Btib Kaken aus den HWen hervor, ütemhaltend beugte sie sich Uber das Mädchen herab. Das lag reglos, auch seine Fingerchen ruhten ohne Be- lvcgung aus der Bettdecke. Der Mann ließ die Arme sinken, das Blut wich aus seinem Gesicht. Er zog die Schultern ein und reckte den Hals. Seine Knie zitterten, seine Hände krampsten sich in die Hosen. Die Marie taumelte einen Schritt rückwärts und lehnte am Bettpfosten. Mit entsetzten Gesichtern hockten die beiden kleinen Mädchen im Winkel. Die Emma hatte die Hände gefaltet, ihre Finger zitterten. Der Peter stand, ohne sich zu rühren, mit weitgeöffnetem Munde. Draußen ging die Sonne unter. Sie schwebte wie ein feuriger Ball über weißem Duft und Nebel. Ihr roter Wider- schein lag auf dem Fußboden, seltsam groß und ohne Re- gung. Da plötzlich ein wilder Schrei! Ter Peter warf sich auf die Erde, mitten hinein in den roten Widerschein der Abend- sonne. „Sie is tot! Sie is tot!" Und er bohrte sich die Fäuste in die Augen. Wie elektrisiert war bei dem ersten Schrei die Emnm auf- gesprungen, ihre dunklen Augen leuchteten im totenbleichen Gesicht. „Tot?" flüsterte sie, ihr dünnes Stimmchen zitterte, ihre Hände zitterten und ihre Füßchen.„En Engelche is se?" Da wandte sich Frau Kainp um, sie hatte den Finger vor dem Munde. „Still, still, sie lebt noch," flüsterte sie. Kurz und lautlos atmete die kleine Paula. „Ach je, ach je," jammerte jetzt auch der Mann. Er taumelte auf seinen Stuhl zurück. Aus allen Poren brach ihm der Schweiß. Da klopfte es. Die Frauen wandten sich nach der Tür. „Ach Gott , der Herr Doktor!" Wie ein Erlösungsschrei kam es über Frau Kramps Lippen. Der Arzt legte den Hut auf den Stuhl neben der Türe und trat ans Bett. „Nun?" Frau Kamp zeigte auf das Kind, und ein Hauch von Er» regung flog über des Mannes Gesicht. Er griff nach des Kindes Puls. „Höchste Zeit," sagte er, fuhr in die Rocktasche und zog ein Etui hervor, dem er eine Spritze, eine Nadel und ein kleines Fläschchen entnahm. „Halten Sic!" Er reichte dem Eckel das geöffnete Glas. „Ein wenig schräg und hier ans Fenster!" Er füllte die Spritze. „Geben Sie ihr ein Löffelchen Tokayer, Frau Kamp," sagte er dabei und aufschauend, er wollte sehen, ob das Kind noch schluckte:„Noch einen!" „Gut," sagte er zu dem Mann, reichte ihm den Korken und schraubte die Nadel an die Spritze. Mit einem Stückchen ötherbeträufelter Watte rieb er an des Kindes welken Aermchen eine Stelle ab. Ein Stich. Ein Zucken des Kindes, ein matter Schrei, und befriedigt richtete sich der Arzt auf. „Wie geht's denn?" fragte der Mann. In seine starren Augen war wieder Leben gekommen. Der Doktor fuhr über des Kindes Haar, und ein Lächeln ging über sein Gesicht. „Feucht!" sagte er und atmete auf. Dann zählte er:„9, 19, 11, 12, 13. Stimmt! Stimmt!" Ein freudiger Strahl brach aus seinen Augen. Er hob des Mädchens Kopf ein wenig auf, das Kissen war vom Schweiß durchfeuchtet. Er brach aus den Poren am Hals. „Also Krisis!" Und der Arzt sah zum Eckel hinüber.„Ihr Kind ist gerettet!" sagte er. „Gerettet!" Frau Kamp brach in Tränen aus. Der Mann schluchzte laut ans. Die Marie taumelte einen Schritt rückwärts, sie mußte mit den Armen den Bettpfosten umklammern.„Gerettet!" (Jortsetzung folgt, x (Nachdruck verboten.) Der weiße Maulwurf. Von Lisa Wenger -Ruutz. Unter den Maulwürfen herrschte große Aufregung. Sie standen in Sckiarcn beisammen und wisperten. „Wer hat ihn gesehen?" frug der Aelteste der Maulwürfe. «Ich, ich. ich," schrien viele durcheinander. „Ist er wirklich weiß?" frug der Aelteste. „Schneeweiß, auch nicht ein schwarzes Härchen ist an ihm," rief eine junge Maulwurfsfrau. Der Haufe schwieg bestürzt. „Wohin wird es noch kommen?" sagte der Aelteste mit hohler Stimnie,„wenn sogar die Maulwürfe es wagen, allem Hergebrachten ins Gesicht zu schlagen I" „Vielleicht ist er nur gefärbt!" rief einer. „Nein," sagte die junge Maulwurfsstau,„er ist echt l Die Haut unter dem Pelz ist ganz rosenrot!" „Du hast Dir den Weißen genau angesehen," warf höhnisch einer der Maulwürfe ein. „Das habe ich! So gut ich mit meinen Schlitzäuglein sehen konnte I" Die andenr stutzten. „Ich wäre dafür, den Weißen aus unfern Feldern zu verjagen," schlug einer vor. Es war ein gewöhnlicher Maulwurf mit grauem, kurzem Schwanz.