— 380— besondere ergab sich als Hauptübelstand die verhältnismäßig lange Durchfahrtszeit für die Dampfer. Diese Mängel wurden in der Folge- zeit nach Möglichkeit beseitigt. So wurde das Bett des Kanals wesentlich verbreitert und vertieft. Im Jahre 1386 wurde mit dem auf rund 203 Millionen Fr. Kosten veranschlagten Umbau des Kanals begonnen und seine ursprünglichen Matze auf 9 Meter Tiefe. 60—70 Meter Sohlend reite und 101—129 Meter Wasserspiegelbreite der- grvtzert. In den letzten Jahren wurde der Kanal mit Rücksicht auf die immer mehr zunehmende Grötze der Danipfer auf eine Tiefe von fast durchweg 9,S Meter gebracht. Es ist jetzt möglich, selbst die größten Postdampfer und Panzerschiffe in 13—18 Stunden durch den Kanal zu befördern.— Theater. Kleines Theater. Ein idealer Gatte. Schau- spiel in 4 Akten von O s c a r Wilde.— Das Schauspiel stammt aus der Zeit, da Oscar Wilde noch ein bewunderter Liebling der Londoner Aristokratie war, die großen Blätter die pikanten Para- doxien seiner Komödien als„Oscarismen" kolportierten, und der später so Vcrfehmte, wenn ihn der Prcmierenbeifall vor die Rampe rief, mit der Zigarette in der Hand ironisch plaudernd sein Pub- likum apostrophiertem Wildes Gcsellschaftsstücke sind selbst nur eine ausgcsponnene und szenisch arrangierte Plauderei, und wenn ihre kaustisch-originelle 5tonvcrsationskunst einen so vortrefflichen Jnter- Preten findet, wie Herrn Harry Waiden, spürt man heute noch etwas von dem eigenartigen Reiz, den sie damals in dem Milieu, für das und aus dem heraus sie geschrieben waren, ausüben mutzten. Handlung im Sinne einer irgendwie interessierenden EntWickelung oder eine auch nur etwas tiefer grabende Charakteristik darf man da nicht erwarten. Und für das Manko an allem Substantiellen kann heutzutage kein„Geist" entschädigen, nachdem durch den modernen Bühnenrcalisnms der Geschmack an den Finten des fran- zösischen Jntrigenstückcs, durch die auch Wilde den Schein einer Bewegung vorzutäuschen sucht, so gründlich zerstört worden. Nur aus Verlegenheit, weil es ihm an Erfindungsgabe des echten Lust- spieldichters gebrach, hat er wohl das Thema von dem„idealen Gatten", der an peinlicher Vergötterung durch die eigene Frau leidet, ins Ernsthafte gewendet. Das Komisch-Satirische, das in der Idee liegt und einen Spötter wie Wilde doch gewiß hätte anziehen inüssen, ist nicht einmal gestreift. Andererseits fehlt jeder Zug intimerer Psychologie, der eine seelische Anteilnahme an den Röten, Verfehlungen und Bekehrungen des offiziellen Mustergemahls er- möglichen würde. Mann und Frau sind Puppen, die ihr Sprüchlein hersagen müssen, und der Autor stellt sich nur, als nehme er sie für mehr. In dem Salon des großen Politikers Chiltern, der ein bißchen inkorrekt, nämlich durch Verrat geheimer Ministerialbeschlüsse an einen Millionär, den Grundstein zu seinem Reichtum und damit seiner Macht gelegt, taucht Mrs. Cheveley, eine vom Geschlechte der Theater- und Romanschlangen, auf; sie präsentiert Herrn Chiltern einen Brief, der seine Schuld beweist, und droht das Schriftstück zu veröffentlichen, wenn er nicht ein argentinisches Schwindelunter- nehmen, an dem sie engagiert ist, durch seine Autorität im Parla- mente decke. Der Ehrenmann, dem der Dichter am Schlüsse sehr liebenswürdig Absolution erteilt, sagt auch nach einigem Schwanken n, besinnt sich aber unter dem Hochdruck seiner besseren Ehehälfte, ne von den Drohungen Wind bekommen hat und felsenfest an seine Makellosigkeit glaubt, dann wieder anders. Ein Freund, dem er sich