Anterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 77.

Sonnabend, den 21. April

( Nachdrud verboten.)

Die Eroberung von Jerufalem.

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Roman von Myriam Harry  . Autorisierte Ueberseßung aus dem Französischen  

bon Alfred Beuter. Bohemund trat ans Fenster.

,, Mein Liebling, mein Liebling!"

1906

Mit einemmal traten ihm alle die alten, zärtlichen Kose­namen wieder auf die Lippen.

Bei Herrn Fischer erwartete man ihn nicht; man hatte nach dem nächsten Arzt geschickt, jedoch verabsäumt, den Gatten zu benachrichtigen.

,, Mein Weib, mein Weib!"

Alles über den Haufen rennend, stürzte er vor einem der

beiden Betten im ehelichen Schlafgemach der Fischers nieder. Bei der allgemeinen Kopflosigkeit hatte man sie dort in aller Eile gebettet. Ihre Kleider lagen auf der Erde umher, ihr Mieder hing über dem eisernen Bettrahmen und ein Strumpf, der noch die zarte runde Form des Beines beibehalten hatte, war an der Türklinke hängen geblieben.

Was fehlt Dir, mein Lieb, was fehlt Dir?"

Ein Aechzen war ihre ganze Antwort, während sie die zum Gebet gefalteten Hände rang und sich krampfhaft hin und her warf, daß das Bett zitterte.

Mein Gott! Cäcilie!"

Und mit Entsetzen sah er, daß ihre entstellten Züge zu­ſehends blau wurden, und der Schweiß, der ihr unaufhörlich aus den Poren drang, ihre blonden Haare an der Wurzel schwarz färbte. Sie hat sich vergiftet; sie hat sich meinetwegen um­bringen wollen!"

Hören Sie, hören Sie," rief er empört, Pilger, die sich zur Krippe von Bethlehem   fahren lassen! Ist das nicht eine Schande? Zu meiner Zeit schleppte man sich auf den Knien dorthin. Jetzt hat sich eine neue Gesellschaf gebildet, welche die Beförderung der Touristen besorgt; selbstverständlich be­steht sie aus Deutschen  ! Sehen Sie, gerade jene Kolonie, die sich meinem Schloß dicht vor der Nase eingerichtet hat, jenen famosen Tempelrittern, Sie wissen doch, die Bohnen und Kohl banen, verdanken wir die Einführung dieser Omnibusse. Bald werden sie einen Dampfer zu Spazierfahrten auf dem Toten Meer bauen und vielleicht sogar eine elektrische Bahn, welche die Via Dolorosa   entlang fährt und nach Wunsch an allen Kreuzstationen hält. Dann haben wir ein Jerusalem  , das dem Handel, dem Fortschritt und den reformierten Kulten, der Religion des Positivismus und des gesunden Menschen verstandes ausgeliefert ist. Wir bauten Kirchen, Klöster, Spitäler, jene errichteten Schulen, Posten, Bahnhöfe, Fabriken. Wäre da die Herrschaft der Mohammedaner oder der Einfall einer Barbarenhorde nicht noch vorzuziehen? Die würden nur Euren Leib töten und Eure Altäre besudeln, aber Nein doch! Nicht sie hat sich vergiftet, sondern jener Euren Wahn würden sie achten und die Schönheit des Landes Unglücksmensch hat ihr Arsenit statt Chinin gegeben," sagte unangetastet lassen. Der schlimmste Vandalismus ist der, der Doktor, der soeben eingetreten war. Treten Sie zur welcher die Phantasie ertötet, die Flügel des Geistes verstüm- Seite, damit ich sie untersuchen kann." melt, die Triebe des Herzens erstickt, die Harmonie der Dinge vernichtet wie ein Häuschen Unglück auf einem Stuhl saß und Elias erhob sich und erblickte Herrn Fischer, der ganz zerstört und die Heiligkeit der Erinnerung mit Füßen tritt. Und doch fühle ich es, Palästina wird den Reformierten ge­unaufhörlich ächzte: hören, denn das Reich der Häßlichkeit ist nahe. Doch was tut es, wenn sie es an sich reißen; denn besäßen sie auch die ganze Welt: es gibt ein Jerusalem  , das sie nie betreten, ein Kanaan  , das sie nie erobern werden. Das ist jenes Jerusalem  , welches wir in uns tragen, das Zion unserer Phantasie, das Land unserer Hoffnungen. Das wird diesen Baronen des Moder­nen, diesen Industrierittern, diesen Kreuzfahrern des Handels für immer verschlossen bleiben!"

