Anterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 176.
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Mittwoch, den 12. September.
( Nachdruck verboten.)
Die Sandinger Gemeinde.
Novelle von Henrik Pontoppidan . Autorisierte Uebersetzung aus dem Dänischen von Mathilde Mann . Als Kasper acht Tage darauf wiederkam, öffnete sie ihn abermals und schien ganz erfreut über das Wiedersehen zu sein. Auch dieses Mal blieben sie allein im Wohnzimmer, wo die Uhr stand, und es entspann sich eine längere Unterhaltung. Ganz von selber erzählte sie ihm, daß sie aus einem Dorfe sei, das Sandinge hieß, und daß sie zu Frau Gylling gekommen sei, um Schneidern zu lernen. Sie sei schrecklich gerne hier, alle Menschen seien so gut gegen sie; aber sie habe ja nicht viele Bekannte, mit denen sie ein wenig plaudern könne, sagte sie.
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" Ich stehe in der Beziehung stets zur Verfügung," sagte der kleine Mann höflich und betrachtete ihre jugendfrische Gestalt mit einer verliebten Glut in seinem großen, braunen Auge.
Beim Abschied erlaubte er sich, ihr die Hand zu drücken, sogar sehr warm. Sie sagte wieder Danke" und" Adieu", als sie die Tür schloß. Worauf er von dannen ging, das Herz von den süßesten, stolzesten Hoffnungen geschwellt.
Aber als er das dritte Mal wiederkam, war ihr Wesen ihm gegenüber sichtlich verändert. Sie sah ihn faum an, ja warf sogar den Kopf ein klein wenig in den Nacken. Er bemerkte auch, daß sie höhere Absätze unter den Schuhen hatte, so daß sie sich weich in den Hüften wiegte, wenn sie ging.
Als Frau Gylling in das Zimmer fam, veränderte sich ihr Wesen abermals. Mit fast demütigen Gebärden lief sie hinaus, nahm ihr den Mantel ab, und Kasper Rapper dachte sich sein Teil dabei und hustete spöttisch hinter der vor gehaltenen Hand.
Es vergingen nun mehrere Wochen, während welchen die immer offener zur Schau getragene Kälte und Ueberlegenheit des jungen Mädchens wie Zugwind auf den Liebesbrand in der Brust des kleinen Mannes wirkte. Eines Tages, als er ein wenig später als gewöhnlich seinen Rundgang angetreten hatte, war es fast dunkel geworden, ehe er bis zu Frau Gylling gelangte. Mit fieberpochendem Herzen schellte er, und an den schnellen Schritten über den Vorplaz konnte er sogleich hören, daß sie es wieder war, die ihm öffnete.
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Ihre dunklen Augen strahlten, der Busen wogte aber als sie ihn erblickte, fuhr sie mit einem Ruck zurück und es lief ein Zucken über ihr Gesicht, als habe sie auf eine Kröte getreten.
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Dann wandte sie ihm den Rücken, ohne auch nur Guten Tag" zu sagen, und ging vor ihm ins Zimmer hinein. Als Kasper Kapper gleich darauf die Treppe hinabging, begegnete er Frau Gyllings Sohn, Kandidat Knud, der herauffam, und er verstand, daß er hier die Erklärung zu dem Benehmen des jungen Mädchens gegen ihn zu suchen habe.
Die Sache ist nicht geheuer, dachte er und blieb auf dem untersten Treppenabsatz stehen, um zu lauschen.
" Danke Boel!" hörte er den jungen Mann mit warmer Stimme sagen, als sich die Tür da oben auftat. Immer munter und vergnügt?" ,, Ja, ich danke, Herr Kandidat," das war die Stimme des jungen Mädchens.
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Die Tür da oben schloß sich wieder. Kasper Kapper ballte die Hände. Der Ausdruck in seinem bartlosen Gesicht mit dem großen, bläulichen Kinn wurde finster und schielend. Auf den also hatte sie gewartet!
Der kleine Kasper Kapper war eine rachsüchtige Natur. Er bewahrte in seinem gefühlvollen Herzen jede Demütigung auf, die er erleiden mußte.
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Ei, ei! so ein Paar junge Turteltauben! dachte er und lächelte boshaft.- Wenn man denen mal den Hals umdrehen
könnte!
6.
1906
und Büsche waren an jedem Morgen wie überzuckert. Auch die Strohdächer mit den samtgrünen Moosklecksen wurden oft weiß; und das Rohr der Pumpe fing an, einen Bart zu bekommen.
