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Kamp frakte fich hinterm Ohr, er schaute auf die hell­farbige Tischdecke und die leere Taffe herab. Seine Frau aber freute sich des hergestellten Friedens, fie lächelte wieder ver­gnügt und nickte den Kindern am Tischende zu.

Dann fielen ihr die Kartoffeln ein, die mußten bald aus­gemacht werden! Und sie fragte die Luis, wann Ferien seien.

" In acht Tagen!" riefen die Kinder im Verein, und triumphierend fügte das Minchen hinzu:" Und dann darf ich Bu der Großmutter auf de Haardt!"

Und darfst Kartoffeln ausmache helfen," sagte Frau Kamp.

Wenn Du auf der Haardt bist, komm ich Dich besuche," sagte die Emma zur Freundin.

Und wie sie sprach, fiel Frau Kamp auf, wie unendlich dünn und fein des Kindes Stimme klang, und heute wie so oft schon, verwunderte sie sich über seine seltsam leuchtenden, großen dunklen Augen.

Sie wandte sich zur Marie. Auf des müssen er arg acht habe," sagte sie und schüttelte den Kopf, und dann bat sie den Fremden, er möge doch was zum besten geben.

Was denn?" fragte der.

Ei, das ist all eins! Ich möcht nure noch e bissel was höre von da drobe, wo's kein Berg gibt und kein Wingert, und wo mer Brot ißt, noch schwärzer wie's Kumisbrot." So plauderte man, bis Frau Kamp auf die Uhr sah.

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Erschrocken fuhr sie auf. Du lieber Gott, schon sieben!" Sie verabschiedete sich, und mit ihr zugleich gingen die an­deren.

Joseph, Du bringst die Großmutter an die Bahn!" sagte die Marie zu ihrem Bruder, der ins Wirtshaus wollte. Der nickte und wartete unter der Türe, während die Alte ein paar Kuchenreste in ihr Körbchen packte.

Als alle draußen waren, ging Müting ein paarmal schweigend in der Stube auf und ab.

Die Marie hatte ihm den Johann abgenommen, um ihn ins Bett zu bringen. Der Kleine schrie und sträubte sich. Water. Vater," rief er. Müting machte eine Bewegung, ihn zu nehmen, aber: er muß sich an sie gewöhnen, dachte er dann und griff nach seinem Hute. Ich komm bald wieder!" fagte er zu seiner Frau und trat aus dem Haus.

Er ging auf den Kirchhof. Ich glaub, ich bin schön rein­gefalle! dachte er unterwegs.

Als er auf den Gottesacker trat, stand der Mond schon am Himmel; aber er leuchtete nicht; der Himmel war noch hell.

In der sinkenden Dämmerung wurden die Formen der Berge eins mit dem Dunst des Himmels. Die Kirchhofserde war dunkel und feucht. Schwarz und schweigend standen die 3ypressen.

Kein Lufthauch ging. Stille, tiefe Stille war über den Gräbern.

Und die Blumen blühten und dufteten. Langsam ging der Mann und dann stand er still an dem Hügel, darunter sein Weib ruhte. Ein weißes Holzkreuz trug ihren Namen, und neben dem Kreuz stand ein Rosenstrauch. Der blühte. Es waren rote Rosen, dunkelrote Rosen, und ihr Duft umspannte des Mannes Haupt wie mit Schleiern. Er neigte den Kopf. Tränen fielen auf seine Wangen. Mit dem Rockärmel wischte er sie ab, und dann bückte er sich nach einem Stein, der aus der Umfassung herausgebrochen war und setzte ihn wieder ein.

6.

Die Luis sette den Kohlenkasten auf den schöngewichsten Herd und die Stühle auf den Tisch, der noch feucht war vom Scheuern, dann tunkte sie den Schrubber in den Kübel mit Seifenlauge und begann den Boden zu puten.

Bleib drin!" rief sie dem kleinen Johann zu, der unter der Schlafstubentür erschien und mit seinen unbeholfenen Beinchen in die nasse Stube wackelte.

Bleib drin bei der Mutter und em Brüderche!" " Se schlafen all," klagte der Kleine. " Dann schlaf Du auch," riet die Luis. " Ich kann aber nit schlafe! Ich bin nit müd," Kleine hub zu weinen an.

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Da nahm die Luis das Schemelstühlchen vom Tisch, stellte es ins Schlafzimmer unter die offene Tür und setzte das Bübchen darauf. So, da kannst mir zugucke!" sagte fie, aber still sein, sonst wacht die Mutter auf!" Und sie schrubbte weiter.

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Ihre Wangen röteten sich und das schwere Haar, das sie in zwei Böpfen um den Kopf gelegt trug, fiel herab. Sie war

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so eifrig bei der Arbeit, daß sie nicht hörte, wie hinter ihr die Tür geöffnet wurde, und erschrocken ließ sie die Arme sinken, als sie Frau Kamp plößlich vor sich stehen sah. Die hatte dick verweinte Augen.

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Was is Euch denn?" fragte das Mädchen.

,, Es Paula stirbt!" sagte die Frau.

