Anterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 81. stol init
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Freitag, den 27. April
( Nachdruck verboten.)
Die Eroberung von Jerufalem.
Roman von Myriam Harry . Autorisierte Uebersetzung aus dem Französischen bon Alfred Beuter.
8.
Sidi, ich muß fort, gib mir Deinen Segen," flehte Assir, vor dem Divan fauernd, auf dem seit langen Tagen jein Herr in unbegreiflichem Stumpffinn ausgestreckt lag. Fort? Wohin willst Du denn?"
Assir verbeugte sich nach der Nichtung von Sonnenaufgang.
Nach Meffa? Warum denn?"
1906
Jerobeams, Ahabs und Jezabels und aller Könige und Königinnen, die durch ihren Gößendienst den„ Ewigen" erzürnt hatten.
Doch eine Erscheinung verfolgte und quälte ihn ganz besonders: die einer unbekannten, riesenhaften, schroffen, unempfindlichen Göttin, die bald blond war wie Cäcilie, bald grau und düster wie das erträumte Basaltidol. Sie umschlang ihn mit ihren Steinarmen, durchfältete ihn mit dem. Kuß ihres Steinmundes, drückte ihn an ihr Steinherz; dann stieß sie ihn von sich und warf ihn über die Mauern hinweg den wilden Tieren zu, die im Todestal umherstreiften.
Und in einer Nacht stand er, von Fieber geschüttelt und von Wahnvorstellungen gepeinigt, auf, verließ die Terrasse und verbrannte in einer silbernen Räucherpfanne, aus der einst die wohlriechenden Dämpfe der Wüstenkräuter sich emporgefräuselt hatten, sein Manuskript von der Auferstehung des Ein dicker, schwarzer Rauch zog sich über die Stadt hin. Um diesen quälenden Wahnvorstellungen zu entgehen, ließ
" Weil ich muß, Sidi. Im Traum erschien mir der Heidentums" und das Bild Iſtars mit den Ammonhörnerit.
Prophet und befahl mir, Dich zu verlassen.".
,, Mich verlassen?.. Auch Du, Du willst mich ver- Elias sein Haus allmählich immer mehr im Stich; er lassen?"
Und Elias richtete sich in den Kissen auf. „ Erinnerst Du Dich denn nicht mehr des Tages, da ich Dich hier fand, den Tod Deines Herrn beweinend? Wie ein Hund folgtest Du mir und ich nahm Dich wie ein Kind an. Und nun sprichst Du davon, mich zu verlassen? Nun, da ich im Elend und von allen verlassen bin!"
Sidi, verzeihe mir; nicht ich bin es, der da will, daß ich Dich verlasse.'
Und er bedeckte seines Herrn Hände mit Küssen und
Tränen.
„ Wer sonst?"
Allah will es, der Prophet ist's, der mich dazu treibt." Wieder... die Religion! Aber höre, Assir, fie befiehlt Dir doch nicht, mich sofort zu verlassen. Warte noch ein wenig. Wer weiß, vielleicht bettest Du auch mich bald, wie den Agha, hier auf dieser Terrasse, damit ich zum letzten Male die Stadt sebe, sie, die mir so viel Zeid zugefügt hat. Dann umgib mich mit Blumen, Wohlgeruch und Stille; nur feine Klageweiber, die will ich nicht. Nimm dann meine Kleider und Waffen und ziehe hin in Frieden, wohin Allah Dich leitet. Höre mich, ich bitte Dich, ich, Dein Herr, flebe Dich an, wart' noch ein wenig, laß mich jetzt nicht ganz allein!"
Und beide Hände dem früheren Sklaven auf die Schultern legend, bat er ihn von neuem:
Bleibe! Bleibe! Du sollst mein Bruder sein!" Doch das vermeintliche Gebot Gottes verhärtete Affirs Herz, und während seine Augen vor Fanatismus funfelten, machte er sich aus Elias Umarmung mit den Worten los: Sidi, es ist die heilige Karawane; die Fakire erwarten mich; ich muß augenblicklich fort von hier; es ist mein Kismet." Dann stieg er hinab, auf jeder Stufe das mohammedanische .Credo" wiederholend; hinter ihm schlug die kleine niedrige Poterne mit lautem nall zu.
Noch einige Augenblicke zitterte der schwere Türklopfer nach; dann versant alles wieder in Stille. Auf seinen Divan zurückfallend, seufzte Elias vernichtet: " Ich wußte es wohl, daß ein Tag kommen wird, an dem ich in Zion auch nicht eine einzige, mitleidige Seele finden würde."
