihrer Schwäger, der ebenfalls Theologe war, und dem seine Frau in sechs Jahren sieben Kindlein geschenkt hatte. Lang und breit beschrieb er die Freuden an ihrem christlichen Herde. Ja, ja, der Herr hat ihren Bund gesegnet." Und er blickte Frau Jamain über seine geschwärzten Brillengläser hinweg bedeutungsvoll an. Sie schwiegen. Beschämt dachte sie an ihren umIer- vagabondiercnden Gatten, an ihr ödes Heim und an ihr ein« ziges Kindchen. Durch die MouscharabiS fiel ein gedämpftes Licht und hing Schattengardinen über die Wandnischen. Neugierig schlüpften Eidechsen herbei, um sich den Fremd- ling anzusehen. Der Pastor konnte seine Gebärde des Abschens nichk unterdrücken. Sie sind harmlos," sagte Cäcilie. Ich weiß, aber die Tiere widern mich an. Es sind Freunde der Dunkelheit und des Verfalls. Uebrigcns hat Ihre ganze Wohnung etwas Seltsames und Düsteres an sich, und ähnelt mehr der Behausung eines phantastischen Geistes als dem Heim frommer Christcnmenschen. Ich war sehr er- staunt, Sie hier vorzufinden. Warum haben Sie nicht lieber eine jener Villen bezogen, die an der Straße und im hellen Tageslichte liegen? Sie erinnern lins wenigstens an ein Stückchen Zivilisation und Vaterland. Und unsere Sache ist nicht gut vom Fortschritt und von Europa zu trennen." Mein Mann hat dieses Haus gekauft, ohne mich vorher zu fragen. Wie Sic, so hatte auch ich Mühe, mich daran zu gewöhnen." Apropos, hat Ihr Gatte bei Ihrer Vermählung de» Katholizismus öffentlich abgeschworen?" Nein, Herr Fischer hielt es nicht für nötig. Ich ver­sichere Ihnen jedoch, daß die Bekehrung, obgleich sie nicht öffentlich erfolgte, darum nicht weniger aufrichtig ist." Ich hoffe es. Trotzdem war es aber bei Ihrer fast geist- lichen Stellung eine schwere Unterlassungssünde. UebrigcnS rechne ich stark auf Sie beide bei der schwierigen Missions- arbeit, die mir nun zugefallen ist. Besonders auf Sie! Wollen Sie mir ihre Mitarbeit versprechen, Frau Jamain?" Oh! Von ganzem Herzen--- das heißt, wie Gott will, Herr Pastor." Und Cäcilie schlug die Augen nieder. Sie stiegen zu Elias' Arbeitszimmer empor. Plötzlich fiel ihr jedoch die Nacktheit der Statuen ein und eine verlegene Ausflucht stammelnd, verschwand sie eiligst, Schon beim ersten Blick mißfiel Elias dem Herrn Pastor, Dieser hatte sich den Gelehrten als schüchternes, kurzsichtiges, vor lauter Wissenschaft cingeschrumvfkcs und vom Klima aus- gedörrtes Männchen vorgestellt. Nun sah er vor sich einen hohen, kräftigen Mann, von verführerischem Aeügeren, mit sinnlichen Lippen und träumerischen Augen. Und dieses ruhige Kraftbewußtsein, dieser gedankenvolle Geistcsadel bei dem Gatten der früheren Diakonissin reizten ihn, ohne daß er selbst wußte warum. Die Unterhaltung verlief kühl und kurz. In einer Art von Monolog packte Herr Zorn seine semitische Bagage ans; in abgehacktem, belehrendem Tone verkündete er seine Theorien und entwickelte seinen Schlachtenplan. Zum Un- glück war Herr Fischer viel zu schwach gewesen und leider muß man es dem armen Manne nachsagen auch zu un­wissend. Er ermutigte dadurch das laue Wesen und neigte zur Nachgiebigkeit. Aber ohne Strenge ist kein wahrer, reiner Glaube zu erzielen.