Flüstern. Ja, heute an diesem Tage fühlte er es: wenn manauch manche Sorge hatte, die man sonst nicht gehabt hätte,manche Unbequemlichkeit und Unannehmlichkeit, mancheFreude hätte man doch auch nicht kennen gelernt! Trotz allemund allem: der Junge konnte gut werden! Wie jünglinghaftseine Erscheinung war! Einen fast männlichen Zug hatte erum den Mund! Sonst war dem Vater das noch nie aufge-fallen— machte wohl der schwarze Anzug die Knabengestaltso ernsthaft?!Wolfgangs Gedanken gingen eigne Wege: nicht die hiervorgeschriebenen. Viele Empfindungen kreisten in ihm, aberkeine derselben konnte er festhalten: er war sehr zerstreut.Durchs Viereck in des Kirchenfensters Scheibe sah er leereLuft, und diese belebte sich ihm mit �""�ndcn Gestalten:Vater, Mutter, Frida, Lehrer und Kameraden. Aber alleglitten sie vorüber, keine Erscheinung blieb. Er fühlte sichplötzlich ganz allein inmitten der Menge von Menschen.Als die Reihe an ihn kam, trat er mechanisch zum Altar,neben sich Kullrich: vor sich Lehmann und Kesselborn. Wieer diese beiden jetzt auf einmal wieder Hatzte! Seine Uhr,feine goldene Uhr hätte er ihnen vor die Fütze werfen mögen:da, nehmt sie! Aber nehmt zurück, was ihr gesagt habt,nehmt's zurück! Pfui, was war das für eine grätzliche Nachtgewesen— ekelhaft! Die fühlte er noch in den Gliedern:schwer waren feine Füße, und als er jetzt auf dem Polsterniederkniete, das auf der Altarstufe lag, waren seine Knie steif.Kullrich neben ihm weinte in einem fort leise. Aha. der dachtewohl an seine Mutter, die nicht mehr bei ihm war! ArmerKerl! Und plötzlich fühlte Wolfgang, datz ihm etwas Feucht-heitzes in die Augen drängte.Oben summte die Orgel leise, und in das sanfte Tönensprach die milde Stimme des Geistlichen die Sprüche hinein,die er seinen Konfirmanden ausgesucht hatte:„Offenbarung Johannis, Kapitel 21, Vers 4. Und Gottwird abwischen alle Tränen von ihren Augen. Und der Todwird nicht mehr sein, noch Leid, noch Geschrei, noch Schmerzwird mehr sein: denn das erste ist vergangen!"Aha, das war was für Kullrich! Der hob das tränen-nasse Gesicht, das so rot und heitz war, zu der Tröstungempor. Aber nun, nun— Wolfgangs Atem stockte— jetzt,jetzt kam sein Spruch! Was würde er für einen Spruchbekommen, was würde man ihm sagen?!"„Ebräer 13 Vers 14. Denn wir haben hie keine bleibendeStatt, sondern die zukünftige suchen wir!"Das— das sollte für ihn sein?! Was hietz das?! Eineungeheure Enttäuschung kam über Wolfgang, denn— hatteer nicht auf den Spruch geharrt wie auf eine Offenbarung?!Der Spruch, der Spruch, der sollte ein Gottesurteil sein! Dersollte sagen: was wahr war— oder was nicht wahr war.Und nun—?!«Wir haben hier keine bleibende Statt,die zukünftige suchen wir"—nun sagte der gar nichts!In allen Hoffnungen betrogen, erhob er sich mechanischvon der Altarstufe. Er sah nicht, daß der Blick der Mutterihn heimlich grüßte, datz auch der Vater ihm verstohlen zu-nickte, Freundlichkeit im Gesicht: er war ganz verstört, ganzernüchtert, ganz benommen von dieser Enttäuschung.lFortsetzung folgt.)(Nachdnlct verboten.1Die Qmform des Kapitäns*Aus dem Russischen.Die aufgehende Sonne zog über der Kreisstadt ein verdrietzlich-SGesicht, die Hähne reckten sich noch verschlafen, aber in der Kneipedes Onkels Rylkin saßen bereits Gäste. Es waren deren drei: derSchneider Merkulolv, der Stadtwächter Schratwa und der NentanitS-böte Smechunow. Alle drei waren betrunken.„Thll mir den Gefallen und red' nicht!" räsonnicrte Merkulow,indem er den Stadtwächter am Rockknopf festhielt.„Eine Zivil-behörde, und mag sie auch noch so hoch stehen, ist nach unserenSchneiderbegriffen immer nur der reine Dreck gegen einenGeneral. Nehmen wir z. B. jetzt einen Kammerherrn. Dasist eine ganz andere Sache. Berechne bloß mal: vierArschin vom feinsten Tuch aus der Fabrik von PrundelSöhne, Knöpfe, goldener Kragen, weiße Beinkleider mit goldenenStreifen auf den Nähten, die ganze Brust in Gold, auf dem Rücken,auf den Aermeln, auf den Rockaufschlägen ebenfalls. Oder wenn Dujetzt z. B. für die Herren Hofmeister, Stallmeister, Zeremonienmeisteroder sonstige Meister arbeitest, was meinst Du wohl? Ich erinneremich, wir arbeiteten mal für den Hofmeister Grafen Andrei Seme-nitsch Wuliarewsky. Eine Uniform— drei Schritt vom Leibe!Nimmst sie in die Hand— in der Brust tanzt Dir das Herz vorFreude I Wirkliche Herren, wenn man für sie arbeitet, wagt man nichtweiter zu belästigen. Hast Maß genommen— gut, nun nähe, aberanpassen gehen— ganz unmöglich I Bist Du ein guter Schneider,so mutz es gleich' beim erstenmal passen. Spring' vom Kirchtum,fall' in die Stiefel, und fertig! Neben uns, Brüderchen, war, icherinnere mich noch wie heute, eine Gendarmeriekaserne. UnserMeister Ossip Haklitsch suchte von den Gendarmen immer die, welchedem jedesmaligen Besteller an Figur ähnlich waren, zum Anprobierenheraus. Nun also, so auch damals. Wir suchten für die gräflicheUniform einen passenden Gendarmen aus. Wir riefen ihn. Ziehan, Fratze, und fühle Dich!... Es war zum Lachen! Er zog dieUnifornl'an, schielte auf die Brust herab und— was meinst Duwohl?