Unterhaltungsblatt des Vorwärts
Freitag, den 21. September.
Nr. 183.
( Nachdrud verboten.)
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Die Sandinger Gemeinde.
1906
,, Ganz nett. Wirklich ganz nett.- Na!" unterbrach er sich endlich selber und machte sich daran, den Patienten zu untersuchen.
Autorisierte Uebersetzung aus dem Dänischen von Mathilde Mann suchung gab Kaspar genau acht auf den Ausdruck in dem
13.
Nachdem die Männer, die den stöhnenden Kasper Kapper die Treppe hinaufgetragen, ihn zu Bett gebracht hatten, stellte es sich heraus, daß noch mehr Leben in ihm war, als man anfänglich geglaubt. Es war mehr die Angst als die Krankheit selber, die seine Ohnmacht hervorgerufen hatte; und nachdem er ein wenig Wasser bekommen, und Madame Fuß die endlich auch erschienen war ihm ein paar Hoffmannstropfen verabfolgt hatte, fühlte er sich so wohl, daß er sich für ganz gesund hielt. Er hatte nicht einmal gewollt, daß nach einem Arzt gefchickt werden sollte er wisse sehr wohl, sagte er, was ein Nachtbesuch koste und so beruhigte man sich dabei, ihn ohne Aufsicht den Rest der Nacht liegen zu lassen. Aber gesund war er nun doch nicht. Die Eitelkeit hatte sich gerächt. Die kalte Abendwanderung in den dünnen Sommerkleidern hatte er nicht vertragen können.
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Als Madam Fuß früh am Morgen bei ihm einsah, trat ihr ein Anblick entgegen, der sie veranlaßte, vor Entsetzen die Hände vor das Gesicht zu schlagen.
In einem Bett, wo Bettücher und Decken eine zusammengerollte Verwirrung bildeten auf einem Kopfkissen, das dunkel von Schweiß war, lag Kasper Kapper und starrte zu ihr auf wie eine Reiche. Das dunkle Haar saß an die Stirn festgekleistert, um den Mund und ganz über die Nase hinauf und über den eingefallenen Wangen war das Geficht bläulich von Todesfälte. Die mageren Hände mit den langen Fingern bewegten sich über die Steppdecke, als suchten sie noch etwas, das sie umklammern wollten. Unter dem rotränderigen, aufgeschwollenen Augenlid lag das große, braune Auge wie mit einer Haut überzogen, es sah Madam Fuß mit einem erstarrten Blick an, der voller Angst gleichsam das Mitleid abzuwehren suchte.
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" Herr Du meines Lebens! Was ist dies hier?" rief sie fast mit einem Schrei aus.
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" Sie müssen entschuldigen, Madam Fuß," antwortete er mit einer tiefen, flanglosen Stimme, die kaum zu hören war. ,, Es sieht hier nicht schön aus. Ich bin wieder frank gewesen. Ich habe mich gebrochen. Ich versuchte, Sie zu wecken ich habe an die Wand geklopft aber Seine Stimme verschwand jetzt gänzlich und sein Auge schloß sich und sant wie in einer neuen Ohnmacht in den Kopf hinein.
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Sobald Madam Fuß in Anzug fommen fonnte, das heißt in einen engen, hinten beschleisten, im übrigen von Alter grünen, faserigen Mantel, eine blankgetragene, wattierte Nebelkappe und ein paar schwarze über und über gestopfte baumwollene Handschuhe, ohne welche sie sich geschämt haben würde, sich auf der Straße blicken zu lassen,- ging fie aus, um einen Arzt zu holen.
Gegen Mittag kam denn auch endlich ein kleines, graues Männchen mit grauem Zylinderhut, grauem Ueberrock und fleinen, grauen, zwinkernden Augen, mit denen er das Zimmer interessiert und sehr umständlich musterte, sobald er eingetreten war. Dann sezte er den Hut auf den Tisch, nachdem er zuvor mit dem Finger die Platte untersucht hatte, zog ein paar Handschuhe von den Händen, rollte sie zusammen und legte sie in den Hut hinein, zog darauf ein Brillenfutteral aus der hinteren Rocktasche, öffnete es vorsichtig und setzte mit großer Sorgfalt eine Brille auf, nahm sie wieder ab und holte sein Taschentuch heraus, hauchte auf die Gläser und fing an, sie zu pußen, alles ohne ein Wort zu sagen und ohne dem Patienten auch nur einen Blick geschenkt zu haben. Als er endlich die Brille wieder auf die Nase gesetzt hatte, betrachtete er das Vogelbauer unter der Dede genauer, das während der ganzen Zeit seine besondere Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatte, und fragte:
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Ist es ein Hänfling?"