Ja," sagte Elias, auch mir steigt oft der Gedanke auf, daß die Zukunft den Proteftanten gehört, weil sie derer ist, die praktischen Sinnes sind. Unsere Niederlage rührt daher, daß wir den Boden unseres Jahrhunderts verlassen und uns in die Vergangenheit und in den Traum geflüchtet haben." ,, Der Traum! Ach, auch der ist eitel, auch den kann man nicht mehr nach Belieben herbeirufen. Zehn Pfeifen rauche ich nun schon, ohne meinen alten Traum wieder zurückrufen zu können. Oh! Jammer! Jammer! Wo soll man Vergessen­heit finden, wenn schon der Rauch uns im Stich läßt?"

Und angewidert stellte der Doktor seine Pfeife weg. Draußen war alles in Schweigen versunken; der herbe Weihrauchgeruch hatte sich verzogen, nun stieg wieder der süße und milde Duft der Krofus und Asphodelen von den Weide­plätzen Ephratas zu den Sternen empor.

Plötzlich pochten rasche Schläge an das Tor der Ring­

mauer.

Und wahnsinnig vor Schmerz und Gewissensbissen wälzte er feinen Kopf auf der Bettkante hin und her.

Herr, Du mein Gott! Habe Mitleid, habe Mitleid, lieber Gott  !"

in den Arm genommen hatte und ihm mit der anderen Hand die Tränen abwischte.

Neben ihm kniete Amalie, die ihn wie ein kleines Kind

Ach! Mein armer Alter, mein armer Alter, weine nicht! Jesus   wird uns helfen. Jesus   wird sie retten. Ach, hättest Du doch bloß die Brille aufgesetzt!"

Nun begriff Elias alles: der Missionar hatte sich wieder geirrt. Er erinnerte sich ihres ersten Besuches in Bethlehem  nach ihrer Hochzeitsreise, als er seine Erkommunikation er­fuhr, und in diefem selben Hause sein Glück zu verblühen begann. Und mit stechendem Schmerz dachte er:

,, Ach, warum bin ich damals nicht gestorben, warum habe ich nicht das Gift verschluckt? Damals liebte Cäcilie mich noch und hätte mich sicherlich beweint."

D'Amenjeu klopfte ihm auf die Schulter: Man hat mich zu spät geholt.... Nichts mehr zu machen... Ich gehe. Nein, Doktor, nein, das ist nicht möglich. Ich lasse sie nicht fort, retten Sie sie, retten Sie sie. Ich habe ihr noch so viel zu sagen... so biel

..

Und er flammerte sich an den Arzt.

Dann beeilen Sie sich."

,, Lassen Sie alle hinausgehen, ich bitte darum. ist ja doch mein Weib."

fie

Wer ist da?" rief der Graf, auf den Balkon hinaus- jeu den anderen ein Zeichen gab, fich zu entfernen.

Bon neuem sank er an dem Bett nieder, während d'Amen­

tretend.

,, Hakim, Hakim*)!"

Wohin soll er kommen?"

Nach Bethlehem   zum Pfarrer."

Mit einem Saß war Elias an Bohemunds Seite.

,, Wer ist dort krank?" fragte er, von einer unbestimmten

Ahnung geängstigt.

Die Frau des Herrn Jamain."

Mein Weib? Schnell, d'Amenjeu, schnell!" Und schon stürzte er nach seinem Pferde.

Cäcilie frank, vielleicht im Sterben! Vielleicht gar schon tot! Sein ganzer Groll war verschwunden, all sein Leid ber­gessen; nur noch der gemeinsamen Stunden des Glücks gedachte er.

*) Hakim

Arzt.

Sie lag jetzt so ruhig da, als ob sie schliefe, fast sab sie schon wie tot aus.

Sterben! Cäcilie sollte sterben, unversöhnt sterben? Als Feinde sollten sie sich für die Ewigkeit trennen?

Cäcilie, mein teures Weib, mein Liebling, hörst Du mich? Sage mir noch einmal, daß Du mich geliebt, daß Du die Stunden unserer Liebe nicht vergessen hast! Denke an Ziona, denke an meinen Schmerz

Und er bedeckte die gefalteten Hände Cäciliens mit Küssen und Tränen.

Ein Schauer überlief sie, doch ihr Antlik blieb starr und ihre Augen geschlossen.

Da verschloß sich auch etwas in Elias Herzen; seine Tränen versiegten und er wußte nicht mehr was er ihr sagen sollte. Er blickte um sich. Diese getünchten Wände, die ver­