Anterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 179.
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Sonnabend, den 15. September.
1906
( Nachdruck verboten.) und seine eigene Scholle besitzt und in guten Verhältnissen leben könnte, wenn er jeßt nicht frank geworden wäre.
Die Sandinger Gemeinde.
Novelle von Henrik Pontoppidan . Autorisierte Uebersetzung aus dem Dänischen von Mathilde Mann . Ueber der ganzen großen Stadt liegt der Nebel dicht
und schwarz.
"
Aber er gehört nicht zu denen, die mit dem, was sie haben, proßen, darum glauben die Leute auch, daß wir arm find," sagt sie und sieht mit einem forschenden Blick zu ihm auf. Das hat Deine Mutter wohl auch gesagt." " Ja, ich glaube fast." Obwohl es nicht spät ist, ist es beinahe leer und still auf ist es denn nun doch nicht, " Ich konnte es mir beinahe denken. Aber so schlimm den Straßen. Von Zeit zu Zeit flingelt eine Straßenbahn -Gott sei Dank!" sagt sie und vorüber. Sonst sieht man nur Läden mit herabgelassenen lacht. Jalousien, nasse Fliesen und qualmende Laternenflammen. bar sehr viel daran, ihm den Glauben beizubringen, daß fie Knud will das Thema wechseln, aber es liegt ihr offenHier eilt eine einsame Gestalt, den Kragen bis über die Ohren eigentlich nicht das Kind armer Leute ist. Deshalb erzählt gezogen, vorüber. Dort stehen ein paar Schußleute unter fie von ihren kleinen Geschwistern, die zur Schule gehen, und einer Laterne und glänzen mit ihren nassen Regenmänteln. von der alten Großmutter, die einstmals sogar sehr wohlIn der inneren Stadt ist es freilich bedeutend lebhafter. habend gewesen ist. Aber von ihrer Mutter spricht sie nicht. Hier bewegen sich die Leute über die schlüpfrigen Bürgersteige, Wenn ich nun nach Hause schreibe, wie gut es mir erund in dem verdichteten Nebeldampf hört man die Stimmen gangen ist, und daß ich mich verlobt habe, so werden sie sich weithin. Dort gehen junge Herren mit glühenden Zigarren. alle freuen; aber ich glaube eigentlich nicht, daß Du zu ihnen Dort schleichen alte, unbehülfliche Damen aus einer Gesell hinausfahren sollst, es wird so sonderbar für sie sein. Aber schaft, die Kleider hochaufgeschürzt, die Schirme aufgespannt. von Dir grüßen will ich sie." Cafés und Kellerwirtschaften werfen breite Lichtkreise bis auf den Fahrdamm hinaus, und aus erleuchteten Wohnungen in Knud beißt sich auf die Lippe. Er hat ihr seine Hand den oberen Geschossen, die man infolge des Nebels nicht sehen entzogen und fühlt, wie ihm der Schweiß auf der Stirn perlt. fann, ertönt Musik und Gesang. Hin und wieder rollt eine einen weichen Weg ein. Nach einer Weile steht er still. Sie Aber jetzt verläßt der Wagen das Pflaster und biegt in Droschte mit einem klappernden Pferd vorüber und ber- halten schwindet mit widerhallendem Gerummel zwischen den Häuser- halten in einer langen, nassen Allee vor einem der großen Häuſer- Bergnügungsgärten in Frederiksberg, wo es im Sommer
reihen.
Als Kasper Kapper sich unter einer Laterne auf dem von Menschen wimmeln kann. Königs- Neumarkt befand, strich gerade ein solches Fuhrwert Sie gehen hinein.
an ihm vorüber, mit einer alten, weißen Strade bespannt; in Es ist entsetzlich leer. Ein paar Laternenflammen dem großen, vieredigen Bauch rummelte es hohl wie in einer schlafen in dem Nebel, und überall hört man ein einförmiges, leeren Zonne. Als der Laternenschein beim Vorüberfahren melancholisches Tropfen der Feuchtigkeit, die von den Bäumen in den Wagen fiel, gewahrte er einen jungen, blonden Mann auf die Kieswege herabregnet. in einem Künstlermantel und neben ihm ein junges Mädchen, das sich vertraulich an ihn lehnte.
Ein Buden ging durch Kasper Kapper. Er blieb dort unter der Laterne stehen und starrte der Droschke, nachdem sie schon in die Destergasse verschwunden war, noch lange unverwandt nach.
Dann sette er in furchtbarer Erregung seinen Weg nach der Knippelsbrücke fort.
9.
