SBcnit. Wie ein Blitz durchfuhr CS ihn:„Baufällig!" Er bejah sich den Giebel. Ter neigte fich ein wenig auf eine«eile. Moser bc- gann zu pfeifen.»Hallohl Greifen wir es einmal aus dem Punkt anl"— Schon am folgenden Tag ging eine Denunziation an die Be» Hörde ab: der baufällige Gänsehof bedrohe Leben und Gesundheit der Passanten. Tie angesehensten Bürger bezeugten es durch ihre Unterschrist. Bald dava»f erschien eine Sachverständigenkommission, darunter ein Regierungsbaumeister, der beim Anblicke Mosers erstaunt sagte: „Ah, S i e?- Eine gelinde Blässe schoß dem Angeredeten ins Gesicht:„Ich habe nicht die Ehre—* »Doch, doch. Wissen Sie nicht— in Berlin ?� »Mian kommt mit so vielen zusammen." „Freilich, freilich." Ein Lächeln.„Wenn man baut." Dann mußte Moser den Führer spielen. Frau Trielewitsch er. schrak, als der Besuch kam. Aber sie hatte sich bald genugsam gefaßt, um die Kommission von den langjährigen Zwistigkeiten zu unterrichten. Tie Denunziation sei ein ganz gemeiner Racheakt. Moser protestierte und zeigte ein faustgroßes Stück Kalk, das ihm, wie er sagte, fast die Schädeldecke durchgeschlagen. „Untersuchen wir." Der Baumeister stieg die Leiter hinauf. „Der Riß geht nur durch den Pich. Der Giebel allerdings— hm. Eine Kleinigkeit. Kann noch hundert Jahre so stehen." Die Kommission kroch durch das ganze Haus, in sämtliche Keller- und Bodenecken. Endlich fand man sich wieder in der Stube zusammen. Frau Trielewitsch servierte Obstwein.»Er hat ihn so gern getrunken, mein Seliger." Der Baumeister ließ sich eine Bürste geben:„Es hängt allerlei in Ihrem Haus, das besser draußen wäre. Diese Spinneweben zum Beispiel, lleberhaupt würde es nicht schaden, wenn einmal gründlich ausgefegt würde. Aber das geht uns nichts an. Einige Repara- turen sind notwendig, Frau Trielewitsch. Es wird Ihnen darüber noch ein Bescheid zugehen. Aber baufällig ist Ihr Haus nicht. Ich glaube, eS überlebt unsere Kinder, wenn Sie es nicht abtragen lassen. Ich wünschte, Herr Moser, Sie hätten in Ihren Berliner Kästen so gutes Material verarbeitet und sie auf so feste Beine ge- stellt wie das hier geschehen ist!" »Es tut mir leid. Herr, daß Sie mit Ihrer Anzeige kein Glück gehabt haben," sagte Frau Trielewitsch voller Teilnahme. Moser war schon draußen.— • Der Preetz , den die Witwe des Gänsemästers gegen den Millionär weiterführte, fiel zuungunsten des letzteren aus. Er mußte zahlen, vor allem: er hatte Unrecht bekommen! Das schürte seinen Haß gegen den„Gänsestall" mächtig. Wo zwei oder drei Bürger zusammen waren, hetzte er. Besonders die, die an der Gänse- Passage wohnten, wurden von ihm so lange aufgestachelt, bis eine allgemeine Empörung und Nervosität Platz griff. Das Geschnatter mache sie krank, behaupteten einige. Andere sprachen von der ver- pesteten Luft, die bald eine Epidemie erzeugen werde. Und die dritten fragten, ob d a s da auf der Straße etwa schön sei und in eine vornehme Villenkolonie passe— zu einer Zeit, wo man selbst die Pferde abzuschaffen bemüht sei. Der Automobilbesitzer war Mitaktionär bei der Terraingesell- schaft. Er ging den Berliner Hintermännern Mosers zu Leibe und schwor, daß der unfähige Kerl, der Moser, ihnen schon Hundert- tausende„versaut" habe, weil er es nicht einmal fertig brachte, einen lumpigen Gänseftall vom Erdboden zu