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zwanzigliespfündigen Borg*) einfalzte und ihn als Weih- Heckenrosen bewachsenen Feldscheide entlang lief, gewahrte nachtsabendbrot" bezeichnete. Es gab Leute, die förmlich man durch den Schneeschleier eine Schar von Männern, die etwas darin suchten und sagten, man dürfe nicht zu viel aus langsam abwärts gingen, etwas Schweres zwischen sich so etwas machen, denn das wisse man ja, daß man auch ohne tragend.

Prassen und Saufen ein fröhliches Weihnachtsfest feiern Bald waren überall im Dorf die Leute auf den Beinen. fönne. Hatte man aber so in den meisten Häusern in bezug Entsette Gesichter zeigten sich in Türen und Torwegen. auf Schweinefleisch und Bier mit der Ueberlieferung ge- Rufen und Jammer ertönte überall. In den Braustuben brochen, so spielte dafür das Kuchenbacken eine größere Rolle warfen die darmschrubbenden Mädchen die blutigen Schürzen als zu den Zeiten der alten Sandinger. An Süßigkeiten ab und stürzten auf die Straße hinaus. Selbst Freischul­wurde überhaupt nicht gespart im Haushalt, ebensowenig wie lehrer Povelsen erhob seinen schwerbelasteten Hintern von an der Unterhaltung. Man machte Torten und Vanille- dem Sofa und streckte sich zum Fenster hin, um zu sehen, was fringel und Spriggebackenes und namentlich eine Art leckerer denn eigentlich los sei. Das ganze Dorf war in Bewegung, Sahnenkuchen, die Schmaßküsse" hießen, und die Freischul- als die kleine Schar von Männern langsam die Dorfgasse lehrer Povelsen im Kirchspiel eingeführt hatte. durchschritt.

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( Fortsetzung folgt.)

( Nachdruck verboten.)

Der Zug der Vögel.

Dieser fromme Mann lag, die Hand unter der Wange, auf dem Sofa in seiner Stube, die gewöhnliche zwei Ellen lange Pfeife im Munde, in eine Tabakswolke gehüllt, auf der er wie ein Engel auf alten Altarbildern zu schweben schien. Er war vertieft in die Lektüre der zuleßt erschienenen Nummer des Christlichen Sonntagsblattes für Erweckung, Neuig- Jahraus, jahrein wiederholt sich vor unseren Augen der Zug feiten, Nüchternheit und Hühnerzucht", ein sehr verbreitetes der Vögel; aber nur wenig von ihm sehen die allermeisten Menschen. volkstümliches Organ, an dem er selber als pädagogischer Wer jedoch das Glück hat, an einer Wanderstraße der Zugvögel zu Mitarbeiter wirkte. Er hatte gerade einen längeren Artikel stehen, an einer ihrer Raststellen zu wohnen, dem bieten sich Bilder über Die Kinderschule und ihre fünftige Entwickelung" bon überwältigender Wirkung, dem erst wird offenbar, was der darin, und namentlich dieser Artikel fesselte seine Aufmerk- Bunkte; dort gibt es im Herbst Tage, an denen Schwärme auf Zug der Vögel bedeutet. Helgoland ist einer solcher bevorzugten samkeit und mußte immer wieder von neuem gelesen werden, Schwärme einfallen, so daß die ganze Insel dicht mit Vögeln be­denn mit jedem Mal entdeckte er neue und bemerkenswerte setzt ist; in den Gärten und auf den Feldern, auf Dünen und Wahrheiten darin, wirkliche Goldförner, wahre prophetische slippen siken sie und flattern zu Tausenden und Abertausenden, Zukunftsbilder, denen er während des Ausarbeitens eigentlich Laubvögel und Rötlinge, Wiesen- und Steinschmäher, Blaufehlchen feine weitere Beachtung geschenkt hatte, und die ihm also in und Grasmücken und wie sie sonst heißen. Gewaltiger noch ist der einer Art göttlicher Inspiration aus der Feder geflossen sein Bug in den Nächten. Vom Himmel her schallt und hallt ein Gewirr mußten. Aber so ging es ihm so häufig. von Vogelstimmen, und im Lichte der Leuchtfeuer erkennt man die rastlos wirbelnden, eilenden Scharen, Lerchen und Stare, Droffeln und Abertausenden kann man da reden, Millionen, Milliarden be­und Regenpfeifer, Kibitze und Strandläufer; nicht von Tausenden schwingter Gesellen stürmen da vorwärts, dauert doch mitunter ein Wanderzug einer einzigen Vogelart zwei und drei Nächte hintereinander, hat sich doch einmal die Front einer Schar von Goldhähnchen, die von Nord nach Süd eilten, von der Ostküste Englands bis zu den Faröerinseln erstrect.

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In der nebenan gelegenen Schulstube brüllten die Kinder im Chor, so wie sie es die ganze legte Stunde getan hatten. Jedesmal, wenn ein Gesang beendet war, hörte man Frau Marens sanfte Stimme sagen: Na, liebe Kinder, jetzt müssen wir wohl an die Tafeln gehen!"- Aber dann baten die Kinder wie aus einem Munde so flehentlich, noch ein bißchen singen zu dürfen, was ihnen auch gewährt wurde, ob­wohl sie schon alle Weihnachtslieder durchgesungen hatten und jetzt schon ein gutes Stück in die Osterlieder hineingekommen

.waren.

