Wunsche, mehr Macht zu besitzen als andere, mir einen größeren Anteil an Ruhm, sozialer Stellung und Reichtum zu sichern.* So etwa wie den Kirchenvätern die Tugenden der unoekehrten Heiden auch bloß als glänzende Laster galten! Nur die Zeit, die er nach Abschluß der Studien in der grandiosen Gebirgslandschaft des Kaukasus unter einfachen Naturmenschen verlebte, die Zeit, deren nachgeborene reifste Frucht die prachtvolle NovelleKosaken * ist, erscheint dem Greise in einem milderen der- söhnlichen Lichte. Rousseau , der mächtige Ankläger der Laster der Zivilisation, der Verkünder eines neuen Erziehungsideals und Ver- fasser derKonfessionen*, hat nach den verschiedensten Richtungen hin einen tiefgreifenden Einfluß auf Tolstoi ausgeübt; aber am stärksten klingen die Rousseaus Art verwandten Töne des Empfindungslebens in den Stimmungsbildern und Briefen vom Kaukasus an. Die Erzählung«Kosaken *, so sehr sie sich in der Charakterisierung von jeder rosafarbenen Idealisierung fernhält, ist durch und durch erfüllt von einem sehnsüchtigen, freilich der Unmöglichkeit sich klar bewußten Verlangen nach einer Rückkehr zur Natur. Er fühlt sich glücklich in dieser Existenz, in der Abenteuer und kriegerische Ge- fahren mit idyllischer Ruhe wechseln, und die majestätische Erhabenheit der Berge stimmt ihn zur Andacht. Hoffnung und Vertrauen, ein jugendlich schwärmender Glücks- und Tugendenthusiasmus,- der sich in den Briefen an die geliebte Tante bis zu tränenreicher Rousseauscher Empfindsamkeit steigert, drängen das alte lastende Gefühl der Zwecklosigkeit, den Hang zu Exzessen und das graue Zlend der Reue zurück. Hier entstand auch jene später bis zum Jünglingsalter* fortgeführte SkizzeKindheit*, seine erste schrist« stellerische Arbeit, die in dem damals bedeutendsten literarischen Journal, in NekrassowsZeitgenossen* abgedruckt, sofort die Auf- merlsamkcit weitester Kreise erregte. Nach Monaten der Ungebundcnheit trat er bei den russischen Truppen, die im Kaukasus den Kleinkrieg gegen die Bergvölker führten, in Dienst, wurde bei Beginn des Krimkrieges im'Frühling 1854 zur Donauarmee und dann zu der Sewastopol gegen den Ansturm der Franzosen verteidigenden Streitniacht kommandiert. Noch während des Feldzuges erschienen, freilich arg von der Zensur verstümmelt, seine berühmten Er- Zählungen ans der Belagerung von Sewastopol Bilder, die in der kaltblütigen anschaulichen Genauigkeit, mit der sie einzelne herausgegriffene Momente des furchbaren Ringens wiedergeben, stärker wirken, als e-Z irgend welche pathetisch schildernde Beredsamkeit vermöchte. Von einer gegen die verbrecherische russische Regierung, die Urheberin der Masscnschlächtereien sich wendenden Tendenz ist in der Darstellung noch nichis zu spüren, wie denn überhaupt eine politisch oppositionelle Richtung in keinem der in diesem Bande mit- geteilten Tolstoi-Dokumente hervortritt. In seinen Briefen aus der Krimzeit dominiert die enthusiastische Bewunderung für den Todes- mut der russischen Soldaten, und während er in seinem Tagebuch von einergroßen erstaunlichen Idee*, von derGründung einer neuen", die Lehre Jesu vom Dogma und Mystizismus reinigenden praktischen Religion* schwärmt,die nicht künftiges Glück ver- heißt, sondern Glück auf Erden schenkt*, nimmt er gleichzeitig auch wie! er ganz naivGottes Willen " für das erhoffte Schlachtenglück der Russen in Anspruch. Schon vor Beendigung des Krieges als Kurier nach Petersburg gesandt, schloß er sich dort dem Kreise jüngerer Schriftsteller an, der sich um den bereits genanntenZeitgenossen*, das Organ der sog.Anhänger des Westens* gruppierte. Das Journal war die ge- meinsame Tribüne für die Schar d�r neuen in