Es waren Knud und Boel, die der kleine Mann in der Droschke gesehen und erkannt hatte. Sie sind nun schon ein gutes Stück in die Stadt hineingekommen.
Boel sitt ein wenig verlegen mit niedergeschlagenen Augen da und streicht die Finger von Knuds eigener Hand, die in ihrem Schoß ruhen. Ihre Wangen glühen vor Glüd: von Zeit zu Zeit aber schließt sie halb erbleichend die Augen ganz, während ein Lächeln wie in fernen Gedanken über ihre Lippen huscht.
mit einer plöglichen, ungeduldigen Bewegung, die fie veran Boel sieht sich scheu um und schmiegt sich an Knud, der laßt, aufzusehen, seine Schritte beschleunigt und sie mit sich in die große Finsternis hineinzieht.
Der Garten ist lang und schmal.
Aus dem einen fernen Ende, wo der Nebel einen etwas rötlichen Ton hat, hört man ein verwirrtes Brausen von einem Tingeltangel her. Händeklatschen und Donnern von Stiefelabfäßen, Biolinen und ein Horn, das hin und wieder mit drei, vier gellenden Tönen einfällt.
Im übrigen vernimmt man keinen Laut aus dem großen, schlummernden Garten.
An dem Bretterzaun entlang, der ihn von der Allee trennt, liegt eine Reihe kleiner Lauben aus Gitterwerk mit Schlingpflanzen über dem Dach und einem kleinen, viel. farbigen Fenster nach der Allee hinaus. Sie sind alle leer. Aber Knud und Boel lassen sich in einer derfelben nieder, nachdem der erstere in die Restauration gegangen ist und einen Sellner bestellt hat.
Knud hat seinen Künstlermantel zurückgeschlagen und den Hut auf den Rücksitz geworfen. Er ist warm und sieht Nach einer Weile stehen zwei Gläser und eine halbe nervös und erregt aus riecht auch ein klein wenig nach Flasche Champagner vor ihnen auf einem Teebrett. Und der Spiritus. Um fein Gewissen zu betäuben, hat er ein paar Kellner tründelt mit einem leeren Grinsen von dannen. Gläser Portwein getrunken, spürt aber noch Verlangen nach etwas Anregendem.
Sie sprechen nicht viel. In dem wechselnden Licht der Laternen, die bald von der einen, bald von der anderen Seite durch die Fenster fallen, betrachtet er sie mit einem unsicheren -bald brutalen, bald scheuen Blick, beobachtet den Busen, der unter dem Kleide fällt und steigt, und die Röte, die auf ihren Wangen kommt und schwindet.
Knud steckt seinen Arm unter den Mantel heraus und schenkt ein. Aber sein Hand zittert, so daß der Wein über den Rand der Gläser fließt, sein ganzer Körper ist in einer Bewegung, die er nicht zu beherrschen vermag.
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Trinke, Boel!" sagt er und preßt sie heftig an sich und setzt ihr schließlich das Glas an den Mund, als sie es nicht selber nehmen will. So sei doch nicht so albern! Wir sind ja doch gute Freunde und haben uns lieb. Trinke doch! Dich Währenddes klappert die alte trade weiter über das friert ja, der Wein wird Dich erwärmen. Sieh einmal naffe Straßenpflaster, durch halbdunkle Straßen, um her. Es kommt die Maus, es kommt die Maus, in ein kleines Ecken und über Hallende Marktpläge. Laternen gleiten vor- Haus, Haus, Haus! Aber zum Kuckuck auch! Du bist über. Einen Augenblick sizen sie in vollem Licht, aber bald doch kein Kind mehr! So trink' doch!" gleiten sie wieder in ein vertrauliches Dunkel hinein.
Er kann die Arbeitsrauheit an ihren Händen fühlen, die mit seinen Fingern spielen und im selben Augenblid steigt vor ihm das Bild einer großen Wiese und eines grünen Hügels mit einem hübschen weißen Haus in einem Garten mit einer Flaggenstange auf.
Sie hat angefangen, mit ihm von ihrer Häuslichkeit zu sprechen. Sie erzählt von ihrem Vater, daß er Parzellist ist
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Aber Boel trinkt nicht. Sie starrt in Knuds glühendes Geficht mit einem gleichsam erwachenden Ausdruck in ihren weitgeöffneten Augen. Ihre Wange ist bleich; die Hände stemmt sie gegen seinen Busen, um ihn sich vom Leibe zu halten. Und doch überwiegt noch das Bittende in ihrer Stimme, als sie flüstert:
Warum tust Du das, Knud?" Aber plöglich taumelt
nut mit einem Krach gegen die