Sie machte sich fanft los.

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Ich muß noch hinunter gehen, ihm einige Blumen bringen. Ich bin Ihnen wirklich dankbar, daß Sie mir nicht bie Pforte dieses Kirchhofes verschlossen haben; wenn ich aber bleibe... wer weiß?

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Sie sahen sich in die Augen, und eine geheime Angst vor Der Roheit der Welt stieg in ihnen auf.

Doch Kitty faßte fich schnell wieder; sie stand auf, flopfte, thr Kleid ab und schüttelte ihre Haare. Alle die kleinen filber­weißen Blättchen fielen an ihr herab. Ihre Gestalt schien ge­wachsen zu sein.

Sie war durchaus nicht mehr das kleine, verlassene und bellagenswerte Geschöpf vom Kirchhof, sondern eine mutige und abgeklärte Frau, die alle Bitternisse des Lebens kennt und ihnen festen Auges entgegenfieht.

Elias, der auf der Bank fizen geblieben war, fühlte sich dagegen schwach und elend, als ob sein Lebensschiff gestrandet sei, ohne Energie für die Zukunft. Er hätte sich an sie an­flammern mögen, sich in ihre Arme flüchten, seinen Kopf an

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Gnaden aufnehmen würde. Und da der Vorabend des Sabbats herannahte, hatten sie auf einem zum Altar umgewandelten alten Koffer einen fiebenarmigen Leuchter angezündet. Rings umher standen sie, in Schweißtücher gehüllt, die Hände nach Jerusalem ausgestreckt, die Augen auf die ersten Sterne ge­heftet, und flehten schluchzend:

,, Beeile Dich, Du Retter Israels ! Beeile Dich, uns zu befreien, Du Herr Zions!"

Gerührt dachte Elias: Mir geht es wie ihnen, mein Herz irrt umher und findet nicht seine Heimat."

Und noch lange, während er schon die gekrümmten Gäßchen des mohammedanischen Viertels durchschritt, verfolgte ihn das hebräische Gebet, das zu den Sternen des Sabbats emporstieg: Eile, eile, Bions Erlöser!"

( Fortsetzung folgt.)

ihrer Bruſt bergen und zu ihr sagen: Bleiben Sie, ich bitte Naturwiffenfchaftliche Uebersicht.

Sie flehentlich, bleiben Sie, um mich gegen die Unduldsamkeit und den Haß zu schützen. Begreifen Sie denn nicht, wie ver­Tassen ich bin, und wie ich nach Liebe lechze? Bleiben Sie, um meine Trösterin zu sein, meine große Schwester, meine Ge­liebte, Trocknen Sie meine Tränen, fühlen Sie meine heiße Stirn. Wiegen Sie mich ein, wie man ein armes, frantes Kind einwiegt. Bleiben Sie und helfen Sie mir, dieses Herz zu tragen, das so schwer von nichtigen Hoffnungen ist." Aber Mitleid mit sich selbst schnürte ihm so das Herz zu, Saß er feine Worte fand. Sie streckte ihm beide Hände entgegen und einen Oliven­zweig, den sie soeben gepflüdt hatte.

Von neuem blidten sie sich bis auf den Grund ihrer feuchten Augen.

Dann stand er auf, und toll, sinnlos vor Schmerz, schloß er sie wild in seine Arme und füßte ihren Mund, ihre Stirn, ihre Haare; dann flüchtete er in vollem Lauf auf die Straße und eilte den staubigen, weißen Weg hinunter. Er wagte nicht, sich umzuwenden oder, um Atem zu schöpfen, stehen zu bleiben. Endlich ließ er fich auf der Höhe einer Böschung nieder. Wie einsam bin ich nun wieder, wie verlassen! Auch dieses Glück haben sie mir genommen!"

Und er weinte lange.

Als er wieder den Kopf hob, sah er sich Jerusalem gegen über. Nur ein paar breite Gräben und die Landstraße trennten ihn davon.

Der Abend sank herab, ein fahler, düsterer Abend, der auf den Kämmen der Wälle zu bleiben schien.

Um ihn herrschte grausige Verwüstung und Todes­schweigen. Die ganze Mauer entlang waren die Gräben mit Trümmer angefüllt. Schwarzes Wasser tropfte aus den Schießscharten, Körbe mit Kehricht wurden hindurchgeschüttet und von Zeit zu Zeit schlug ein totes über die Zinne ge­schleudertes Tier auf dem Kehrichtfelde auf.

Das Gerippe eines Kamels mit emporgespreizten Beinen bleichte auf einem Erdhaufen, und drei Geier, die sich daran gesättigt hatten, schaukelten sich mit eingezogenem Halse und geschlossenen Augen langsam auf den Beinen des Gerippes wie auf Stangen.

Stinkende Dünste verpesteten die Stille. Ein unbezwing licher Efel stieg in Elias auf, ein Ekel vor allem, besonders vor feinem eigenen Leben, das vor ihm ausgebreitet lag wie ein Beinhaus, in dem die Leichen seiner Träume und, Liebe ver­westen.

Aber plötzlich malte sich in seiner Erinnerung jenseits der grauen Wälle ein anderes Bild. Es war das Bild seiner Terrasse, wo der Agha unter wohlriechenden Räucherwolfen und duftenden Blüten still und friedlich ausgestreckt lag.

Wie füß muß es sein, so ruhig und gelassen hinüberzu schlummern in ewige Vergessenheit, in ewige Ruhe!" murmelte Elias.