der zweiten Hälfte der vierziger und Anfang der fünfziger Jahre auftretenden Talente, für die Herzen, Turgenjew , Gontscharow , Dostojewski,.Tscherni- schewski, um nur die bekanntesten Namen zu nennen; Kritiker wie Bjelinski und Dolbrojubow wirkten an der Zeitschrift mit. Es ist schade, daß man durch Burikow so wenig genaues über die Stellung erfährt, die Tolstoi zu den vomZeitgenossen* pro- pagicrtcn liberalen Ideen einnahm; speziell auch darüber, ob dem scharfen persönlichen Gegensatze zwischen Turgenicw und Tolstoi, der durch Tolstois Schuld zu den unerquicklichsten Reibereien führte es kam so weit, daß der spätere Friedensapostel Turgenicw eine Duellforderung zusandte! ein prinzipieller Gegensatz der Anschauungen zugrunde lag. Nach einigen Aeußerungen Tur- geniews der ein überzeugterAnhänger des Westens" war und bei der enthusiastischen Anerkennung, die er dem künstlerischen Genie Tolstois immer bezeugt hat, ganz gewiß nicht mit böswilliger Vor- eingcnommenhcit dem Menschen Tolstoi gegenüber getreten ist, scheint es, als habe sich dieser in seinem Widerspruchsgeist damals als eine Art von junkerlich reaktionärem Slawophilen aufgespielt. Später trat eine Versöhnung ein, und von seinem Sterbe- lagcr aus hat Turgenicw in einem rührenden Schreiben den jüngc- ren Freund beschworen, zu dem, wofür ihn die Natur bestimmt habe, zur Poesie zurückzukehren, ihn alsden großen Dichter des Russenlandcs" apostrophiert. Hebet Charakter und Geist der da- mals führenden literarischen Kreise, deren Mitglieder zum erheb- lichen Teil der reichen Aristokratie angehörten, hat Tolstoi nachJahre» sehr bitter geurteilt. Man habe sich da an der Vorstellung eines allgemeinenFortschrittes", deren treibende Kräfte die Denker und vor allem die Dichter seien, berauscht. Aber weder er noch die anderen, in lockerem und verschwenderischem Leben mit einander wetteifernd, hätten gewußt, was sie denn eigentlich lehren wollten. Die meisten, die in dieser Richtung schwammen, seienwertlose und unbedeutende Individuen* gewesen,tief unter dem mors» tischen Niveau der Menschen", mit denen er während seines aus- schweifenden Lebens und seiner militärischen Laufbahn verkehrt habe, und dennoch begabt mit ungeheurem Selbstbewußtsein. Eine Reise nach der Schweiz ließ etwas von den Kaukasus - stimmungcn neu in ihm auferstehen. Die NovelleLuzern * und die Drei Tode* stellen kontrastierend Zerrbilder einer verweichlichten, herz- und gedankenlosen Zivilisation der stillen Größe der Natur und dem Werte schlichter, der Natur noch nicht entfremdeter Menschenseelen gegenüber. Seine Wünsche, den Bauern auf Jas- naja Poljana menschlich näher zu treten, ihnen zu helfen, er- hielten in der SkizzeDer Morgen eines Gutsherrn* ihren ersten literarischen Ausdruck. In dem Jahre 1860, da in Rußland endlich die Vor» bereitungcn zur Aufhebung der Leibeigenschaft getroffen wurden, besucht Tolstoi die westlichen Länder, um sich über die verschiedenen Systeme des Volksschulunterrichtes dort zu orientieren. Er plant eine eigene Schulgründung auf seinem Gute. Doch keine der be- stehenden Einrichtungen findet seinen Beifall. Zurückgekehrt geht er ans Werk und übernimmt zugleich das Amt eines Friedens- richters, aus dem ihn aber der Haß der Grundbesitzer wegen seiner volksfreundlichen Schiedssprüche bald wieder verdrängt. Seinen pädagogischen Reformideen haftet wie allen seinen übrigen ein Zug ins Phantastische an; er möchte den Schülern wie den Eltern gegenüber jede Art von Zwang ausschließen und polemisiert aus diesem Grunde in merkwürdiger Verblendung gegen das Prinzip der obligatorischen Volksschule, wenigstens was Rußland anbelangt. Aber in der Praxis scheint, dank