Es war im übrigen ein ungewöhnlich milder und stiller Herbst gewesen. Bis in den Dezember hinein hatte Tag für Tag ein dichter Nebel über der Gegend gelagert. Die Leute waren schließlich beinahe ungeduldig geworden, weil sie nicht gern mit der Weihnachtsschlächterei anfangen wollten, ehe Frost in die Luft gekommen war. In den Schuppen hatten Schweine und Gänse gelegen und vor Fett gejappt; aber wie oft auch das Barometer in die Höhe sprang, und obwohl der Kalender der doch von der Universität selber bestätigt war- Kälte und Schnee prophezeite, blieb das Wetter unveränderlich dasselbe, schwer und nebelig. Tag und Nacht lag das Dorf in einen fetten, grauen Dampf gehüllt, der sich zuweilen in einen feinen Regenstaub auflöste und alle Strohdächer und alle Hausfrauen weinen machte.
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Endlich geschah es, daß alte Leute, die da saßen und acht auf ihr Reißen" und ihre Sicht" gaben, ein leises Biehen" zu spüren begannen. Es ging wie eine frohe Botschaft durch das Dorf, als es lautbar wurde, daß der Invalide Ole daheim saß und über Schmerzen in dem Bein klagte, das vor vielen Jahren drüben bei Devre- Stolf begraben war. In der Nacht stellte sich denn auch starkes Glatteis ein. Als man am Morgen erwachte, beschien die Sonne ein kandiertes Dorf. Ueber Häusern und Bäumen lag eine feste Glasur,- bis in die feinsten Spizen der Zweige, die bei dem leisesten Windhauch raschelten.
Und nun begann überall ein Messerschleifen und Holzbretterscheuern und Salztonnenschrubben, daß es nur so eine Art hatte. Aus den Türen aller Braustuben quoll ein Dampf von fochendheißem Wasser, und drinnen im Dampf bewegten sich wie Schatten Frauen und Mädchen mit hochgeschürzten Röcken, während alte Mütterchen, die beim Federpflücken helfen sollten, aus und einliefen, die Köpfe in große Tücher gebunden.
Vom Morgen bis zum Abend hörte man verzweifeltes Schweinegequieffe und Kälbergebrüll, vermischt mit dem spottenden Schwanengesang der Gänse: Gad- Gack- Gack. Es war ein schreckliches Morden. Das ganze Dorf roch nach Galle . Ströme von Blut flossen über das Pflaster der Torwege, in denen die toten Körper mit aufgeschlistem Bauch aufgehängt waren, um die Leibeswärme von sich zu geben..
Und dann war es des Nachmittags an einem Tage kurz vor Weihnachten . Vom Himmel fielen große, dichte Schneeflocken langsam durch die stille Luft herab. Es war niemand auf der Straße außer ein paar kleinen Jungen, die frierend auf einer steinernen Treppe saßen. Ihre Wangen waren blaurot, und die Nasen hatten das Puzen groß nötig. Aber sie saßen schicksalsergeben da, die Hände in den Taschen, und ließen das Gesez der Schwerkraft zwischen Nase und Mund wirken. An dem einen Ende des Dorfes sangen die Freischulfinder aus Leibeskräften. Aus einer vereinzelten Scheune drang bedächtiger Dreschflegelschlag.
Plöglich ertönte ein dumpfer Schuß, begleitet von einem schwachen Erdbeben. Die Minenarbeiter oben bei der Eisenbahnanlage sprengten die gefrorene Erde mit Pulver. Man war jetzt mit der großen Durchgrabung soweit gelangt, daß man zuweilen schon die Pfeife des Ingenieurs unten im Dorf hören konnte.
Rings umher in den Küchen waren die Frauensleute noch immer eifrig beschäftigt mit den Vorbereitungen zum Fest. Das Weihnachtsschwein war geschlachtet, und in den größeren Gehöften wurde auch Weihnachtsbier gebraut, das man zum Abkühlen in Kübeln und Eimern vor die Küchentür fegte. Die Magd stand schweißtriefend in der Brauſtube und schrubbte Därme mit einem Strohwisch, und unten im Salzfeller tummelten sich Häuslerfrauen mit Specseiten und ellenlangen Würsten. An anderen Stellen war man mit Backen, Kaffeebrennen und Ausbraten von Fettgrieben beschäftigt, was des starken Geruches wegen in der Regel gleichzeitig ausgeführt wurde,
Ueber die Sandinger Wiesen hatte der Winter seine weißen Abzeichen gezogen. Das Meer war, in die tiefen Es war eine fürchterliche Menge Essen . Und doch hieß es Gräben gestiegen und lag über dem grünen Grund der Wiesen beständig, es sei noch gar nichts gegen das, was zu Zeiten der wie ein blanker Spiegel, der im Nachtfrost erstarrte. Bäume alten Sandinger Bauern perzehrt war, als man einen