tilgen. Sollte denn noch ein anständiger Mensch nach Waldfrieden ziehen? Die Berliner ließen den Angegriffenen kommen und trommelten nicht schlecht auf ihm herum. Er wehrte sich, so gut es ging. Aber der„Schandfleck" blieb— und die Tatsache, daß er die Bodenwerte ungünstig beeinflusse, ebenfalls. Also! Für nichts und wieder nichts kriege er weder Gehalt noch Tantieme— mithin: wenn er keinen Regierungswechsel in der Kolonie wünsche--! Moser wußte genug. Sentimentale Rücksichten kannten die nicht. So wenig wie er selber. Seine Stellung war erschüttert. Ter Regierungsbaumcister mußte auch irgendwo geplaudert haben. Ein paar alte Gläubiger meldeten sich plötzlich Moser zahlte natürlich nicht. Eine Einladung zum Offenbarungseid war die Folge. Das rührte ihn weniger. Dann war eben das halbe Dutzend voll. Rur , daß es diesmal wieder einer„mit Schiebungen" wurde, — um die„Ersparnisse" zu retten. Aber das Ganze griff ihn an. Ter Ehrgeiz kam auch ins Spiel. Er kriegte trübe„Gesichter". Sein„Amulett" mußte her. Er bc- trachtete es öfter und öfter, erfüllt mit bangen Ahnungen von der Vergänglichkeit aller irdischen Herrlichkeit und Größe. Sollte eS ihn doch noch mit einem Ast in Verbindung bringen? Tie„Er- sparniffe" waren nicht groß; wenn Moser viel verdiente, ver- schleuderte er nicht wenig. Es mußte also etwas geschehen. Etwas Bedeutendes, das allen Verlegenheiten ein glänzendes Ende be- leitete. Um es kurz zu sagen: ein„echter, rechter Moser", daß die andren Mund und Nase aussperrten. Was? Er ließ sein„Amulett" wie einen Pendel vor sich hin- und herschwingen. Von da mußte die Inspiration kommen. Und sie kam. Schon nach einer Viertelstunde. Da reckte sich Moser, sah mit glänzenden Augen vor sich hin und sagte:„Donnerwetter! Don— ner— wet— tcr!" Eine halbe Stunde später trat er bei Frau Trielewitsch ein. Sie empfing ihn voller Milde und stillem Verzeihen:„Sie haben mir lange nicht die Freude gemacht, Herr." „Arbeit, Frau Trielewitsch, Arbeit. Viel A erger obendrein, Darf man sich nach Ihrem Befinden erkundigen?" „Tante für gütige Nachfrage. So lange mein Haus steht— und ich hoffe, mich wird es aushalten—. so lange bin ich zufrieden. Und Ihnen? Es ist Ihnen doch hoffentlich nichts auf den Kopf gc» fallen, Herr? Als Sie hereinkamen. Herr?" »Lassen wir die alten Geschichten, Frau Katharina." „Es würde mir aufrichtig leid getan haben, Herr." „Versöhnen wir uns!" »Ich bin nicht nachtragend, Herr." „Darf ich mich setzen und wollen wir eine Flasche Fruchtwein miteinander trinken?" »Ich ziehe Ihnen den Stuhl nicht fort, und die Flaschen ver- stauben im Keller, seit mein Bonifazius dahingegangen ist, von wo keiner wiederkommt. Aber ich glaube nicht, daß die Grundstücks- preise auf die Hälfte herabgegangen sind, Herr. Ich verstehe wenig davon. Sie müssen es mir nicht übelnehmen. Sehen Sie, da habe ich doch noch eine volle Flasche." � Sie schenkte ein:„Glauben Sie an Geister, Herr?" Er dachte an den Strick:„Mitunter." „Letzte Rächt war Bonifazius hier. An meinem Bett. Lachen Sie nicht. Herr. Fünf Finger hielt er hoch. So." Sie spreizte die Hand.„Ich meine nur: er wollte sagen: geh nicht ab davon! Sie wissen schon. Wenn ich es doch täte, er käme jede Nacht, das ist sicher. Ich hielt's nicht ans. So allein wie ich bin." „Sie bedürfen einer männlichen Stütze, Frau Katharina. Wollen Sie meine Frau werden?" ---„Herr!"