unsere Zeit gekommen ist. Das, mein Herr, ist der Grund, warum ich momentan im Restaurant speise, und diesem Umstand' verdanke ich da° Vergnügen Ihrer Bekanntschaft." Ich drückte seine Hand, die er mir über den Tisch reichte, und der Greis fuhr fort: Sie werden es bielleicht nicht glauben, mein junger Freund, daß es drei Arten von Kahlköpfigkeit gibt?" Und nun verbreitete er sich zwei geschlagene Stunden über dieses Thema. Von da an speisten wir jeden Tag zusanimen. Abgesehen von seinen beiden Schrullen, der Kahlköpfigkeit und dem Sou Philipp Augusts  , war Herr Martinier ein äußerst angenehmer Mensch, in dessen Gesellschaft ich mich vortrefflich unterhielt. Eines Sonnabends schlug er mir vor: Wollen wir morgen einen kleinen Ausflug nach Trouville machen? Sie sind dort mein Gast, ich stelle Sie meinen Damen vor. und Montag früh kehren wir wieder zu unserer Arbeit zurück. Sagen Sie nichtnein", bitte!" Und ich sagte in der Tat nichtnein". Ich war neugierig, die Familie dieses Originals kennen zu lernen. Am nächsten Morgen fuhren wir nach Trouville  . Die Gattin des alten Archäologen war eine prächtige Matrone; seine Tochter Amalie war einfach entzückend, und ich verliebte mich auf der Stelle in sie. Am nächsten Tage begann unser Restaurantleben wieder. Aber da sich mein ganzes Sein und Denken um Fräulein Amalie drehte, war ich ein schlechter Gesellschafter für meinen Tischgenoffen, dem meine Einsilbigkeit und Zerstreutheit bald auffiel. Was haben Sie, junger Freund?" erkundigte er sich.Sind Sie krank? VerWagen Sie die Meerluft nicht?... Wollen Sie cS mir glauben, mein Lieber," fügte er hinzu, wieder zu seinem Lieblingsthema übergehend,daß das Meerwasser ein ausgezeichnetes Vorbeugungsmittel gegen die Kahlköpfigkeit ist?" Eine Stunde sprach er von der Heilkraft des Meerwassers bei der Kahlköpfigkeit, und als er dieses Thema endlich verließ, begann er vom Sou Philipp Augusts   zu dozieren, der sich absolut nicht finden lassen wollte. Ein zweiter Ausflug nach Trouville   brachte nur die Gewißheit, daß ich Fräulein Amalie nicht gleichgültig sei, und auf der Rück- fahrt, während der alte Archäologe von Plilipp August sprach, über- legte ich die Ausdrücke, in denen ich ihn um die Hand meiner Aus- erkorenen bitten wollte. Er hatte mir seine Sympathie des öfteren so unverhohlen aus- gedrückt, daß ich ohne sonderliche Angst am nächsten Tage zwischen Käse und Obst zur Tat schritt. Was denken Sie von mir, Herr Martinier?" fragte ich. Nun, mein lieber Freund, ich denke, daß Sie ein prächtiger junger Mann find." Glauben Sie. daß ich heiraten darf?" Aber natürlich! Ich glaube sogar, daß Sie einen ausgezeichneten Ehemann abgeben werden! Besten Dank! Also: ich will mich in der Tat verheiraten und zwar möglichst bald. Ich habe eine reizende junge Dame kennen gelernt. Ich bete sie an, ich habe Grund zu glauben, daß ich ihr nicht gleichgültig bin, und ich stehe im Begriff, ihren Vater um ihre Hand zu bitten." Bravo  , junger Mann I Meinen herzlichsten Glückwunsch l Kellner, eine Flasche Champagner!" Als der Pftopfen gegen die Decke geknallt lvar, füllte Herr Martinier die beiden Gläser und trank auf mein Wohl. Und jetzt wer ist es?" fragte er, seinen Kelch auf den