dem Zauber, den seine Persönlichkeit auf die Kinder ausübte, und. der verständnisvollen Art, wie ihn jüngere Lehrkräfte unterstützten, sein Unternehmen überaus fruchtbar und anregend gewirkt zu haben. In den Schilderungen, die er in jenen ersten Versuchen entwirft, spiegelt sich seine Begeisterung, die reinste Freude an der kindlichen Natur wieder. Wundervoll ist die Erzählung, wie er in einer Aufsatz- stunde die mitschaffcnde poetische Phantasie der Kinder durch den Anfang eines Märchens loeckte und mit welchem Eifer, welchem Gefühl für das volksmätzig Charakteristische dann die urwüchsig frische Einbildungskraft der Kleinen weiter arbeitete. Der Lehrende wird zum Bewunderer.Nur zwei- oder dreimal in meinem Leben", resümiert er seinen Eindruck,habe ich so starke Erschütterungen empfunden, wie an jenem Abende, und ich war lange Zeit hindurch unfähig, mir selbst Rechenschaft darüber ab» zulegen. Ich empfand, daß ich wie durch eine Glasglocke der Arbeit der Bienen, die dem Blicke der Sterblichen verborgen ist, zugeschaut... und war so glücklich, wie ein Mensch glücklich sein muß, der das erblickt, was vor ihm noch keiner sah." Charakte- ristisch ist es, daß die Schule von den erbosten Standesgcnossen des Gründers alsbald als Hort revolutionärer Umtriebe denun» ziert wurde und daß die Regierung sich beeilte, dem Wink mit einer brutalen, natürlich resultatlos verlaufenden Haussuchung nach». zukommen. Doch Tolstoi fand auch bei diesem Werke auf die Dauer nicht Be» friedigung. Die alte Unrast ergriff ihn von neuem und quälte ihn mit dem Gedanken, daß er lehre und doch im Grunde nicht wisse, was und wie er lehren solle!Es kam so weit, daß ich er- krankte, mehr an geistigem denn an körperlichem Leiden. Ich gab alles auf, fuhr in die Steppen, um frische Luft zu atmen, Stuten- milch zu trinken und ein rein animalisches Leben zu führen. Kurz nach meiner Rückkehr verheiratete ich mich", berichtet er lakonisch in denBekenntnissen*. Das Mädchen, um das er warb, war die Tochter eines Moskauer Arztes deutscher Herkunft. Tolstoi hielt eS für feine Pflicht, der Verlobten feine Tagebücher mit der Beichte all seiner schweren Verfehlungen zu übergeben. Sie sollte frei entscheiden, ob sie ihn noch lieben könne, nachdem sie ihn, wie er in Wahrheit war, gesehen. Der Schlag traf sie schwer, doch das Vertrauen in den Geliebten siegte. An der Schwelle dieser glücklichen Ehe bricht der erste Band der Burikowschen Sammlung ab. Der folgende soll von der ersten Hälfte der Ehezeit, der Periode bürgerlich moralischer Korrekt heit und doch im Grunde rein egoistischer Familiensorgen, wie Tolstoi sie nennt, der dritte soll von dem Lebensabend, Tolstoisch gesprochen: von der Zeitder Auferstehung*, handeln. Conrad Schmidt . Kleines feuUleton* gc. Indianer als Botaniker. Nach Walther HoughThe Amcri- can Anthropologist" ist jeder Mokiindianer ein Botaniker. Nicht ein Botaniker im wissenschaftlichen Sinne, sondern mehr ein Praktiker, der den Pflanzen, die ihm bekannt waren, beschreibende Namen ge- geben hat, lange bevor Linne ihnen lateinische Namen zuteilte. ES gibt fast keine Pflanze seiner Umgebung, die er nicht zu etwas benutzte und der er nicht einen Namen gegeben hätte. Ein Teil der Kindercrziehung besteht darin, sie mit dem Gebrauch der einzelnen Pflanzen bekannt zu machen, und zwar beginnt der Unterricht schon sehr früh. Selbst kleine Kinder können gewöhnlich den Namen der Pflanzen angeben. Der Gebrauch von Pflanzen zur Nahrung, Feue- rung, zum Hausbau, zur 5torbflechterei und anderen praktischen Zwecken ist aber für den Moki von nicht so großer Wichtigkeit wie der für medizinische und religiöse Zwecke. Der Besitz einer seltenen