--- »Es ist ein ernster Antrag!" ---„Herr!"--— »Oder sind Sie mir böse?" »Nicht böse, was man so eigentlich böse nennt. Aber Sie sollten keinen Spaß mit meinem Herzen treiben. Ich bin man eben über die Vierzig, Herr—" »Es ist kein Spaß! Und Sie geben noch eine hübsche junge Frau ab." »Darf ich mir Bedenkzeit bis morgen ausbitten. Herr?" Ihre Stimme zitterte und ihr Geficht rötete sich vor Freude. Er ging:„Werfen Sie Ihr Glück nicht von sich, Frau Triele- witsch!"--- Sie tat's nicht. Der lebendige Moser überwand den seligen Bonifazius. Frau Katharina kam nicht mit leeren Händen. Er hatte es schon von einem Auskunftsbureau. Die Berliner bewunderten ihn. Die Waldfriedencr feierten seinen Opfermut. Denn nun fiel der Gänsehof. Anlagen sollen sich an seiner Stelle erheben mit dem Teich als Mittelpunkt. Die Gänseweide wird Laivn Tennisplatz. Tie Ouadratrute hat einen menschenwürdigen Preis.—» Kleines feirilleton. Theater. Deutsches Theater.„Der Tartüfs." Lustspiel in S Akten von M o l i e r e. Uebcrsetzt von Ludwig Fulda . „Die Mitschuldigen ." Lustspiel in drei Aufzügen von Goethe. Frank Wedekind , der Vielseitige, der in dem Münchener Kabaret der elf Scharsrichter seine Gedichte zur Laute vortrug und in dieser Saison, bei den vom Kleinen Theater veranstalteten Aufführungen seiner Dramen als Doktor Hetmann sehr erfolgreich debütierte, dann freilich in der Rolle des Marquis Keilh dcu Mangel darstellerischer Schulung um so deutlicher ver» riet, ist von Direktor Reinhardt wohl in der Hoffnung, daß der Name auch weiterhin zugkräftig auf das Publikum wirken werde, engagiert worden. Reinhardts unruhige, immer nach Neuem aus- schauende Erperimcntierlnst, eine Eigenschaft, die gewiß oft auch sehr glücklich gewirkt, und ihn zu manchem glänzend gelungenen Wagnis mit angetrieben haben mag. scheint hier das künstlerische Urteil arg getrübt zu haben. Tie erste Probe im„Tartüfs" fiel, wie kaum anders zu erwarten war, ungünstig aus. Wenn Wedekind als Tarsteller des wunderlich verrückten«chönheitsfanatikers in seiner„Hidalla" gespannt und gefesselt hatte, so lag das daran. daß die trockene, ihm eigene Art zu der Figur dieses Doktrinärs vorzüglich paßte, und daß sein Spiel hier als persönliches Be- kenntnis empfunden wurde, wodurch das in sich selbst vollkommen unklare und zerfahrene Stück in der Aufführung etwas vom Werte eines psychologischen Dokuments erhielt. Man war frappiert, als man bei Wedekinds Verkörperung des Helden sah, wie ernst er die im Grunde so burlesken Phantasten nahm. Sein Marquis Keith, bei dem diese speziellen das Interesse erregenden Umstände fort- sielen, bot deshalb einen viel zuverlässigeren MaMab der Abschätzung. Ter Eindruck, den Wedekind in diesem zweiten Stück machte, ist wesentlich durch seinen Tartüfs bestätigt worden. Wohl war die Maske, in der er den Moliereschcn Heuchler gab, geschickt gewählt, aber dem Spiel gebrach es an der Fülle der Nuancen; er hielt sich in dem Umkreis einiger weniger Töne und fügte dem stereotypen Bilde nichts Neues, Packendes aus eigener Phantasie hinzu. Mimik und Sprache hatten etwas Eintöniges. Bei der
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23 (27.4.1906) 81
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