Anterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 78.
Dienstag, den 24. April.
1906
( Nachdruck verboten.) ritten zwischen Gräsern und Blumen dahin. Die Nüstern der Pferde dampften; ihr gelbseidenes Reitkleid fegte über das
Die Eroberung von Jerufalem. Getreide, und ihr blauer Schleier wallte wie ein leichtes
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Roman von Myriam Harry . Autorisierte Uebersetzung aus dem Französischen von Alfred Beuker
Bon Gold und Juwelen schimmernd, kamen die Aufzüge nacheinander vorüber. Bischofsstäbe, Mitren, Tiaren stießen zwischen den Bajonetten der Soldaten und den Standarten der Bilger aneinander. Es sah eher wie ein Barbareneinfall, als wie eine kirchliche Prozession aus, und die auf die Dächer geflüchteten Einwohner betrachteten sich von dort aus das Schauspiel, nachdem sie vorher Fenster und Türen, wie zur Zeit eines Gemezels, verrammelt hatten.
Da niemand vor dem bescheidenen Leichenzug ohne Prunk und ohne Waffen Platz machte, und die weiße Bahre in Gefahr war, zwischen den drängenden Bilgerzügen umgeworfen zu werden, fingen die Träger an zu rufen:
Play! Plaz für den Tod!"
" Der Tod? Wer spricht vom Tod in dieser glückseligen Geburtsnacht?" Und die Züge halten; hoch in der Luft neigen sich, ehrfurchtsvoll grüßend, die Kreuze, stumm drücken sich die Pilger gegen die Mauern.
Plazz für den Tod!"
Und die Bahre zieht vorüber.
Viele Mönche haben den Abtrünnigen erkannt; aber Achtung vor dem Tode bannt das Anathema auf ihren Lippen und besänftigt den Haß in ihren Blicken.
Dann ordnen sich die Prozessionen wieder, die Litaneien beginnen aufs neue, die Rauchfässer dampfen; und der kleine Leichenzug zieht dahin unter dem Rauch der Kerzen, Fackeln und Myrrhe, gefolgt von magierähnlichen abessinischen Bopen, galiläischen, madonnenhaften Weibern und weißbärtigen, den Königen aus dem Morgenlande gleichenden Greisen.
" Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden!" schmetterten die Vorsänger.
Und die Chorknaben wiederholten inbrünstig: Friede auf Erden! Friede auf Erden!" Friede senkt sich auch auf Elias herab, ein sanfter, tiger, strahlender Friede, wie aus Sternenflimmer gewebt und auch in seinem Herzen jubeln Engelstimmen:
Friede auf Erden! Friede auf Erden!",
Rauchwölfchen über der Flur.
Deutlich sah er sie vor sich, wie sie am See Tiberias stand, und ein überirdischer Glanz sich auf ihrem erstaunten, füßen Antlitz ausbreitete; dann, wie sie sich in Baalbeck furchtsam und zitternd auf seinen Arm stüßte, wie sie im Libanon gleich einer syrischen Prinzessin ritt; wie sie in Byblos ganz in Blumen vergraben lag und ihre langen, goldenen Flechten in die heilige Quelle tauchten.
Er sah sie wieder, wie sie am Tage von Zionas Taufe auf dem Hügel unter der hundertjährigen Beder saß, deren Nadeln auf ihren blonden Scheitel und ihr malvenfarbiges leid fielen. An der Tür des armenischen Klosters brannte eine Lampe vor einem abgezehrten Christusbilde und ein kleiner Mönch, dessen blutrote Lippen vor Sehnsucht nach dem Leben lechzten und dessen Augen wie Liebesfackeln glühten, verschlang sie mit den Blicken.
Dann... nichts mehr.
" Lasset ruhen die Schöne... begannen wieder die Träger.
"
Der Zauber war gebrochen. Cäcilie machte sich von ihm los und fiel in den Sarg zurück.
tot
fort.
" Ja," dachte Elias, lasset sie ruhen, denn sie ist wirklich Doch seine Gedanken setzten den Weg der Erinnerungen
Aber nein, es ging nicht mehr; die Begeisterung seiner Sinne war erloschen, der Schwung seines Herzens geknickt, und seine in heidnischem Lande erblühte Liebe fiechte im Schatten des Kreuzes dahin und erstarrte in der Nähe des Grabes. Den verliebten Ruf seiner begeisterten Seele hatte sie später nur mit einem überlegenen Wort oder einer zurechtweisenden Gebärde beantwortet.
