Anterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 184.
Sonnabend, den 22. September.
1906
Hans Nicolaus Krauß.
Ein Mann, der seit nahezu zehn Jahren an dieser Stelle für den Vorwärts" und seine Leserschaft mit Liebe und Sorgfalt gearbeitet, ist nicht mehr. Hans Nicolaus Krauß, der Redakteur des Unterhaltungsblattes", starb in der Nacht vom Donnerstag zum Freitag im Berliner St. Hedwigs- Krankenhause. Vor ungefähr drei Monaten trat er seinen Sommerurlaub an, der ihn aber nur bis in seine Wohnung führte. Widerwillig gab der an einem Herzleiden und an Wassersucht Erkrankte dann später dem Drängen des Arztes auf Clebersiedelung ins Krankenhaus nach widerwillig und doch nicht ohne Hoffnung auf eine Wiederherstellung seiner Gesundheit, denn noch Ende August ließ er die Mitteilung hierher gelangen, daß er am 15. September seine Tätigkeit am " Vorwärts" wieder aufzunehmen gedenke.
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Es ist anders gekommen. Der Tod hat den im rüstigsten Mannesalter Stehenden niedergeworfen. Genoffe Krauß war noch nicht ganz 45 Jahre alt. So früh schloß hier ein Dasein ab, von dem wir, von dem die volkstümliche Literatur noch viel Gutes und Schönes erwarten durfte. Denn über seine ausgezeichnete Redaktionstätigkeit hinaus reicht die Bedeutung des Schriftstellers, des Dichters und Künstlers, der Menschen und Dinge zu gestalten wußte. Im Auffage Wilhelm Holzamers werden unsere Leser mehr darüber finden.
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Nicolaus Krauß entstammt einer Försterfamilie; er wurde am 26. September 1861 zu Neuhaus geboren. Den ersten Unterricht gab ihm die Dorfschule. Später besuchte er das Gymnasium in Eger, diente dann als Einjährig Freiwilliger in Wien und studierte gleichzeitig Philosophie, vor allem Germanistit. Aber er auch war ein Proletar" Frau Sorge tam und rief ihn ab zum Brotverdienen. Bald erschienen in Eger unter seiner Leitung die" Deutschen Blätter", eine Zeitschrift wesentlich literarischen Charakters, an der viele der inzwischen berühmt gewordenen Modernen" so Dehmel, Liliencron , Bahr, Hartleben u. a.- mitwirkten. Das Blatt brachte aber auch gute Auffäße über österreichische Politik mit stark arbeiterfreundlichem, sozial- und agrarreformerischem Einschlag. Dadurch wurde man in Berlin auf ihn aufmerksam. Er wurde Mitarbeiter an der„ Volks. tribüne" und einigen anderen Arbeiterblättern. Die Deutschen Blätter" stellten gar bald wieder ihr Erscheinen ein. Krauß tam nach Berlin . Und über ihn kam eine harte Zeit. Eine Zeit, von der er gelegentlich sagte, daß sie ihn oft mit einem täglichen Ausgaben- Etat von fünf Pfennigen glücklich gemacht habe. Er hungerte wie so viele, und schrieb sich die Finger wund. Manche seiner Arbeiten erschienen auch nun in der„ Volkstribüne", zu deren leitendem Redakteur er im Jahre 1890 aufrückte. Die Freude war nicht von langer Dauer. Die„ Tribüne" ging ein. 1891 wurde ihm die Stelle eines Redakteurs am Volksblatt für Teltow - Nieder- Barnim" übertragen, ein Amt, das er bald wieder aufgab, um von neuem sein Seil als freier Schriftsteller" zu versuchen. Vom Oktober 1894 bis Ende 1895 war Krauß redaktionell am Sozialdemokrat" tätig, um nach einer nochmaligen kurzen " freien Schriftstellerei" am 15. November 1896 in die Redaktion des Vorwärts" einzutreten. Am 1. Januar 1897 erschien zum erstenmale unser Unterhaltungsblatt, das sich in den seitdem verflossenen Jahren unter der Hand des Genossen Krauß zu dem entwickelte, was es heute ist. Sein Blattl" war ihm alles. Mit großer Liebe, mit Eifer und außerordentlichem Verständnis hat ers Tag für Tag fertiggestellt. Da war ihm das Beste gerade gut genug". Auch für die„ Neue Welt" und für den Neue Welt- Kalender", die er von 1899-1904 leitete.
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Eine Unsumme von Arbeit, getragen von einem hohen Verantwortlichkeitsgefühl, hat der Verstorbene für den Vorwärts", für seine Leser, für die Partei geleistet ungekannt eigentlich. Denn wer von denen, die außen stehen, wußte etwas von Nicolaus Krauß? Wenige. Und diese wußten Weniges. Trotzdem er einst auch als politischer Fechter seine Feder in den Dienst der Arbeiterklasse gestellt, konnte er doch nicht mit seinem Namen hervortreten. Denn Krauß war Desterreicher, also Ausländer, der stets die Gefahr vor Augen sehen mußte, ausgewiesen zu werden.
Aber Krauß ist sogar Denen, die enger mit ihm zu tun hatten, in gewissem Sinne ein Ungekannter geblieben. Das lag meist an ihm. Er war„ halt ein einsamer Bogel"- wenigstens in den letzten Jahren, da ihm die Krankheit wohl schon im Blut stecken mochte. Er suchte die Einsamkeit, die Abgeschlossenheit; recht„ akklimatisiert" hat er sich bis an sein Lebensende nicht in unseren norddeutschen Verhältnissen. Mancher stieß sich an den Ecken und Kanten seines eigenartigen Charakters- aber mancher freute sich auch an der derben Ungezwungenheit, die ihn auszeichnete. Noch im Tode aber hat seine nach Einsamkeit strebende Charakterneigung sich geäußert: sein Begräbnis soll, so hat's der Sterbende gewünscht, in aller Stille begangen werden.
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Mag's drum sein. Nicht die äußeren Zeichen sind's ja im Grunde, die einen Toten ehren. Was er getan, geschaffen, das lebt und ehrt ihn, das bleibt bestehen und zeugt von ihm, wenn auch der Leib zurückgekehrt ist zum ewigen Staube.
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