Tisch zurückstellend.Kenne ich die Dame?" Sehr genau sogar!" antwortete ich lächelnd.Die Dame heißt Fräulein Amalie Martinierl" Wie sagen Sie?" Mit einem Schlage war das Gesicht des alten Gelehrten tief- ernst geworden. Jawohl, Fräulein Amalie!" wiederholte ich. Oh! junger Mann, das tut mir sehr leid, um Ihretwillen sehr leid! Ich schätze Sie überaus hoch, das ist richtig, aber meine Tochter wird nur einen Archäologen heiraten! Daran ist nichts zu ändern, und ich bedaure unendlich, daß Sie sich... Welch sonder- barer Einfall von Ihnen l Ich... Wissen Sie was! Ich werde Sie meinem Freund Duranfart vorstellen, dem Abteilungschef im Kultusministerium. Sie werden seine Tochter heiraten. Die Dame hat zwar ein künstliches Bein, aber abgesehen davon ist sie ent- zückend. Sie sind reich, sie hat 300 000 Frank Mitgift, Sie werden sehr glücklich werden.... Das gefällt Ihnen nicht? Na, wir werden schon etwas anderes finden, aber, bitte, sprechen wir nicht mehr von meiner Tochter.... Wissen Sie schon, daß man jüngst in Athen   ein Manuskript des Anaxagoras   über die Kahlköpfigkeit entdeckt hat?" Und während ich traurig an mein verlorenes Glück dachte, ver- breitete er sich ausführlich über dieses Manuskript. Am Tage nach dieser denkwürdigen Szene schützte ich eine Familienangelegenheit vor und fuhr nach Trouville  . Ich besuchte die Damen Martinier, die gerade ihre Koffer packten, um nach Paris   zurückzukehren, und erzählte ihnen mein Mißgeschick. Die Damen suchten mich nach Kräften zu trösten. Werden Sie Archäologe!" riet die Mutter. Finden Sic den Sou Philipp Augusts l" schlug die Tochter vor, Den Sou Philipp Augusts   finden? wiederholte ich mir im Waggon auf der Heimfahrt. Das ist leicht gesagt, aber ich sehe nicht recht, wie ich das beginnen soll? In Paris   angelangt, kletterte ich auf das Verdeck des Omnibus St. Lazare St. Michel, um nach Hause zu fahren. Der Schaffner kam mit dem Fahrschein. Ich griff in die Tasche und reichte ihm drei Sou. Na, hören Sie inal, mein Herr, der hier gilt ja nicht mehr I" Damit gab er mir wie mochte er nur in meine Tasche ge- kommen sein? einen noch ziemlich gut erhaltenen Sou aus der Zeit des Bürgerkönigs Louis Philippe   zurück. Ich gab dem Schaffner einen andern Sou, steckte den ungültigen in die Tasche und dachte seufzend: Wenn Du noch wenigstens aus der Zeit Philipp Augusts   stammtest l Plötzlich blitzte ein Gedanke in meinem Hirn auf. Ich holte den Sou Louis Philippe   wieder aus der Tasche, bettachtete ihn von neuem und hätte beinahe wie Archimedes   gerufen:Heureka I" Gerade langte der Omnibus an der Place St. Michel an. Ich stürzte Hals über Kopf die steile Treppe vom Verdeck herunter und eilte zum nächstbesten Drogisten. Eine Viertelstunde später in meinem Zimmer lag der alte Sou, den ich an bestimmten Stellen mit einer Wachsschicht uberzogen hatte, in einem Bade von konzentrierter Salpetersäure. Als ich ihn heraus- nahm, sah er ganz dünn, klein und wie angenagt aus. Der Kopf Louis Philipps war fast gar nicht mehr zu erkennen, und von der Inschrift ließen sich nur mit Mühe die Buchstaben Philip... Fran... entziffern. Mein Sou glänzte, als sei er aus purem Golde. Ich mußte ihn jetztaltern". Zu dein Zwecke