Anterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 69.

Sonnabend, den 7. April.

( Nachdruck verboten.)

1906

dem Vorwande des Fortschritts! Ich frage mich, was für ein Fortschritt fann wohl darin liegen, daß man sich in

Die Eroberung von Jerufalem. Enappe leider zwängt und schöne, geheiligte Ruinen schleift,

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Roman von Myriam Harry  . Autorisierte Uebersetzung aus dem Französischen von Alfred euter.

Völlig mit seinen Gedanken beschäftigt, schloß Bohe­ mund   wieder seinen Adelsalmanach." Eitelkeit der Eitel­feiten; alles ist Eitelkeit," sagte Amenjeu mit seiner ver­träumten Stimme, während er sich leicht aufrichtete, um seine Pfeife wieder anzuzünden,

Sie schwiegen; jeder hing seinen eigenen Gedanken nach. Die Sonne ging unter.

Auf dem Wege, der sich am Fuße des Kastells dahin wand, schritten Gestalten wie aus der Bibel. Am Rande der von Mais wogenden Ebene Ephrata zogen Kamele vorüber. Bei dem schaukelnden Schritt der Tiere sah es aus, als ob ihre Reiter in Booten auf dem grünen Schilfmeer schwämmen. Zur Rechten baute sich, von den schrägen Strahlen der untergehenden Sonne beleuchtet, Bethlehem   stufenweise wie eine goldene Leiter auf. Dahinter färbten sich die Obstgärten von Hebron   violett; weiter unten verschwamm das tote Meer immer undeutlicher, und am Horizont verschmolzen die Berge von Moab   sanft mit dem zarten Abendhimmel.

Aber zur Linken, im Schatten, weckte Jerusalem  , das einsam und grau auf steiler Höhe, feindlich und uneinnehm bar Salag, in Elias den alten Groll.

Und dennoch," fuhr er, wie mit sich selbst sprechend, fort, ..dennoch habe ich dieser Aussäßigen die bitterste Täuschung der Welt bereitet. Sie hielt mich für den Sohn Gottes, sie hat sich mir zu Füßen geworfen, fie hat geweint und ge­betet, sie erwartete von mir ihr Glück und ihre Heilung. Und ich habe meine Hände aufgetan, aber anstatt das Wunder zu vollbringen, nur eine Handboll Geld ausgestreut. Und die andere! Aus meinem Glauben, meinem Wissen, meinen Illusionen habe ich ihr einen Thron erbaut. Wie ein Kind habe ich mich auf den Knien zu ihr hingeschleppt. Als ihre Füße im Schnee des Libanon erstarrt waren, habe ich sie mit meinem Hauch wieder erwärmt. Mein Herz habe ich ihr geschenkt und ihr die Pforte zum Leben geöffnet. Sie hat mein Herz verloren und die Pforte wieder geschlossen. In dem Maße wie meine Liebe wuchs, verminderte sich ihre Zärtlichkeit, und doch würde ich mich mit wenigen Brocken begnügt haben. Und jetzt macht sie mir einen Vorwurf daraus, daß ich nicht der himmlische Gatte bin, für den sie mich hielt; sie schämt sich meiner und dessen, was man meinen Unglauben nennt; fie quält und verfolgt mit mit ihren bibli­schen Sprüchen und beschwört mit mit den Blicken einer be­leidigten früheren Gottesbraut, meine Sünden zu bereuen und die Nichtigkeit meines Glaubens öffentlich zu bekennen." " Das werden Sie doch hoffentlich nicht tun?" rief der Graf entrüstet.

,, Nein, jetzt nicht mehr. Ich habe eine Protestantin ge­heiratet; um Ruhe zu haben, erlaube ich, daß meine Tochter eine lutherische Schule besucht wählen möge sie später selbst; -- aber ich für meine Person möchte lieber Astaroth oder Baal anbeten, diese personifizierten Mächte der großen, lebendigen Natur, als mich wieder zu dem Christus dieses Pastor Born bekennen, den er nach seinem eigenen Bilde geformt und in dem er alles das vergöttlicht hat, was er an armseliger falter Menschlichkeit in sich trägt."

Bitternd, mit einem herben Zug um den Mund war Elias auf den Sessel zurückgesunken.