vertraut, entlarvt die Fremde als Diebin und zwingt sie, nun ebenfalls mit einem Skandal drohend, zur Herausgabe des Doku- «nentcs— ein Renkontre, das die Dame zugleich sinnig benutzt, um emen scheinbar kompromittierenden Brief, den die verhaßte Lady Chiltern dem jungen Mann geschrieben, zu stehlen. Der ideale Gatte hält eine heroisch-unabhängige Rede im Parlament, und die tugendstolze Gemahlin, die, wie sie die Wahrheit erfuhr, empört mit ihm brechen wollte, nun aber, da sie von der Entwendung ihres eigenen Briefes Hort, recht bedenkliche Symptome der Lügenbereit- jschaft an sich selber konstatieren mußte, schließt ihn verzeihend in die Arme, sie erlaubt ihm sogar auf Zureden des Freundes den angebotenen Ministcrposten anzunehmen. Im Grunde hat all das bunte Durcheinander nur den Zweck. dem Freunde des Hauses Gelegenheit zu geben, seine Bemerkungen zu machen. Und er macht sie in wirklich amüsanter Weise. Diese von Harry W a l d e n mit einer brillanten Lordschaftlichen Trockenheit gespielte Rolle, in der er die herauSfordernsten Para- doxien in unerschütterlicher Ruhe, wie über jeden Widerspruch er- Halene Selbstverständlichkeiten ausstreut, trägt und hält das Stück; sie kann den fehlenden Gehalt nicht ersetzen, aber verscheucht trotz aller Inhaltsleere doch immer das Gefühl der Langeweile. Höchst humoristisch war auch Herr Abel, als phlegmatisch kummervoller Vater dieses hoffnungsvollen, aller Pietätsgefühle so total entblößten Sproßen. Von den übrigen ist M a r i e t t a O l l y, die die Aben- �euerin mit glänzender Verve mimte, zu nennen. Der Beifall war, trenn auch viel gelacht wurde, nicht von besonderer Stärke, dt Techmsches. ie. Gekühlte E i sen bahnzüg e. ES wäre nicht übel, wenn während der heißen Jahreszeit die Eisenbahnzüge nicht nur ventiliert, sondern auch gekühlt werden könnten, weil der Aufent- »altin den Wagen, auf die gewöhnlich vom frühen Morgen an die I' di Sonne niederbrennt, nicht zu den sogenannten Vergnügungen zu rechnen ist. Man beschäftigt sich jetzt mit der Aufgabe der Kühlung ganzer Eisenbahnzüge, leider aber noch nicht zugunsten des Per, sonenvcrkehrs, sondern für Transportzwecke. Ueber diese Neuheit, mit der vorläufig nur in den Vereinigten Staaten Versuche gemacht worden sind, veröffentlicht der Ingenieur Stetefeld im„Gesund- Heits-Jngenieur" eine wichtige Mitteilung. Es handelt sich zunächst um die Verfrachtung von Obst auf Eisenbahnen, die auf längere Strecken bisher selbst unter Anwendung von Eis nur mit teilweisem Erfolg möglich gewesen ist, da namentlich die leichter verderblichen Fruchtsorten feuchte Luft auch von kühlerer Temperatur auf längere Zeit nicht vertragen. In Amerika litt besonders die Verwertung der als Nahrungsmittel wichtigen Bananen sehr unter diesem Mangel. In den Vereinigten Staaten werden jetzt jährlich 26 bis 30 Millionen Trauben dieser Frucht versandt, die in manchen Ge- bieten der Union geradezu ein Volksnahrungsmittel geworden ist. Eine große Gesellschaft in Boston , die sich mit dem Versand von Obst befaßt, hat nun ein neues Verfahren zur Kühlung ganzer „Bcmanenzüge" erprobt. Die erste Anlage dieser Art ist in Spring- field(Staat Missouri ) errichtet worden. Die Eisenbahnzüge werden in einen Raum gefahren, der zusammen auf vier Gleisen 40 Eisen- bahnwagen aufnehmen kann, und zunächst vorgekühlt worden ist. Dann werden die einzelnen Waggons mit den Bananen unmittel- bar einer Abkühlung ausgesetzt, wozu eine Kühlmaschine von 930 000 Wärmeeinheiten in der Stundenleistung dient, die von einer Dampfmaschine