„Wie leicht könnte er unserer Jugend solche Un» sitten beibringen! Ich habe auch gehört, daß er aufrührerische Reden hält I" „Allfrührcrische Reden?" rief der Aelteste,„das ist das Schlimmste! Nur nichts Neues I Nur keine Veränderungen I Nur keine Versuche, die doch fehlschlagen! Ich kenne die Welt! Ich lebe lange genug in ihr! Wer sind die wahrhast Glücklichen und Weisen?" Der Aelteste neigte die spitze Schnauze und kniff die winzigen Aeuglein zusammen.„Die, die Erfahrungen von Generationen be- nutzen und die leichtsinnigen Neuerungen verabscheuen! Fort mit dem weißen Maulwurf!" „Fort mit dem weißen Maulwurf I" schrien alle. Nur die Maul« wurfssrarr schrie nicht mit. „Er hat größere Augen als alle unsere Maulwürfe," sagte sie zu ihrer Nachbarin,„er kann einen damit ansehen, und sie glänzen I" „Das kann ich mir gar nicht vorstellen", erwiderte die Maul- wurfin. Da kam hastig ein junger Maulwurf daher. „Wißt Ihr, was der weiße Maulwurf sagt?" rief er schon von weitem. „Was?" schrien die andern und umringten ihn. „Er sagt, wir sollten größere Augen haben I Ich habe es selbst gehört I" „Größere Augen." riefen empört die Zuhörer,„wozu?" „Er sagt, wir sollten bester sehen können!" „Besser sehen! Was denn," riefen wieder die Umstehenden, „Was will denn der Kerl?" „Er sagt, wir sollten lernen, auch außerhalb unserer Gänge Schönes zu sehen!" «Außer unseren Gängen", schrie die Menge,„was gibt es denn da zu sehen?" «Er ist verrückt", sagte halt der Grauschwänzige. „Er ist ein Aufrühker, em Revolutionär!" schrien viele. „Er ist einfach ein Esel", erklärte der Aelteste.„Bester sehen lernen! Haben Maulwürfe je gut sehen können? Und dann: Gibt es außerhalb unserer Gänge überhaupt Schönes? Ein Esel ist er, oder ein Idealist, das kommt auf eins heraus!" Da wurde es hell hinten im Gang. Der Weiße Maulwurf kam. „Da ist er, da kommt er," wisperte es. Die Schlitzäuglein öffneten sich, die kurzen Hälse streckten sich, die grauen und bräun- lichen Schwanzstummel fuhren aufgeregt hin und her. Aber alle schwiegen, auch der Aelteste. Da frug der weiße Maulwurf: „Warum soll ich fort? Habe ich Euch etwas zu Leide getan." „Nein", sagte der Grauschwänzige,„aber Du bist weiß und wir sind schwarz!" „Du willst neue Bräuche einführen!" rief der Aelteste. „Du sagst, wir verstünden nicht zu sehen." schrien die anderen. „Und das ist wahr," bestätigte ruhig der weiße Maulwurf. „Ihr seht nur, was Ihr sehen wollt, und es gibt so vieles, daß ihr sehen könntet!" „Wir brauchen nichts zu sehen," schrien die Maulwürfe. „Wir wissen alles auswendig," rief einer. „Uns gefällt das Schöne gar nicht," pipste ein anderer. „Versucht es doch einmal," bat der Weiße.„Ihr werdet sehen, es gefällt Euch dann I" Und feurig fuhr er fort:„Wenn es für Euch zu spät ist, so laßt mich ivenigstens Eure Kinder hinausführen I Laßt" sie einmal hinauf auf die Erde und zeigt ihnen den Glanz des Mondes und das flimmernde Licht der Sterne." „Verführer! Jugendverderber!" schrie wütend der Aelteste,„nun erkenne ich Dich! Zwietracht willst Du säen zwischen uns und der Jugend! Unzufriedenheit willst Du pflanzen! Hochamt willst Du züchten! Wir, die Alten, sollen uns schämen müssen vor der Jugend mit unseren kleinen Auge»! Ich kenne Dich und Deines- gleichen I Jawohl I Mond und Stcnie! Die hätten wir längst ge- lehen, wäre es gut für Maulwürfe I Fort I Hinaus mit Dir aus unseren Gängen!"
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23 (21.7.1906) 139
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