,, Ach, mein armer Freund, ich hatte es Ihnen wohl ge­sagt: hüten Sie sich vor den Weibern! Sie entmutigen uns und töten unseren Heroismus und Idealismus. Aber, Schock­schwerenot! lieber Freund, einer Frau wegen braucht man doch nicht gleich so zu verzagen, und noch dazu einer Kezerin wegen, wenn ich im Grunde genommen auch diesen Leuten aus ihrer Reberei feinen Vorwurf mache. Uebrigens verstehe ich nichts von ihren Bänkereien, und wenn sie sich weigern, zur heiligen Jungfrau zu beten, so ist das allein ihr Schade; was ich ihnen aber nicht verzeihen kann, das ist die unschöne Nüchternheit, welche sie um sich verbreiten. Und zwar unter

um sie durch Häuser mit Ziegeldächern und Stuckarbeiten zu erfeben? Mich nennen sie einen Narren und machen sich lustig über mein Kastell, mein Schwert und meinen Maltesermantel; ich glaube aber weniger lächerlich zu sein als sie; denn weder ich noch mein Schloß verunstalten diese erhabene, verwüstete Landschaft, die noch ebenso geblieben ist, wie die Kreuzfahrer fie gekannt haben. Wollen sie aber durchaus mit ihrer Zeit mitgehen, nun, so mögen sie das mit sich abmachen; was hat denn die Zivilisation mit der Religion zu tun? Ist die Welt denn nicht groß genug für alle diese Fortschrittsschwärmer? Mögen sie doch unseren gläubigen Seelen dieses Fleckchen Erde   lassen, das durch seine Erinnerungen geweiht und durch feine Vergangenheit verewigt ist. Manchmal frage ich mich erstaunt, was das für Dogmen sein können, die so den Sinn für das Aesthetische und Malerische ertöten? Warum soll man nicht achten, was es an Ehrwürdigem, Rührendem und Poetischem in den Ueberlieferungen gibt? Der Katholizismus hat niemals die Schönheit der Natur und die altertümlicher Sitten zerstört. Wir haben Klöster, Schulen und Kirchen in ganz Palästina; sie harmonieren mit der Dertlichkeit; unsere Adepten brauchen nicht auf ihren angeborenen Adel zu ver zichten. Betrachten Sie dort unten jene arabischen Frauen, deren mit Henna geschminkte Wangen unter dem wehenden Schleier glänzen: es sind glühende Statholikinnen, und doch tragen sie noch die Kleidung, welche Renaud de Chatillon  entzückte. Und erinnern die Franziskaner, die dort mit mili­tärischem Schritt den Hügel herabsteigen, Sie nicht an jene streitbaren Mönche, die abwechselnd mit dem Schwerte   stritten und mit dem Kreuze segneten? So habe ich mich hier dreißig Jahre lang zwischen dem Terebintental und der Ebene Ephrata zwischen Jerusalem   und Bethlehem   bewegen können, ohne in meinen mittelalterlichen Visionen gestört zu werden. Aber da sind die Positiven gekommen. Deutsche, Engländer, Amerikaner; sie famen und kommen noch alle Tage. Und wissen Sie, mein Lieber, was ich soeben erst zu meiner großen Beunruhigung beobachtet habe? Nun, eine neue Kolonie, die da unten eine Konzession erworben hat und sich häuslich ein­richtet. Nehmen Sie mein Fernrohr; es ist kein neues Modell, aber, weiß der liebe Himmel, ich sehe schon damit viel zu viel. Sehen Sie die Berge von Ziegeln und Eisenschienen? Was soll man dazu nun sagen?! Da lassen sie Ziegelsteine aus Europa   kommen, während hier die Stein: feinen Heller fosten!

Häuser werden sie bauen mit grünen Fensterladen und gußeisernen Balfons. Hohe Schornsteine werden aufschießen und vielleicht auch Fabriken. Schnurgerade Straßen werden dort entstehen. Gärten mit Kieswegen und Glaskugeln und Gemüsegärten, in denen die Kohllöpfe in Reihe und Glied stehen. Und wissen Sie auch, welchen Namen diese neue germanische Ansiedlung erhalten hat? höchste Fronie, o heilige Einfalt! Sie heißt: die Kolonie der Tempelherren  " Das zeigt Ihnen am besten, wie viel Verständnis die Deutschen  für die Geschichte und das Rittertum besitzen. Tempel­ herren  " werden Ackerbau und Viehzucht, Gerberei und Schweinehandel betreiben. Sie werden auf den Märkten von Jerusalem   und Bethlehem   ihren Salat und ihre Ferkel ab setzen. Tempelherren  ! Vergebt ihnen, Ihr, meine Vorfahren, denn sie wissen nicht, was sie tun!"

Und Bohemund schlug ein Kreuz.

" 1

Amen!" murmelte der Doktor.

,, Nun, mein armer Freund, wenn die Ziegelsteinhäuser erst fertig sind, wird uns wohl nichts anderes übrig bleiben, als unsere Seffel umzukehren. Der Ebene den Rücken wendend, werden wir unsere traurigen Blicke über das Tere­bintental irren lassen und an Zion denken. Nach dieser Seite wenigstens werden sie uns die Aussicht nicht entweihen können. Das Tal gehört mir, und hätte ich vor dreißig Jahren einen solchen Vandalismus ahnen können, würde ich das ganze Ge biet von Bethlehem   bis Jerusalem   gekauft haben."

Bor Born bebend, hatte Bohemund sich erhoben und durch­maß mit langen Schritten die Terrasse. Sein schwarzer Mantel blähte sich hinter ihm wie ein Leichentuch, und seine