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Bovelsen hörte nichts. Er hatte das Blatt auf den Schoß sinken lassen und dachte mit bewegtem und demütigem Sinn, wie wunderbar es doch sei mit diesen Gnadengaben des Geistes, die einem so ganz im Verborgenen geschenkt wurden, ohne daß man das geringste davon ahnte. Aber jetzt ver­ftummte der Gesang da drinnen abermals, die Tür wurde vorsichtig ein klein wenig geöffnet, und durch die Nike gudte das bebrillte Gesicht seiner Frau.

Störe ich?" fragte sie ängstlich. Ich wollte bloß fagen, daß wir jetzt mit dem Rechnen fertig sind." Povelsen, der sie mit seinem sanften, geistesabwesenden, himmelfahrenden Lächeln angesehen hatte, strich sich mit der Hand über die Stirn, wie um sich zu besinnen und fehrte wieder zu dem Irdischen zurück.

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" sa, jetzt will ich, jetzt will ich gleich kommen, liebe Maren! Aber sag' mir doch wie ist es?- Haben wir den Kindern das Weihnachtsevangelium schon vorgelesen?" " Ja, das habe ich getan." " Ja, das ist wahr, das haben wir getan. Ja, ja, nun fomme ich gleich, Maren. Uebrigens, fönntest Du nicht noch ein wenig mit ihnen singen? Das macht ihnen so viel Freude. Und es macht das Herz so wunderbar frisch! Singe ein paar Lieder mit ihnen, mein Kind, dann bin ich gleich

Draußen fiel der Schnee noch immer dicht und langsam durch die stille Luft herab. Die beiden kleinen Jungen, die vorhin auf der steinernen Treppe gesessen und gefroren hatten, waren jegt aufgestanden und hatten angefangen, auf der Straße zu spielen, entzückt über die großen Schneeflocken, die fie im Fallen auf den ausgestreckten Händen aufzufangen be­müht waren.

Plötzlich blieb der eine stehen und starrte, Mund und Augen vor Verwunderung weit aufgerissen, nach den Hügeln hinüber, während ein angefangener Schneeball seinen Händen entglitt. Auch der andere machte jetzt große Augen und drängte sich ängstlich an den Kameraden heran.

Drüben an dem Hügelabhang, wo ein Pfad an einer mit

*) 1 Liespfund= 16 Pfund. Borg" heißt ein taftriertes männliches Schwein.

Von diesem Wanderdrange wird der bei weitem größte Teil unserer heimischen Vogelwelt erfaßt, denn nur verhältnismäßig wenige Arten sind Standvögel, die bei uns überwintern. Es gab eine Zeit, in der die Menschen diese ziehenden Vogelscharen sahen, aber sich gar nicht darum fümmerten, wohin sie fich wandten. Später lag für sie die Erklärung auf der Hand. Die Vögel ahnen das Nahen des rauhen Winters und gehen ihm aus dem Wege; die Alten kennen den Weg nach dem Süden und zeigen ihn den Jungen, die ihn sich merken. Im Frühling kommen sie auf derselben Straße wieder; das wiederholt sich alljährlich seit Anbeginn der Welt. daß es auf unserer Erde und in unserer Heimat nicht immer so Inzwischen ist die Wissenschaft fortgeschritten, und wir wissen, fonnte die Vögel zu regelmäßigem Zuge nicht veranlassen. ausgesehen hat wie heute; auch das Klima war verschieden und

In altersgrauer Vorzeit, vor Hunderttausenden oder vielleicht vor Millionen Jahren, herrschte in Europa ein warmes, tropisches Klima, und wie Versteinerungen aus jener Erdepoche lehren, gab es schon damals Vögel. Wilde Gänse, Reiher und Rallen belegten bereits Europas Gewässer, und hoch in den Lüften kreisten Adler, Milane und Buffarde; später gefellten sich dazu noch Sperlinge damals die regelmäßigen alljährlichen Züge antraten, das wissen und Meisen, Bachstelzen und Segler. Ob diese Vogelscharen schon wir nicht und werden es auch taum jemals mit Sicherheit erfahren. Wohl aber wissen wir, daß später eine Katastrophe eintrat. Das Klima wurde allmählich tälter und fälter; endlich kam die Eiszeit, in der Nordeuropa und der größte Teil von Mitteleuropa für viele Jahrtausende unter Eis und Schnee begraben wurde. Es unterliegt feinem Zweifel, daß dieser ewige Winter den größten Teil der früheren Vogelwelt aus den nördlicheren Ländern völlig berdrängte; nur spärliche Ueberreste konnten am Rande der hatten sich nach dem Süden geflüchtet. Jahrtausende über Jahr­Gletscher in der alten Heimat ihr Leben fristen, die Hauptmassen tausende rauschten dahin, und endlich kamen beffere Zeiten. All­mählich wurde das Klima wärmer, Eis und Schnee schmolzen, mit frischem Grün begannen sich die wüst gewordenen Länder zu schmücken, und vom Süden her begannen Tiere aller Art das wieder erblühende Gebiet zu besiedeln. Man kann sich wohl denken, daß um jene Zeit die Vogelwelt im Süden auf einen harten Kampf ums Dasein angewiesen war. Es mußte dort sozusagen eine Art Standquartiere unter den gefiederten Scharen recht lebhaft toben. Uebervölkerung herrschen und der Streit um Wohnungs­Hungers- und Wohnungsnot trieben viele Vogelarten zum strich­artigen Zigeunerleben und größeren Wanderungen. Da waren die vom Eis frei werdenden nördlicheren Länder willkommene Schlupfwinkel für die hart Bedrängten. Wenn der Frühlingshauch sie belebte, wenn der kurze Sommer ihre Früchte zur Reife brachte, tonnten die vom Süden herbeigeflogenen Scharen hier oben jubi­lieren, Nefter bauen und ihre Brut großziehen; wenn aber bald

und