"

Es Paula! Du lieber Gott  !" Der Luis schossen die Tränen in die Augen, und sie faltete die Hände. Da rief die Marie aus der Schlafftube herüber: Was is? Wer stirbt?" Und im nächsten Augenblick stand auch schon Frau Kamp unter der Türe, sie bückte sich nach dem Johann, nahm ihn auf den Arm, rückte mit dem Fuß den Schemel, der ihr den Weg versperrte, zur Seite und trat zur Marie ans Bett. Wer stirbt?" fragte die noch einmal, sie hatte sich in ihren Kissen aufaerichtet.

"

Em Eckel sein Paula!" Frau Kamp wischte sich mit der Schürze über die Augen.

Jesses Maria und Joseph, das is doch nit möglich, das schön Kind!" sagte die Marie.

,, Das schön Kind!" bestätigte die Kamp.

,, Und sterbe, nee, nee, das kann nit sein!"

,, Wenn ich's Euch sag! Aber ich muß all wieder nauf zu em. Er is allein bei em mit de Kinner. Und es hat en so gepackt! Es is, als ob er nit mehr ganz recht wär! Mer kann en nit lang allein lasse, ich hab mich nure mal auskreische wolle, denn was das Kind für Zeug schwätt,' s geht eim durch und durch! Und sein ganzer Körper und sein Bäckelcher, das brennt alles wie Feuer!"

,, Von was schwäbt's denn all?" fragte die Marie mit neugierig glibernden Augen.

Ich weiß nimmer eso, aber bom Himmel und von der Höll, und das geht in einer Tour!" Die Marie schlug die Hände zusammen. und Joseph," sagte sie. ( Fortsetzung folgt.)

Nesses Maria

Hus Tolstois Leben.

( Schluß.)

Charakteristisch für den Knaben Leo Tolstoi   ist neben Zügen des Ungestüms und wiederum seelischer Weichheit vor allem die früh er­wachende Selbständigkeit des Denkens und damit verbunden die Lust, an seiner eigenen Berfon zu experimentieren. So sei ihm, sagt er in der wesentlich autobiographischen Stizze Kindheit", einmal ein­gefallen, daß das Glück nicht von äußeren Umständen, sondern viel­mehr von unserer Stellungnahme zu ihnen abhänge, daß ein Mann nicht unglücklich sein könne, der gewohnt sei, Leid zu tragen; und er selbst habe, um diesen Zustand zu erreichen, fich die nadten Schultern mit Striden zerschlagen. Dann wieder beschäftigte ihn der Gedanke des Todes und ließ jenen Stoizismus in eine drollig-findliche Epikuräerlogit umschlagen. Da man jeden Augenblick sterben kann, so muß man, schloß er, jeden ohne Sorge um die Zukunft nach Möglichkeit aus­tosten. Auf Grund dieser neuen Erkenntnis schwänzte er dann ein paar Tage lang die Schule und ergötzte sich in seinem Bett an einem Roman und einem Haufen mit dem letzten Taschengeld zusammen­weifel an der finnlichen Realität der Dinge, der sonst nur in der gekaufter Lebkuchen. Am merkwürdigsten aber erscheint es, daß der eigentlichen philosophischen Spekulation sein Wesen treibt, den Halb­wüchsigen bis zur Grenze des Wahnsinns peinigte: Es gab Augen­blicke, wo das Absurde dieser firen Idee einen solchen Grad in mir erreichte, daß ich mich oftmals rasch umdrehte, in der Hoffnung, dort wo ich nicht war, das Nichts zu überraschen."

Tolstoi   war zwölf Jahre, als die Familie 1836 das Stammgut Jasnaja Poljana  , das später bei der Erbteilung ihm zufiel und durch ihn eine Art Berühmtheit erlangt hat, verließ, um nach Moskau   zu ziehen. Dort sah er zum erstenmal mit vollem Bewußtsein den Tod, den er als Dichter so oft und so meisterhaft in den verschiedensten Formen schildern sollte. ihm den Water. Reiche Ver Ein Schlaganfall entriß wandte in Kasan   nahmen den verwaisten Knaben ins Haus. Das Milieu, in das Tolstoi so verpflanzt wurde, wie das, in dem er sich während seiner Universitätsjahre bewente, war gründlich torrumpiert und wirkte forrumpierend auf ihn selbst zurück. Immer wurden von ihm gute Vorsäge gegen das, was er seine drei Kardinal­fehler nennt, gegen die Eitelkeit, die Sinnlichkeit, die Spielwut ge­faßt und immer wieder gebrochen. Zeitweise scheint ihn sogar ein lächerlicher Aristokratendünkel gefaßt zu haben. Mit solchem Groll denkt er an diese und die anschließenden Abschnitte seines Lebens zurück, das ihn damals in besseren Stunden beseelte, schließlich, obwohl daß er auch in dem unbestimmten Streben nach Vollkommenheit", viele der Tagebuchblätter aufs deutlichste dagegen sprechen, mur einen Refler der Eitelkeit und des Hochmutes sehen will. Ich wünschte wohl besser zu sein... doch in den Augen der übrigen Menschen, und dies Gefühl führte bald zu einem anderen,- dem

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