getrieben wird. Die kalt« Luft wird in der Halle durch ein Kanalsystem verteilt und wieder abgesogen, der dazu außerdem nötige Ventilator durch eine Dampfmaschine von 20 Pferdestärken in Betrieb gesetzt. Die Bananen vertragen auf die Dauer keine höhere Temperatur als 27 Grad und werden inner- halb des Gebäudes in 12 Stunden auf 13 Grad abgekühlt. Die Eisenbahnwagen sind nach außen so sorgfältig isoliert, daß sie eine Reise von zwei bis drei Tagen zurücklegen können, ehe die Tempe- ratur im Innern wieder die bedenkliche Höhe von 27 Grad erreicht. Die Früchte kommen übrigens bereits in gekühlten Dampfern nach New Orleans und von dort in Eilzügen nach Springfield, um hier der Kühlung unterworfen zu werden. Die wichtige Neuheit deS Verfahrens besteht darin, daß die Früchte gar nicht ausgeladen zu werden brauchen, sondern in den Eisenbahnwagen selbst abgekühlt werden. An den Decken der Eisenbahnwagen sind verschließbare Oeffnungen angebracht, durch die kalte Luft eingeleitet und die warmgewordene Luft wieder abgesaugt wird. Von diesen Oeff- nungen führen Leinwandschläuche nach der Decke des Gebäudes. Stetefeld halt es für wahrscheinlich, daß solche gekühlte Eisenbahn- züge mit Erfolg bald auch in Europa zur Einführung gelangen werden.— Humoristisches. — Lebensregel. Gigerl:„Was'n anständiger Mensch iS, mutz täglich sein Hemd wechseln und alle zwei Jahre seine Ucbcr- zeugung!"— — Berufungen.„Was führt Exzellenz zu mir?"— „Ich komme in Sachen meines Schwiegersohnes, Herr Professor; Sie wissen doch, er ist Privatdozent, adlig, und liest z. Z. eine Sache über den 70er Krieg... Hätten Sie denn für ihn nicht'n Lehr- stuhl für bessere Welthistorie frei?"—(„Jugend.") Notizen. — Heute erscheinen gleichzeitig in den meisten Kultursprachen die Memoiren Leo Tolstojs in Verbindung mit einer groß angelegten Biographie. Herausgeber ist Paul Birukof. Die deutsche Ausgabe kommt bei Moritz Perles. Wien , heraus.— — Ein bedeutende Fusion ist, wie das„Leipz. Tgbl." berichtet, im deutschen Buchhandel vorgenommen worden. Die Inhaber der Leipziger Firma L. Staackmann treten als Teilhaber bei den Firmen F. Volckmar, Leipzig und Berlin . C. F. Amelungs Verlag in Leipzig und Albert Koch u. Co. in Stuttgart ein, wo- gegen die Inhaber der drei letztgenannten Firmen Teilhaber der Firma L. Staackmann werden.— — A u b e r S dreiaktige Oper„Des Teufels Anteil" geht im Laufe des Sommers im Neuen kgl. Operntheater neu ein- studiert in Szene.— — Die Akademie der Künste hat den Maler Bruno LiljeforS , die Bildhauer JuleS L a g a e- Brüssel undAuguste R o d i n. den Graphiker Ferdinand Schmutzer in Wien zu ordentlichen Mitgliedern erwählt.— — Vom Schimmel. Aus Milspe in Westfalen wird dem «H. C." folgendes Geschichtchen berichtet: Nach sechzehnjährigem Bestehen erhielt die dortige Wassergenossenschaft schriftlich die amt- liche Mitteilung, daß sie mit 0,02 M. gleich 2 Pf. und demzufolge mit dem kommunalen Zuschlag von 210 Proz. zu jährlich 0,04 M. gleich 4 Pf. zur Grundsteuer veranlagt sei. Ueber den Empfang des Schreibens hatte der Bevollmächttgte der Genossenschaft Quittung zu erteilen. Dann traf einige Tage später der Steucrzettel ein, auf dem als Total-Endsumme der Bettag von 4 Pf. verzeichnet war, zahlbar in Vierteljahresraten. Also Benachrichtigung, Ouittimg und Steuerzettel um vier Pfennige.— Verantwortl. Redakteur: HanS Weber Berlin. — Druck u. Verlag: Vorwärts Buchdruckerei».VerlagSanstaltPaul Singer LeCo..Berlin Z Vk.
Ausgabe
23 (18.5.1906) 95
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