Konnte er ihr deshalb aber zürnen? Trug er nicht selbst die ganze Schuld daran? Warum war er nicht fortgezogen, da er doch die Gefährlichkeit ihrer Umgebung erkannt hatte? Warum hatte er sie gezwungen, in dieser verwüsteten und doch erhabenen Stadt zu bleiben, die in ihr die zärtlichen Reduf- gungen erstickte, in ihm dagegen das Sehnen des Geistes erhöhte, die Lust am Leben entwickelte. Warum war er nicht, so lange es noch Zeit war, nach dem Libanon oder nach Frant reich zurückgekehrt? Geschah es nicht nur deshalb, weil er selbst von einer seltsamen Neigung, einer heidnischen Beherung ergriffen war? Astaroth und Moab hatten ihn bezaubert, oder war es nicht vielmehr ganz einfach star ge wesen? Hätte er nicht doch seinen Gelehrtenruhm( der ach! so eitel ist) und seine Abenteuerlust dem Frieden seines Herdes opfern sollen?
Man hatte die Stadt verlassen. Um einen Umweg zu vermeiden, bog die Bahre von der Landstraße ab und durchquerte die Weidepläge, auf denen, wie einst, Hirten ihre Herden hüteten.
Elias schritt über die weiche, rote Erde, wo er mit jedem Schritte Asphodelen und Bethlehemsterne zertrat.
In der Ferne hörte man noch immer das Kyrie eleison und Halleluja der Pilger, und über der schwarzen Menschenflut sah man durch den bläulichen Weihrauchschleier die filbernen Hellebarden, die goldenen Mitren und die kostbaren Steine der Kreuze aufbligen.
Dann tauchte man ganz und gar in das schweigende Feld hinab.
Von dieser lauen, balsamischen Nacht berauscht vergaßen die arabischen Träger ganz, daß sie eine Tote trugen, und trällerten, die Bahre leise schaukelnd:
"
Lasset ruhen die Schöne.
Ja wirklich, meine Schwestern,
Lasset ruhen, die da schlafen will."
Da schien es Elias, als wäre Cäcilie nicht tot, sondern nur von einem Zauberschlaf befallen, in dem sie von allem Irdischen allein die Erinnerung an die Stunden der Freude und Liebe bewahrte. Und von demselben Zauber umfangen, träumte er, daß nun ihre Seelen, in höchster Eintracht umschlungen, noch einmal die Etappen ihres gemeinsamen Glüdes
durcheilten.
Er sah sie wieder in der Laube des Spitals; Sonnenschein Tag auf ihren Händen und der Himmel in ihren Augen; sie flocht Dornenzweige und er nagelte Kreuze, während zwischen ihren Köpfen eine Passionsblumenranke zitterte und die kleine Beduinenflöte in ihren Herzen ein rätselhaftes Sehnen hervorrief.*** Dann dachte er an das galiläische Land. Sie
Vielleicht hatte er sich auch nicht tief genug zu ihr herabgeneigt. Wer weiß! Auch sie hatte wohl geweint, ebenso wie er; vielleicht auch sie unter Einsamkeit und Liebessehnsucht und Enttäuschungen gelitten und die Hände nach einer anderen Liebe ausgestreckt. Konnte er ihr als Verbrechen anrechnen, daß sie anders fühlte, glaubte und liebte als er? Ihr hatte er Mangel an Verständnis und Wärme vorgeworfen. Aber wie oft hatte er selbst sie durch seine sinnlichen Begierden abgestoßen, wie oft sie in ihren Ueberzeugungen, ihren Gefühlen, ihren Gewohnheiten, ihrem Glauben, furzum in all dem berlegt, worin sie nach einer anderen Rasse artete, die sich, ach! so instinktiv feindselig gegen die seinige verhielt.
So hatten sie beide gleichmäßig gelitten, ohne daß es ihnen gelungen wäre, die Bürde ihres Lebens einander tragen zu helfen.
Berzeihe mir, Cäcilie, verzeihe mir und möge die Erde Dir leicht sein!" sagte Elias.
Auf das weiße Bahrtuch warf er Hände voll Krokus und Bethlehemsterne.
Ueber ihnen erglänzte Jerusalem in der hellen Dämme rung wie eine Zauberstadt des Friedens und der Barm herzigkeit.
3.
Am Tage nach dem Begräbnis auf dem protestantischen Kirchhof, der dies Mal mit Anemonen und Asphodelen übersät war, holte Elias seine Tochter nach Hause zurück.