-
廣
Von diesem Augenblicke an verfielen Elias Kräfte sehr rasch; in immer fürzeren Zwischenräumen stellten sich die Anfälle des arabischen Fiebers ein; er fühlte auf seinem Schädel den Druck der Goldbarren, deren blendendes Flimmern er stets vor Augen hatte, gleichviel ob diese offen oder geschlossen waren. Auch verfolgten ihn jett oft Wahngebilde. Sobald er sich in seinem Obergemach an die Arbeit setzte oder auf der Terrasse ausstreďte, tauchten vor seinen Augen seltsame Erscheinungen auf, bei denen seine Idole und deren Symbole sich mit biblischen Bildern vermischten und ihm zeitweise Höllenangst einjagten. Die Terte auf Cäciliens Stidarbeiten fielen ihm ein und Stellen aus den Psalmen; die Verwünschungen des Jesaias dröhnten ihm in den Ohren und unbewußt stammelte er die Namen Salomons und
flüchtete sich am hellen Tage und irrte zu Fuß durch die öden Felder oder durch die verfallenen Straßen. Und oft schlief er, von Müdigkeit übermannt, in der Hütte eines Hirten oder an einem Meilenstein auf offener Landstraße ein.
Manchmal setzte er sich auch hinter der grauen Davidsburg auf die dem armenischen Kloster gegenüberstehende, von der hohen Ceder beschattete Bank. Der Traum von Zions Ewigkeit vermischte sich mit dem seinigen, und in der andächtigen Stimmung dieser tausendjährigen Stätte schmolz seine ganze Bitterfeit in sanfter, schwermütiger Entsagung dahin.
Außerdem schienen Orte der Trauer, des Leides und der Verödung eine besondere Anziehungskraft auf ihn auszu üben; mit Vorliebe folgte er Leichenzügen, besuchte Friedhöfe, mischte sich unter Büßerprozessionen und hielt sich oft bei dem blinden Kamel auf; aber lieber hätte er dreimal die Runde um die ganze Stadt gemacht, als daß er an der Grabeskirche vorbei oder durch das Fälschergäßchen gegangen wäre.
Fast jeden Freitag begab er sich zur Klagemauer der
Juden.
Er sah alle die von den Jahren gekrümmten Rücken, die vom Röcheln eingesunkenen Brüste, die von Tränen geröteten Augen, die vom Küssen der Steine verblaßten Lippen und die vom vergeblichen Gebet zitternden Hände; er sah dieses ganze menschliche Leid, dieses ganze menschliche Elend in Lumpen, in Schweißtüchern und in Sammetkaftans, sah, wie es auf die Trümmer eines Tempels losstürzte und mit gleicher Klage, gleicher Verzweiflung und gleichem Vertrauen flehte:
„ Eile, eile, Retter Israels ! Eile, uns zu befreien, 3ions Erlöser!"
Und er beneidete sie fast und hätte am liebsten selbst, zerknirscht aber gläubig, mit der Stirn an die Mauer gestoßen und gebetet:
Ja, eile, Herr, mich zu erlösen!"
Der alte Rabbi, der einst seine Hülfe mit der Er. flärung zurückwies:„ Wir sind nicht hergekommen um zu leben, wir famen her um zu sterben," beobachtete ihn unter seiner Belzmüze hervor, noch hinfälliger, schmuziger, fanatischer als je, während seine rotunterlaufenen Augen und seine zitternden Stirnlöckchen zu höhnen schienen:
Du hast Dich in Jerucholaim belustigen wollen; nun wohl, iezt bedecke Deine Seele mit Schmach, und streue Asche auf Dein Haupt!"
Als Elias eines Tages auf dem Kirchhofe, der sich an der östlichen Stadtseite befindet, im Schatten eines Grabmals in Gedanken versunken dasaß, sah er den Grafen Bohemund die Umwallung entlang reiten. Vom Helm bis zu den Sporen vollständig gerüstet und bewaffnet, schien er sich in hochgradiger Erregung zu befinden. Augenscheinlich suchte er etwas unter den Umwallungsquadern, an die er von Zeit zu Zeit mit dem Lanzenschaft klopfte.
Elias winkte ihm.
Er hielt sein Pferd an.
,, Heil, teurer Freund, seid mir gegrüßt! Wie freue ich mich, Euch wieder einmal zu sehen. Schon lange währt es,