steckte ich ihn in einen Blumen- topf, dessen Erde ich reichlich mit Dung versetzt hatte. Als mein Sou acht Tage später wieder das Tageslicht erblickte, hatte er die schönste Patina angesetzt und machte den Eindruck einer etliche Jahr- hunderte alten Münze. Es handelte sich jetzt nur noch darum, ihn dem alten Archäologen zu präsentieren. Seit der Rückkehr seiner Familie speiste er nicht mehr im Restaurant, und ich traf ihn nur selten. Er war immer noch freundlich und liebenswürdig zu mir, aber er sprach nie von seinen Danien und glitt eilig darüber hinweg, wenn ich mich nach ihrem Befinden erkundigen wollte. Eines Abends gewahrte ich ihn auf dem Boulevard des Italiens, sin Begriffe nach Hause zu gehen. Ich folgte ihm und erreichte ihn, als er gerade seine Wohnung betteten wollte. Ich hoffe, Sie wollen nicht wieder von meiner Tochter sprechen?" ftagte der gute Mann, sichtlich verlegen. Ich verneinte und erklärte ihm. daß ich gekommen sei, um ihm eine Münze zu zeigen, die mein Vater, ebenfalls ein leidenschaft- licher NumiSmatiker, unlängst bei einem Freunde entdeckt hätte. Wieder beruhigt, führte Herr Martinier mich in sein Arbeits« zimmer. Er nahm sich nicht einmal die Zeit, den Ueberzieher abzu« legen. Ruit   lassen Sie einmal sehen l" drängte er. Ich reichte ihm die Münze. Er setzte seine Brille auf und be- ttachtete sorgfältig jeden einzelnen Punkt. Dann rief er, feuerr»» vor Freude: Mein Philipp August   l Er ist's I" Nicht möglich?" Er ist's, sage ich Ihnen, junger Mann! Betrachten Sie diese? kaum erkennbare Bild! ES sind die Züge Philipp. Augusts. Be- trachten Sie diese halbverwischten Schriftzügc Philip... und Fran...! Das bedeutet Philippus und Frankorum.... Es ist der langgesuchte Sou Philipp Augusts  !... Wieviel wollen Si» dafür?" Verzeihung, Herr Martinier. er gehört nicht mir, und ich..." Junger Mann, ich zahle dafür, was Sie wollen! Denken Kte nur: ein einziges Exemplar!" Es tut mir leid, aber mein Vater..." Ich werde ihm schreiben!" unterbrach mich der Greis, ganz aufgeregt. Das wird Ihnen ivenig helfen. Die Münze ist nicht zu v«« kaufen." Ich steckte den Sou wieder in die Tasche und machte Miene, mich zu entferitcn. An der Tür drehte ich mich noch einmal um. Herr Martinier, ich wüßte wohl cm Mittel, die Sache zu arrangieren. Bewilligen Sie mir die Hand von Fräulein Amalie. und ich mache mich anheischig, Ihnen dieses seltene Stück zu ver- schaffen." Aber junger Mann..." Sagen Sie selbst: indem ich diese Lücke, diese überaus große Lücke in Ihrer Sammlung ausfülle, leiste ich damit nicht mehr als mancher ergraute Numismatikcr je geleistet hat? Verdiene ich damit nicht auch diesen Titel?" Herr Martinier dachte einige Minuten nach. Kommen Sie morgen abend wieder l" sagte er schließlich.Wir sprechen dann weiter über diese Sache. Aber bitte, verlieren Sie das unschätzbare Kleinod nicht!" Am nächsten Abend bewilligte Herr Martinier mir die Hand seiner Tochter. Der heißbegehrte Sou ging definitiv in seinen Besitz über und wurde der Gegenstand einer gelehrten Abhandlung: Ueber die Scheidemünze unier Philipp August   vor und nach der Schlacht bei Bouvines", eine Abhandlung, welche ihm sechs Monate später die akademischen Palmen cinttug.'