Ja," antwortete Kasper heiser.
„ Ein Weibchen?"
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" Ja, ein Weibchen!"
Während der sehr langwierigen und sorgfältigen UnterGesicht des Arztes, und als das graue Männchen einmal bedenklich den Kopf schüttelte, ward es ihm einen Augenblick schwarz vor Augen.
Als der Doktor fertig war, nahm er die Brille ab, steckte sie mit großer Umständlichkeit wieder in das Futteral und sagte: ,, Es wird am besten sein, wenn Sie ins Krankenhaus kommen."
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Kasper, dessen Blick unverwandt an dem Antlitz des Arztes hing, antwortete, indem er die Lippen bewegte. Der Doktor stand wieder eine Weile vor dem Vogelbauer, während er seine Handschuhe anzog: ..Piep! Piep!" sagte er und steckte eine Fingerspite zwischen die Stäbe, er hatte den Kranken bereits vergessen und lächelte munter. Jezt aber raffte Kasper allen seinen Mut zusammen und fragte, ob der Doktor glaube, daß Gefahr vorhanden sei. Der graue Mann wandte sich nach ihm um und sah ihn mit einem Blick an, der ihm wie ein eisiger Schauer durch das Mark ging. Es war, als habe er seinen eigenen Geist gesehen.
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Gefahr? Ja, das kann man nie wissen. Ueber Leben und Tod wissen wir Menschen nichts. Auch die Aerzte nicht. Ich will jetzt dafür sorgen, daß einer von den Krankenhauswagen Sie holt, liegen Sie nur so lange ganz still. Adieu!"
Als Kaspar Kapper allein geblieben war, lag er lange unbeweglich da und ließ angsterfüllt seinen Blick durch das 3immer gleiten, von den roten Stattun- Fenstervorhängen mit der weißen Einfassung, die das Werk seiner eigenen Hände waren, und deren schwieriger, aber glücklich beendigter Herstellung er sich plötzlich mit sonderbarer Klarheit erinnerte hinweg über die Bauer unter der Decke mit dem Dompfaff und dem Hänfling, die auf ihren Stangen hüpften, und den weißen Mäusen, die an einer Brotfruste nagten und an dem Wasser in dem gerissenen Uhrglas schnüffelten, das er selber einmal faput gemacht hatte zurück über den Kleiderschrank mit seinem guten, fast neuen, immer so sorgfältig abgebürsteten Sonntagsanzug und schließlich an die Wand über dem Bett zu dem kleinen viereckigen Bilde von seiner wehmütig lächelnden Mutter, dieser Mutter, die er nie gesehen, die aber die einzige Frau war, die ihn geliebt hatte.
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Und von dem allen sollte er sich jetzt für ewige Zeit trennen! War das möglich? Nein, nein! Er fonnte nicht verstehen, daß er nichts mehr vom Leben zu erwarten hatte. Es würde doch zu unverständlich sein, wenn seine Mutter ihr Leben hätte lassen müssen, um ihm ein Dasein wie das zu schenken, das bisher sein Los gewesen war! Ach, hätte sie nur gelebt! Nie hatte er gewußt, was es heißt, geliebt zu werden! Nie hatte er ein liebevolles Wort in seinem Ohr gehört, nie eine weiche, warme Hand auf seiner Wange gefühlt.
Der Regen schlug in Strömen gegen sein Fenster, und der Sturm flapperte mit den Dachsteinen über seinem Kopfund doch hätte er gerade jetzt so gern gelebt. Er faltete seine zitternden Hände und betete so flehentlich, so demütig, so bitterlich verzweifelt zu Gott, daß er ihn nicht möge sterben lassen. Er gelobte, fortan ein besseres Leben zu führen, jeden Sonntag in die Kirche zu gehen und auf der Straße nie mehr nach den Mädchen zu sehen oder sich in das Gedränge zu stürzen, um Gelegenheit zu haben, sich an die Damen heranzudrängen. Auch kleinen Kindern wollte er nie wieder nachstellen, und er versprach, seinem Prinzipal prompt die fünf Kronen zurückzubezahlen, die er sich einmal unrechterweise von dem Betrag einer Rechnung angeeignet hatte, und er wollte weitere fünf Kronen für den Umbau des Heiligengeistkirchturms geben, wenn er nur am Leben bleiben durfte.
Und das Leben war doch so schön! Es konnte unmöglich alles für ihn vorbei sein! Wenn er alle diese Sachen ansah,