Und eine Sehnsucht nach dem Tode stieg in ihm auf. Durch den Gedanken an diese mögliche Befreiung in seiner Trauer einigermaßen getröstet, stand er auf und wandte sich nach dem Damaskustor, als er auf der niedrigen Straße eine Judenschar gewahrte, die sich dort inmitten eines un­entwirrbaren Gemisches von Betten, Samowaren, Penta­teuchen und Talmuden niedergelassen hatte.

Es waren arme, polnische Flüchtlinge, die aus Rußland bertrieben, in dem Lande ihrer Väter eine Freistätte fuchten. Von den Türken aufs neue aus Jerusalem verjagt, warteten fie, einen Steinwurf weit von" threr Stadt", daß Jehova fie in

Von Dr. C. Thesing.

Seitdem die Abstammungslehre sich in den Kreisen der Natur­wissenschaftler aller Richtungen fast unwidersprochene Anerkennung verschafft hat, seitdem man allgemein zu der Annahme gelangt ist, daß die zahlreichen, so verschieden gebauten höheren Lebewesen fich aus einfachen, gleichartigen Grundformen entwickelt haben, ist es naturgemäß das Bestreben der Forschung, die Beziehungen zwischen den heute lebenden, so weit von einander entfernt stehenden Klassen Bilden doch gerade solche Uebergangsglieder den besten und sichersten des Tierreiches aufzudecken und Uebergangsformen nachzuweisen. Beweis für die Richtigkeit der gesamten Deszendenztheorie, und auf der anderen Seite wird das Fehlen von derartigen Verbindungs­gliedern von den Gegnern der Abstammungslehre zur scheinbaren Widerlegung mit einer Konsequenz ausgebeutet, die einer befferen Sache würdig wäre. In der Tat bildeten sich diese großen Sprünge und diese durchgreifenden Unterschiede, welche heutigen Tages bei­spielsweise zwischen sämtlichen Vertretern des Stammes der Würmer und dem der Gliedertiere oder zwischen Reptilien und Vögeln, Fischen und den höheren Wirbeltieren, vor allem aber awischen den wirbellosen und den Wirbeltieren bestanden oder Stüben für die Lehre von der Konstanz , der Unveränderlichkeit der wenigftens au bestehen schienen, eine der nachhaltigsten Arten. Der letzte und bedeutendste Bertreter dieser Lehre war bekanntlich der große französische Zoologe und Anatom George Baron von Cuvier , ein Zeitgenosse Goethes . Nach der Ansicht Cubiers sollte jede einzelne tierische Art eine völlig in sich abgeschlossene Einheit darstellen, welche so, wie sie einst ein gött­licher Schöpfungsatt entstehen hieß, sich unverändert durch die Jahrtausende erhalten hätte. Als dann jedoch die Paläontologie, um die fich Cuvier ebenfalls große Verdienste erworben hat, den Nachweis erbrachte, daß in vergangenen Erbperioden gänzlich andere, bon den heute lebenden Arten weit verschiedene Tiere ge lebt hatten, stellte Cuvier , um das Dogma von der Unveränder lichkeit der Arten aufrecht erhalten zu können, seine berühmte oder. berüchtigte at a strophentheorie auf. Gemäß dieser sollte jeder einzelne Abschnitt der Erdgeschichte durch eine besondere nur ihm eigene Tier- und Pflanzenwelt ausgezeichnet gewesen sein. Durch gewaltige Umwälzungen der Erdoberfläche, Ueberflutungen, Erdbeben, Bullanismen und plötzlich eintretende Kälteperioden und Vereisungen sei dann mit einem Male die ganze reiche Welt der Lebewesen auf der gesamten Grdoberfläche ausgetilgt worden, und ein neues Zeitalter habe begonnen. Auf dem neuen Boden feien Tier- und Pflanzenwelt erschaffen worden, die weder mit den dann jedesmal durch einen besonderen Schöpfungsatt eine neue früher existierenden, noch den in späteren Grdperioden folgenden Lebewesen irgend einen Zusammenhang besessen hätten.

Bereits zu Cubiers Lebzeiten traten der geistvolle Natur­philosoph Jean Baptiste Lamard und sein Anhänger Geoffroy Saint Hilaire in scharfer Form dem Dogma von der Unveränderlichkeit der Arten entgegen, fonnten aber gegen die damals schier unbegrenzte Autorität des Staatsrates und später sogar zum Pair von Frankreich erhobenen Cuvier nicht durch dringen. Vielmehr erlitt die Deszendenztheorie bei der für die Wissenschaft so bedeutsamen Disputation zwischen Cuvier und Geoffroy Saint Hilaire vor der französischen Akademie im Jahre 1830 eine völlige Niederlage und verschwand für Jahre wieder bon der Tagesordnung der wissenschaftlichen Forschung. Erst längere Zeit nach Cuviers Tode und nachdem der große englische Geologe Charles Chel den unwiderleglichen Nach­weis erbracht hatte, daß die Entwickelung der Erde sich ganz all­mählich durch die auch heutigen Tages noch wirkenden Kräfte voll­ogen hätte, und daß die einzelnen Zeitalter der Erdgeschichte durch fast unmerkliche Uebergänge mit einander verbunden wären, mußte die Katastrophentheorie fallen, und damit war auch gleichzeitig der Hypothese von der Unveränderlichkeit der Arten der wichtigste Stüßpunkt entzogen. Nicht lange sollte es nun mehr dauern, da wurden endlich auch zahlreiche der lange Zeit vergeblich gesuchten Uebergangsformen zwischen verschiedenen Klaffen des Tierreiches