— fing an zu zittern, verstehst Du, wurde ohnmächtig, be-wußtlos...."„Und für Kreisrichter habt Ihr auch gearbeitet?" erkundigte sichSmechunow.„Kreisrichter? Große Herrlichkeit! In Petersburg laufen dieKreisrichter herum wie die bunten Hunde. Hier reißt man vor ihnendie Mützen herunter, aber dort— mach Platz, was kriechst Du hier?Wir arbeiteten für die Herren Offiziere, auch für die Herrschaftender ersten vier Klassen. Eine Person ist der anderen nicht gleich.Wenn Du zum Beispiel von der fünften Klasse bist,— Kleinigkeit!Komni nach'ner Woche wieder, und alles ist fertig, weil außerdem Kragen und den Aermelauffchlägen nichts daran ist. Aber wervon der vierten Klasse oder von der dritten oder sagen wir garvon der zweiten— dann schlug der Meister schon allen Gesellenins Genick und„Lauf nach der Gendarmeriekaserne I" Da arbeitetenwir mal. Brüderchen, für den persischen Konsul. Wir nähten ihmauf Brust und Rücken goldene Kringel für 1500 Rubel. Wir glaubtener würde nicht bezahlen, aber nein— bezahlte. In Petersburghaben sogar die Tataren Noblesie!"Lauge erzählte Merkulow so. Um neun Uhr begann er unterdem Eindruck dieser Erinnerungen zu weinen und sich bitter überdas Schicksal zu beflagen, welches ihn in dieses Nest verschlagenhabe, in dem nur Kaufleute und Bürger wohnten. Der Stadtwächterhatte schon zwei zur Polizeiwache gebracht, der Bote war schonzweimal zur Post und zum Rentamt gegangen und wieder zurück-gekommen, aber Merkulow beklagte sich noch immer. Mittags stander vor dem Küster, schlug sich mit der Faust an die Brustund murrte:„Ich wünsche nicht für Lakaien zu nähen! DaS ist untermeiner Würde! In Petersburg arbeitete ich für den Baron Spuzelin eigener Person und für die Herren Offiziere! Hebe Dich fortvon mir, langschößiges Ungeheuer, daß ich Dich mit meinen Augennicht mehr sehe! Hebe Dich fort!"„Sie haben eine hohe Meinung von sich, Trifon Panteleitsch,"suchte der Küster den Schneider zu beruhigen.„Wenn Sie auch einKünstler in Ihrem Fache sind, so dürfen Sie doch Gott und dieReligion nicht vergessen. Ari bildete sich auch soviel ein wie Sieund starb eines schimpflichen Todes. Passen Sie auf, so sterbenauch Sie einmal!"„Dann sterbe ich! Besser sterben als Bauernkiitel nähen!"„Ist mein Bannfluch hier?" hörte man plötzlich eine weiblicheStimme hinter der Tür, und in die Schänke trat die FrauMerkulows, Axinia, ein bejahrtes Weib mit aufgekrempten Aermelnund Hängcbauch.„Wo ist das Götzenbild? Geh nach Hause, mögestDu platzen! Da fragt ein Offizier nach Dir."„Was für ei» Offizier?" Merkulow riß die Augen auf.„Ach, der Teufel kennt ihn! Er sagt, er will eine Bestellungmachen."Merkulow kratzte sich mit allen fünf Fingern seine große Nase,was er jedesmal tat, wenn er sein äußerstes Erstaunen ausdrückenwollte, und brummte:„Der alte Drachen hat wahrscheinlich wieder zuviel getrunken!Fünfzehn Jahre habe ich kein adiiges Gesicht gesehen und plötzlich,heute am Fasttag ein Offizier mit einer Bestellung I Hm, ich willdoch sehen..."Merkulow verließ die Kneipe und stolperte nach Hause. DieFrau hatte ihn nicht zum Narren gehalten: auf der Schwelle seinerHütte erblickte er den Kapitän Urtschajew, den Adjutanten deS Stadt-kommandanten.„Wo treibst Du Dich herum?" kam ihm der Kapitän entgegen.„Ich warte schon eine ganze Stunde! Kannst Du mir eine Uniformnähen?"„Euer Gna... Herr Gott!" begann Merkulow zu stammeln,sich verschluckend und die Mütze samt einem Büschel Haare vomKopf reißend.„Euer Gnaden, passiert mir das vielleicht zum ersten-mal? Ach Gott, ich habe für den Baron Spuzel genäht. Der HerrLeutnant Sembulatow ist mir bis heute noch zehn Rubel schuldig.Frau, gib doch einen Stuhl!... Erlauben Sie Maß zu nehmen,oder befehlen Sie nach Augenmatz zu nähen?"„Nach Matz. Stoff lieferst Du. Und daß es in einer Wochefertig ist! Wieviel nimmst Du dafür?"„Ich bitte Sie, Euer Gnaden l Was denken Sie?" lächelteMerkulow.„Ich bin doch nicht irgend ein Kaufmann I Wir verstehenschon, wie man mit Herren... Als wir für den persischen Konsularbeiteten, auch da«hne Worte..