Nnterhattungsblatt des Horwärts Nr. 120. Dienstag, den 26. Juni. 1906 (Nachdruck verboten.) 831 Siner Mutter Sokn. Roman von C I a r a V i e b i g. 'n Abend," sagte Wolfgang laut und vergnügt. Und dann räusperte er sich, wie eine leichte Verlegenheit herunter- schluckend, und sagte leise, der Mutter einen Schritt näher tretend:Pardon, Mama, ich habe verschlafen, ich hatte keine Ahnung, wie spät es war ich war todmüde?" Sie sagte noch immer nichts. Er wußte nicht, wie er mit ihr daran war. Sie war so still, das beirrte ihn ein wenig.Ich bin gestern abend näm- tich sehr spät nach Hause getommenl" So bist Du?" Sie wendete den Kopf von ihm weg und sah wieder angelegentlich hinaus in den Garten, wo Paul jetzt gerade mit Friedrich sprach und mit dem Finger zu einem schön blühenden Zierkirschenbaum hinaufwies. Ich glaube wenigstens," sagte er. Was sollte er sagen? War sie böse? In der Tat, er mußte wohl sehr spät nach Hause gekommen sein, um wieviel Uhr, konnte er sich nicht erinnern, es war ihm alles etwas dunkel. Er hatte auch einen bösen Traum gehabt, sich scheußlich gefühlt, aber jetzt war ihm wohl, so wohll Nun, wenn sie etwas gegen ihn hatte, konnte er ihr auch nicht helfen! Die Lippen wieder zu einem leisen Pfeifen, wie Vogel» zwitschern spitzend, wollte er, die Hände in den Taschen seiner gutsitzenden modischen Hose, von der Veranda herab in den Garten schreiten, als sie ihn zurückrief. Du wünschest, Mama?" Du warst betrunken," saate sie leise und heftig. Ich?! O!" Eine plötzliche Verlegenheit überkam ihn: war er wirklich betrunken gewesen? Er hatte keine Ahnung davon. Aber freilich, es konnte am Ende sein, er hatte ja auch gar keine Ahnung, wie er nach Hause ge- kommen war! Du hast wohl wieder aufgesessen und auf mich ge- wartet?" Mißtrauisch sah er sie von der Seite an, seine breite Stirn zog sich über der Nasenwurzel in eine so tiefe Falte, daß die dunklen Brauen ganz zusammenstießen.Du mußt nicht immer auf mich warten," sagte er dann mit heimlicher Ungeduld, aber äußerlich im Ton der Besorgnis. Das nimmt mir ja jede Lust, etwas mitzumachen, wenn ich denke, Du opferst Deine Nachtruhe. Bitte, Mama, tu das nicht mehr!" Ich werde es nicht mehr tun," sagte sie und sah in ihren Schoß. Sie hätte ihn nicht ansehen können, so verachtete sie ihn. Wie hatte er dagestanden, so breit und groß und dreist und ganz vergnügt..'n Abend" gesagt! Tat so, als ob er von nichts wüßte, nicht, daß er vor ein paar Stunden noch hatte kriechen wollen auf allen Vieren, sich strecken auf die Schwelle, als wäre da sein Bett oder er ein Hifnd! War so unbefangen, als hätte er nicht heute mittag noch da oben in seinem Zimmer gelegen, so so schmutzig I Als wenn sie ihn nicht gesehen hätte in seiner tiefsten Erniedrigung. Nein, nie, nie mehr würde sie ihn küssen können, ihn streicheln, die Arme um seinen Hals legen, wie sie's dem Knaben so gern getan hatte! Er war ihr auf einmal ein ganz fremder Mensch geworden. Sie sagte kein Wort mehr, machte ihm keinen Vorwurf. Teilnahmslos hörte sie das, was jetzt ihr Mann unten im Garten zu ihm sprach. So milde wie Schlieben diesen Mittag seiner Frau gegenüber geschienen hatte, jetzt, dem Sohne gegenüber war er es denn doch nicht. Ernsthaft sagte er:Ich höre, Du bist angetrunken nach Hause gekommen was soll das heißen? Schämst Du Dich nicht?" Wer hat das gesagt?" Das ist ja ganz gleichgültig, ich weiß es, und das genügt!" Sie natürlich!" sagte der Sohn bitter.Mama über- treibt gleich alles so. Betrunken bin ich sicher nicht gewesen, nur ein bißchen im Schwum das waren wir alle Gott, Papa, man kann sich doch nicht ausschließen! Was soll man denn auch sonst machen an so'nem langen Abend? Aber schlimm war's jedenfalls nicht. Ich bin ja jetzt so frisch!"' Und er packte den Zicrkirschenbaum, unter dem sie gerade standen, mit beiden Händen, als wolle er ihn ausreißen, und ein ganzer Schauer von weißen Blüten ging nieder über ihn und den Weg. Laß meinen Baum nur stehen," sprach der Vater lächelnd. Käte sah: Paul konnte lachen? Also so ernst war's ihm doch nicht! Aber sie erregte sich nicht mehr, wie sie sich wohl früher hierüber erregt haben würde, es war ihr, als sei alleS in ihr kalt und tot. Sie hörte die beiden sprechen wie auS weiter, weiter Ferne, ganz schwach nur war der Stimmen Klang, und doch sprachen sie beide laut und auch lebhast. Die Unterhaltung war nicht ganz so freundschaftlich? wenn Schlieben dem Jungen auch nicht ernstlich zürnte, so hielt er es doch für seine Pflicht, ihm Vorhaltungen zu machen- Er schloß:Ekelhaft sind solche Saufereien!" Im stillen dachte er freilich:So schlimm wie Käte es macht, kann es un» möglich gewesen sein, man müßte doch sonst dem Jungen etwas anmerken!" Seine bräunlichen Wangen waren glatt und fest, so blank, so frisch gewaschen, seine nicht großen, aber durchj ihre dunkle Tiefe auffallenden Augen hatten heute sogar einen besonderen Glanz. Schlieben legte dem Sohne die Hand auf die Schulter: Also, wenn wir gute Freunde bleiben sollen, nie mehr so etwas. Wolfgang I" Sorglos zuckte dieser die Achseln:Ich weiß wirklich nicht, Papa, was ich verbrochen habe. Es ist mir alles etwas schleierhaft. Aber es soll nicht mehr vorkommen, gewiß nicht!" Und sie schüttelten sich die Hände. Nun rührte sich doch etwas in Käte: sie hätte aufspringen mögen, schreien:Glaub' ihm nicht, Paul, glaub' ihm nicht! Er wird sich doch wieder betrinken, ich traue ihm nicht! Ich kann ihm ja nicht trauen! Hättest Du ihn gesehen, wie ich ihn gesehen habe o, er war ja so gemein!" Und wie eine Vision tauchte plötzlich eine Bauernschänke vor ihr auf, eine Schäuke, die sie nie gesehen hatte rohe Kerle saßen um den Holztisch, die Ellenbogen aufgestemmt, pafften stinkenden Tabak von sich, tranken wüst, gröhlten wüst-- ab, saßen da nicht sein Vater, sein Großvater auch darunter, alle die, von denen er abstammte? Eine furchtbare Angst fiel über. sie her: das konnte ja nie, nie gut enden! Du bist so bleich, Käte," sagte Schlieben beim Abend» brot.  Du hast zu lange stillgesessen; es ist doch noch zu kaltj draußen!" Ist Dir nicht wohl, Mama?" fragte Wolfgang höflich, besorgt. Käte antwortete dem Sohn nicht, sie sah nur zu ihrem Manne hin und schüttelte verneinend, abwehrend den Kopf: Mir ist ganz wohl!" Da gaben sie sich zufrieden. Wolfgang mit gutem Appetit, mit besonders großem sogar: er war völlig ausgehungert. Es gab auch lauter gute Sachen, die er gern: warmes Hühnerfrikassee mit Kalbs» milch, Klößchen mit Krcbsschwänzen, und dann noch feinen Aufschnitt, Butter und Käse und junge Radieschen. Junge, trink nicht so fiel," sagte Schlieben, als Wolf» gang schon wieder nach der Weinflasche griff. Ich habe Durst," sagte der Sohn mit einem gewissen Trotz, schenkte sein Glas aufs neue voll bis an den Rand und goß es hinunter auf einen Zug. Das kommt vom Schwärmen!" Der Vater hob leicht drohend den Finger, lächelte aber dabei. Vom Saufen kommt's," dachte Käte, und der Ekel schüttelte sie wieder: sie hatte sonst, selbst in Gedanken, nie einen solchen Ausdruck gebraucht, nun dünkte ihr keiner stark« schroff, verächtlich genug. Es kam keine gemütliche Unterhaltung zustande, trotzdem das Zimmer so wohnlich war, der Tisch so reich besetzt« Blumen auf dem weißen Tuch, zierlich eingesteckt in eins kristallene Schale, und über dem allen mildes, gedämpftes! Licht unter einem grünseidenen Schirm. Käte war so ein« silbig, daß Paul bald nach der Zeitung griff, der Sohn der« stöhlen durch die Nase gähnte und endlich aufstand« AaA